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„Die Raben sind die Augen der Wölfe“

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Isegrim kam selbst im Märchen nicht gut weg. Der Wolf ist böse - davon konnte Rotkäppchen schon ein Lied singen. Der Räuber wurde weltweit gejagt und fast ausgerottet.

MAHLBERG. Das schlechte Bild des Stammvaters aller Hunde hat sich deutlich gebessert. Inzwischen leben in Deutschland wieder 40 Wölfe in freier Natur. Verhaltensforscher gewinnen in Feldstudien neue Erkenntnisse, die großen Einfluss auf die Hundeerziehung haben.

Einer aus dieser Riege ist Günther Bloch. Der gebürtige Kölner und Wahl-Mahlberger war Schüler der renommierten Wolfsforscher Eberhard Trumler und Erik Zimen. Seit 18 Jahren verbringt Bloch jährlich sechs Monate in Kanada und beobachtet die Rudeltiere in freier Wildbahn.

Wäre es sinnvoll, Wölfe im Nationalpark Eifel anzusiedeln, um etwa die Hirschpopulation zu dezimieren? „Die Wölfe würden dort mit Sicherheit für Ordnung sorgen, aber der Nationalpark ist einfach zu klein. Irgendwann verlassen die Tiere das geschützte Territorium und jagen Schafe und Kühe. Damit wäre keinem gedient“, meint der Experte.

„Auge in Auge mit dem Wolf“, heißt Blochs neues Buch, das er gemeinsam mit den Biologen Paul Paquet und Mike Gibeau sowie dem Tierfotografen Peter A. Dettling gemacht hat. „Wir haben in wenigen Wochen bereits 5000 Exemplare verkauft“, freut sich der Mahlberger.

In den kanadischen Rocky Mountains, im Banff-Nationalpark, hat Bloch mit seinem Team die Vierbeiner beobachtet. Dort gebe es 50 Wölfe, die jährlich fünf Millionen Öko-Touristen und Tierfreunde anlockten. „Es gab bislang keinerlei Zwischenfälle. Noch nie hat ein Wolf einen Menschen angegriffen.“ Dabei ist der kanadische Timberwolf (Waldwolf) durchaus eine imposante Erscheinung: Rüden wiegen etwa 60 Kilo und erreichen eine Schulterhöhe von 70 Zentimetern.

Doch welche wissenschaftlichen Erkenntnisse publiziert Bloch in seinem neuesten Werk?

Die Kooperation mit anderen Arten gebe es etwa auch zwischen Mensch und Hund. Doch kleine Hunde würden sich in Familien ja auch mit Katzen, Papageien oder Meerschweinchen verstehen. „Bislang dachte man, Wölfe sozialisierten sich nur mit Artgenossen. Doch in Kanada erlebten wir, dass die Wölfe in Symbiose mit Raben leben.“

Sobald die kleinen Welpen ihre Höhle verließen, würden sie neben den Familienmitgliedern sofort die schwarzen Vögel sehen, die in der Nähe ihre Nester gebaut hätten. „Welpen und Raben spielen und toben schon bald gemeinsam.“ Die kleinen Wölfe prägten sich sogleich den strengen Geruch der Vögel ein. Dabei passten Vögel, wie die Kanadagans, ins Beuteschema und würden häufig gerissen. „Doch auch die großen Wölfe töten nie Raben. Im Gegenteil, sie setzen auf Arbeitsteilung.“ Dies wussten bereits die Stoney-Indianer: „Raben sind die Augen der Wölfe.“ So würden die Raben „als Luftwaffe der Wölfe“ Bären oder Luchse schnell entdecken und Alarm schlagen. Dann hätten die Wölfe mehr Zeit, ihren Nachwuchs in Sicherheit zu bringen und eine Gegenattacke zu starten. Im Gegenzug dürfen die Vögel Beutereste der Wölfe vertilgen.

Bloch: „Es handelt sich also nicht um eine Domestikation des Hundes, wenn er sich mit anderen Arten verträgt, sondern um Erbgut des Wolfs.“

„Der Alpha-Wolf ist tot - es lebe die Familie“, bringt der 56-Jährige eine weitere Entdeckung auf einen Nenner. Die Beobachtungen hätten ergeben, dass nicht der Rudelführer, sondern das Wolfskollektiv die Entscheidungen treffe. „Das Kollektiv ist der Chef!“ So gebe es eine Aufgabenverteilung im Rudel je nach Fähigkeit und Persönlichkeit der Tiere. Bei Menschen laufe das anders: Er stamme vom Affen ab. Und bei Primaten gebe es ganz klare hierarchische Strukturen. „Der Silberrücken ist der Chef.“ Alle dachten bislang, dass es auch bei Wölfen einen Chef gebe. Doch dies sei falsch. Daraus leitet Block Folgendes für die Hundeerziehung ab: „Frauchen und Herrchen müssen wie die Wolfsfamilie an einem Strang ziehen. Tun sie das nicht, gibt es Probleme.“

Die Wolfsrudel setzten sich aus A-Typen, also den vorwitzigen Draufgängern, und B-Typen, die eher abwartend agierten, zusammen. „Der B-Typ handelt wie seinerzeit Helmut Kohl und sitzt die Probleme aus.“ Diese A-B-Kombination aus Vorsicht und Draufgängertum mache die Stärke des Rudels aus. Übrigens: „Meistens bilden ein A- und ein B-Typ ein Paar. Gegensätze ziehen sich offenbar auch im Tierreich an.“

Nicht korrekt ist laut Bloch auch die bisherige Lehrmeinung, dass Wölfe im Rudel lebten, um große Beute machen zu können. „Sie leben in Gruppen, um ihre Beute schnell fressen zu können. Andernfalls würde sie ihnen von Nahrungskonkurrenten wie Bären und Pumas abgeluchst.“ Das Leben im Kollektiv erleichtere auch die Verteidigung des Reviers.

„Paschatum“ gebe es bei den Wölfen nicht. Im Gegenteil, die Eltern hätten mehr Pflichten als Rechte. Sie müssten den Nachwuchs mit Nahrung versorgen und Gefahren abwehren. Doch auch kranke oder alte Tiere würden von der Familie rührend versorgt. „Ein Wolf hat ein Rehbein 20 Kilometer weit geschleppt, um es einem kranken Artgenossen zu überlassen.“

Gemeinsamkeiten zwischen dem besten Freund des Menschen und Isegrim gibt es viele. Bloch: „Warum schnuppern Hunde an ihrem eigenen Kot?“ Die Antwort bekam er in Kanada, als er Timberwolf-Welpen beobachtete. Bei ihren Streifzügen durchs Revier würden sie ihre Eltern schon einmal verlieren. „Und dann beginnt die Schnitzeljagd, die wissenschaftlich Geruchsprägung heißt. Sie kämpfen sich von Haufen zu Haufen nach Hause durch.“

Das Buch „Auge in Auge mit dem Wolf“ ist im Stuttgarter Kosmos-Verlag erschienen und kostet 24,90 Euro. ISBN: 978-3-440-11452-0.

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