Europa LeagueBayer Leverkusen steht wieder im Halbfinale

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Aufgeheizte Stimmung. Kurt Zouma (West Ham) zieht den aufgebrachten Jonathan Tah (r.) aus dem Rudel.

Aufgeheizte Stimmung. Kurt Zouma (West Ham) zieht den aufgebrachten Jonathan Tah (r.) aus dem Rudel.

Bayer 04 Leverkusen hat das Halbfinale der Europa League erreicht und bleibt im 44. Pflichtspiel der Saison ungeschlagen.

Bayer 04 Leverkusen bleibt in der Saison 2023/34, was es ist. Stabil, ungeschlagen und reif. Der frisch gebackene deutsche Fußball-Meister tanzte im Viertelfinal-Rückspiel der Europa League bei West Ham United zwar eine Halbzeit lang auf der Rasierklinge, zog nach 90 Minuten aber durch ein 1:1 (0:1) verdient ins Halbfinale ein. Dort wartet auf dem Weg ins Endspiel nach Dublin am 22. Mai wie im vergangenen Jahr AS Rom. Schöner Nebeneffekt: Der Werksclub blieb in London im 44. Pflichtspiel der Spielzeit ungeschlagen und knöpfte damit Juventus Turin den Rekord der europäischen Top 5-Ligen aus der Saison 2011/12 endgültig ab.

„In der ersten Halbzeit haben wir uns verunsichern lassen. West Ham hat gut Druck gemacht und das Stadion mitgenommen. Damit waren wir nicht zufrieden. In der zweiten Halbzeit waren wir dann viel besser“, analysierte Abwehrchef Jonathan Tah die 90 Minuten im Osten Londons.

Xabi Alonso veränderte seine Anfangsformation vier Tage nach dem Meisterschaftstriumph gegen Werder Bremen auf sechs Positionen. Neben Pokal-Keeper Matej Kovar starteten Josip Stanisic, Alejandro Grimaldo, Exequiel Palacios, Florian Wirtz und Patrik Schick. Der Bayer-Coach setzte damit auf eine etwas defensivere 4:2:3:1-Grundordnung.

Nachvollziehbar angesichts des 2:0-Hinspielerfolgs und der zu erwarteten offensiveren Ausrichtung bei West Ham. Die Londoner konnten immerhin wieder auf ihren zuletzt verletzten Toptorjäger Jarrod Bowen und den in Leverkusen gesperrten Edson Alvarez zurückgreifen. Die Werkself war zudem gewarnt, denn die Hammers hatten im Achtelfinale den SC Freiburg nach einem 0:1 im Breisgau mit 5:0 im London Stadium aus dem Wettbewerb gefegt. Mit den eigenen Fans im Rücken, die ihrem Team auch gegen Bayer 04 einen stimmungsvollen, lautstarken Empfang bereiteten.

Für den Bundesliga-Tabellenführer ging es zunächst darum, die erste Angriffswelle der Gastgeber abprallen zu lassen, um sowohl die Partie als auch das Publikum zu beruhigen. Das Unterfangen misslang gründlich. Vor allem, weil Odilon Kossounou   sich als großer Unsicherheitsfaktor entpuppte. Der sonst so zuverlässige Ivorer leistete sich gleich einen Fehlpass am eigenen Strafraum (2.) und sah nach einem technischen Fehler und rüdem Einsteigen gegen James Ward-Prowse früh Gelb (6.).  

Zwei Szenen, die Leverkusens   Innenverteidiger aus der Bahn warfen.     Sein bereits dritter Fehlpass im Aufbau leitete schließlich das 0:1 ein. Weil Kossounou nach einer Bowen-Flanke auch noch Gegenspieler Michail Antonio aus den Augen verlor und Kovar am Fünfer herumirrte, traf der gebürtige Jamaikaner per Kopf (13.).

Odilon Kossounou früh ausgewechselt

Der neue deutsche Meister, der durch einen Fernschuss von Nathan Tella sogar in Führung hätte gehen können (11.), taumelte gewaltig.  Der umtriebige Mohammed Kudus nach einem Stanisisc-Lapsus (19.) und vor allem Bowen (25.) hätten das Hinspiel-Ergebnis egalisieren können, scheiterten aber an Kovar. Alonso musste reagieren und ersetzte Kossounou durch Edmond Tapsoba (29.).

