Abo

IsraelreiseVerschollene Thora lag in Haifa

Lesezeit 3 Minuten
Ungläubigstaunten die Siegburger, als ihnen Uri Heymann in Haifa die verschollen geglaubte Thora samt Mantel präsentierte.(Bild: privat)

Ungläubigstaunten die Siegburger, als ihnen Uri Heymann in Haifa die verschollen geglaubte Thora samt Mantel präsentierte.(Bild: privat)

Siegburg – Das Wort Gottes, bestehend aus exakt 304 805 Buchstaben,ist mit unauslöschlicher Tinte geschrieben. Aber nicht deshalb überstand die Siegburger Thora die Pogromnacht am 9. November 1938 – gestern vor 73 Jahren. Sie überstand, weil Moritz Heymann am anderen Morgen todesmutig durch ein Loch in der Wand des benachbarten Schulhauses in die niedergebrannte Synagoge an der Holzgasse schlüpfte und die Rolle samt Mantel aus den Trümmern barg. Heute hängt der Thora-Mantel wieder im Stadtmuseum. Freilich nur eine Fotografie auf Leinwand. Das Original befindet sich – unversehrt und wohl behütet – in der Synagoge von Haifa.

Dahinter steckt eine Geschichte, die mit der Bürgerreise der Kreisstadt nach Israel begann und von Begegnungen mit ehemaligen Siegburgern und ihren Nachfahren erzählt. Und die zeigt: „Den Nazis ist es nicht gelungen, das jüdische Leben vollends zu zerstören“, wie es Museumsleiter Klaus Hardung ausdrückt. Wenngleich: Viel ist es nicht, wasübrig blieb. Die Spuren der einst 408 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde passen in eine kleine Museumsvitrine und stammen teils von Nachfahren jener jüdischen Siegburger Familien, die von den Nazis ermordet wurden oder noch rechtzeitig flüchten konnten.Zum Beispiel die Familie des Siegburger Wein- und Branntwein-Großhändlers und Likörfabrikanten Wilhelm Heymann.

Dessen Ururenkel Elchanan Heymann, in Haifa geboren, derzeit Lehrer an der jüdischen Schule in Köln, stiftete dem Stadtmuseum einen Kiddusch-Becher von 1890, über den, mit Wein gefüllt, einst der Segensspruch (Kiddusch) gesprochen wurde. Und er überließ Siegburg seine kleine gehäkelte blaue Kippa, die er in seiner Jugend wie alle jüdischen Männer aus Respekt vor dem allgegenwärtigen Gott getragen hat. Eng mit seiner Familie verbunden ist auch die Siegburger Thora, die Jahrzehnte als verschollen galt.

Bis sich die Reisegruppe aus Siegburg auf nach Israel machte und ungläubig staunte, als ihnen in der Synagoge von Haifa Uri Heymann, der Bruder von Elchanan, das Wort Gottes Siegburger Herkunft präsentierte. Dass er sich vom Original nicht trennen mochte, ist nur zu verständlich. 1913 hatte sein Vorfahre, Friedrich-Wilhelm Heymann, die Rolle der Synagoge gestiftet – „zum Andenken der Seelen unserer Eltern“, wie feinsäuberlich gestickt auf dem Thora-Mantel zu lesen ist. Doch unabhängig davon, erläutert Hardung, dürfe eine Thora auch nur in einer Synagoge, nicht in einem Museum aufbewahrt werden.

Gleichwohl findet sich eine echte Thora russischer Herkunft in der Vitrine. Ein Fragment, das Spuren der Schändung trägt und von einem Siegburger auf einem Flohmarkt entdeckt wurde.Wiederum aus Siegburg, aus dem Haushalt des jüdischen Arztes Dr. Leo Gottlieb, stammt die silberne Chanukkia, ein neunarmiger Kerzenleuchter mit filigranem Hintergrundrelief.

In letzter Minute konnte der Arzt 1938 mit seiner Familie fliehen. Die Gottliebs fanden in Amerika Unterschlupf und leben heute in Israel. Auch dem Sohn des Arztes, Dr. Fred Gottlieb, begegneten die Siegburger in Jerusalem. In der Gedenkstätte „Yad Vashem“ signierte er sein Buch „Meine Kindheitstage in Siegburg“. Das erzählt weit mehr als Kibbusch-Becher und Kippa vom Alltag der jüdischen Familien, von denen ab 1942 keine mehr in Siegburg lebte. Und nur eine einzige Frau – Anna Remmel – kehrte aus dem KZ zurück und wohnte bis zu ihrem Tod in Siegburg. Sie starb 1982 im Alter von 82 Jahren.

Rundschau abonnieren