Direkt im Anschluss gerieten zunächst die Trainerbänke und dann auch die Spieler heftig aneinander. Schiedsrichter José Maria Sanchez zeigte Rot gegen die Co-Trainer Sebastian Parilla (Bayer 04) und Billy McKinlay (West Ham/30.) und zückte für die Rudelbildung an der Mittellinie Gelb gegen Jonathan Tah und Antonio (31.).

Die aufgeheizte Stimmung wirkte sich negativ auf das Spiel der Leverkusener aus, die keinerlei Ballkontrolle hatten und das hoch pressende West Ham mit ungewöhnlich vielen Fehlpässen immer wieder einluden. Nach 33:1-Torschüssen für Leverkusen im Hinspiel, stand es in dieser Statistik diesmal zur Halbzeit 10:1 für die Engländer. Bayer durfte über das 0:1 zur Pause froh sein. 

Bayer 04 bekommt Spielkontrolle

Xabi Alonso entschied sich zu zwei weiteren Wechseln und hoffte mit Victor Boniface und Jeremie Frimpong auf mehr Wucht und Ballsicherheit in der Offensive (46.). „Ich habe mir keine Sorgen gemacht, aber ich war verärgert über die Art und Weise unseres Spiels“, erklärte Leverkusens Coach. „Das war nicht Leverkusen. Wir hatten kein Selbstverständnis“, kritisierte Tah.

Joker Frimpong bereitete dann auch gleich eine Chance von Florian Wirtz vor, der den Ball aus zehn Metern aber nicht richtig traf (51.). Die 3200 mitgereisten Bayer-Fans sahen, dass ihr Team durch die Anspielstation Boniface endlich Zugriff auf das Spiel bekam und es dementsprechend ruhiger im Stadion wurde. „Die Wechselspieler hatten wieder einen guten Einfluss auf unser Spiel. Das zeichnet uns diese Saison aus“, lobte Bayer-Sportchef Simon Rolfes. 

Nachdem Frimpong Lukasz Fabianski im West Ham-Tor mit einer verunglückten Flanke im kurzen Eck auf die Probe gestellt hatte (66.) und Bayer immer mehr Spielkontrolle generierte, waren die Leverkusener Anhänger sogar deutlicher zu vernehmen als die Heimfans (70.).

Frimpong trifft spät zum 1:1

Von der Offensive der Londoner war nicht mehr viel zu sehen, weil Tapsoba und Tah hinten souverän aufspielten und Sechser Granit Xhaka im Zentrum nun die Fäden in der Hand hielt. Es blieb aber spannend, weil Frimpong nach Boniface-Vorarbeit frei auf das Tor zulaufend zu hoch zielte und das 1:1 liegen ließ (83.).

Allerdings nur bis zur 89. Minute. Da machte es der eingewechselte Niederländer besser und traf mit einem von Aaron Cresswell noch entscheidend abgefälschten Schuss zum mittlerweile verdienten 1:1. Leverkusen war endgültig wieder Leverkusen und hatte erneut spät zugeschlagen.

Im Halbfinale am 2. und 9. Mai kommt es damit zu einer Neuauflage gegen AS Rom und der Chance für Bayer 04, sich für das verpasste Finale (0:1 und 0:0) in der vergangenen Saison bei den Italienern zu revanchieren. „Wir sind alle heiß drauf, wieder gegen Rom anzutreten“, drückte Jonathan Tah die Vorfreude aus


Statistik zum Spiel:

West Ham: Fabianski; Coufal (84. Cornet), Zouma, Aguerd (45.+2 Ogbonna), Cresswell; Ward; Prowse, Alvarez (84. Johnson), Soucek; Bowen; Antonio, Kudus. – Leverkusen: Kovar; Stanisic, Kossounou   (29. Tapsoba), Tah, Hincapie; Xhaka, Palacios; Tella (46. Frimpong), Wirtz (87. Andrich), Grimaldo (68. Adli); Schick (46. Boniface). – SR.:   Sanchez   (Spanien). – Zuschauer: 62.473. – Tore: 1:0 Antonio (13.), 1:1 Frimpong   (89.). – Gelbe Karten: Antonio, Bowen, Zouma, Coufal, Soucek; Kossounou, Tah, Palacios, Kovar, Adli.

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