KulturwissenschaftlerWoher kommt die Lust aufs Grillen?

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Die Lust am Grillen ist ungebrochen.

Die Lust am Grillen ist ungebrochen.

Professor Hirschfelder, kaum ist es ein bisschen sonnig, laufen wir raus und grillen. Ist das der Steinzeitmensch in uns?

Kaum. Grillen ist überhaupt nicht alt, sondern ziemlich jung. In der späteren Steinzeit waren wohl eher Kochgruben populär: Da gräbt man eine Grube, schichtet Nahrungsmittel hinein und gibt Steine dazu, die das Ganze zum Garen bringen. In der ganzen Menschheitsgeschichte haben die Menschen eher aufs Kochen gesetzt, weil dadurch am wenigsten Nährstoffe verloren gehen. Beim Grillen tropft das Fett weg.

Aber es schmeckt besser.

Zutaten für vier Personen:

1 kg Schweinerippchen

8 EL Sojasauce

5 EL Rohrzucker

4 EL Weißwein-Essig

5 EL Orangensaft

2 TL Saft und Abrieb einer unbehandelten Zitrone

1 getrocknete Chilischote, zerdrückt

4 Schalotten, fein gewürfelt

3 Knoblauchzehen, fein gewürfelt

1 daumengroßes Stück Ingwer, fein gewürfelt etwas Öl

2 EL Tomatenmark

Zubereitung(Achtung: muss einen Tag lang einweichen): Für die Marinade Sojasauce, Rohrzucker, Essig, Orangensaft, Zitronensaft und -abrieb und die Chilischote verrühren. Dann Schalotten, Ingwer und Knoblauchzehe in einem Topf mit etwas Öl anschwitzen, die Soja-Orangen-Chili-Mischung hineingießen und das Ganze etwa eine Minute lang köcheln lassen. Anschließend das Tomatenmark hinzugeben und die Marinade etwas abkühlen lassen. Dann die Hälfte der Marinade in eine Schüssel geben, die Schweinerippchen darauf legen und schließlich die restliche Marinade darüber gießen. Die Rippchen in der Marinade für einen Tag abgedeckt im Kühlschrank ziehen lassen. Kurz vor dem Grillen die Rippchen aus der Marinade nehmen und von beiden Seiten etwa 30 Minuten lang grillen. Achtung: Wenn der Grill zu heiß ist, können die Rippchen schnell schwarz werden. Zum Servieren etwas von der Marinade darüber träufeln.

(aus: Georg Schweisfurth, Simon Tress: "Fleisch")

Grillen gehört zum Sommer wie die Bierflasche in die Hand des Grillmeisters. Michael Aust sprach mit dem Kulturwissenschaftler Gunter Hirschfelder über das alljährlich wiederkehrende Ritual. Und warum eigentlich immer noch fast ausschließlich Fleisch auf dem Rost landet.

Diesen Geschmack konnten sich aber über lange Zeit die meisten Menschen nicht leisten. Im Mittelalter bildet sich im mitteleuropäischen Raum deshalb die Unterscheidung heraus, dass das Braten von Speisen - das ja eine Art Grillen ist - dem Adel und der Oberschicht vorbehalten bleibt. Gegrilltes und Gebratenes ist im Mittelalter und der Frühen Neuzeit ein Synonym für oberschichtliche Ernährung. Die Unterschicht kocht.

Warum?

Weil beim Grillen das Fett und damit Energie verloren geht. Und weil man ja nur frisches Fleisch grillen kann. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung schlachteten aber nur einmal im Jahr, im Herbst, und dann wurde das Fleisch konserviert. Zum Grillen blieb nicht viel übrig, von Ausnahmen etwa in der voradventlichen Zeit abgesehen. Auch Wurst ist ja eine Konservierungsmethode, die es seit der Antike gibt. Sie wurde aber nicht gegrillt.

Wie wurde Grillen dann populär?

Grillen kommt erst in den 1970ern plötzlich aufs Tapet. Auslöser ist die Technisierung des Haushalts: Tiefkühltruhe und Kühlschrank stehen plötzlich in jedem Haus. Um 1970 wird Kochen vom wirtschaftlich Notwendigen zur Freizeitangelegenheit. Und mit der Ausrichtung am Vorbild USA wird Grillen zum Massenphänomen. Je mehr wir uns von der Bauerngesellschaft entfernen, desto mehr werden wir zur Outdoor-Gesellschaft. Eine bäuerliche Gesellschaft grillt kaum.

Auch, weil sie sich das Grillen nicht leisten konnte.

Das stimmt. Nach den entbehrungsreichen Nachkriegsjahren wird Fleisch erst in den 1960er Jahren billiger. Plötzlich will jeder das nachholen, was er vorher nicht hatte. Grillen steht aber auch für die Lust am Neuen, die in den 1970ern aufkam. Es passt in die neue Freizügigkeit und die aufkommende Freizeitgesellschaft.

Aber warum brät man das Fleisch öffentlich im Park und nicht zu Hause im eigenen Garten?

Das Grillen im Park ist eine neue Entwicklung, die erst in diesem Jahrhundert zu beobachten ist. Früher grillte man im Garten, beim Picknick oder auf dem Campingplatz. Wir haben etwa seit den 1990ern, verstärkt seit den 2000er Jahren, eine starke Digitalisierung und Globalisierung der Gesellschaft. Das hat dazu geführt, dass wir ein anderes Verhältnis zum öffentlichen Raum haben. Die Menschen gehen heute auf öffentliche Flächen, eignen sich diese Räume an. In meiner Studienzeit hätte in Bonn niemand im Hofgarten oder vor dem Poppelsdorfer Schloss gegrillt. Seit den 2000er Jahren aber werden diese Räume genutzt - vor allem von Jüngeren.

Warum gerade von jungen Leuten?

Das hat mit einer Entbürgerlichung der Gesellschaft zu tun. Und damit, dass die vorherrschende studentische Wohnungsform nicht mehr die WG ist, in der man sich früher traf, sondern die Einzelwohnung. Man sucht Orte, an denen man zusammenkommt. Und weil die Löhne für Nebenjobs stark gesunken sind, gehen Studenten weniger in Restaurants.

Neben den jungen Menschen sind Migranten die zweite Gruppe, die häufig im Park grillt. Warum?

Das hat unterschiedliche Gründe. Menschen etwa, die aus dem Bereich der früheren Sowjetunion kommen, knüpfen durchaus an eine starke Grilltradition in ihren Heimatländern an - die haben sie dann importiert. Andererseits ist das Grillen im Park auch ein Zeichen von Demokratisierung. Noch in den 1970ern hätten sich Studenten oder südeuropäische Arbeitsmigranten kaum getraut, in einem Park zu grillen. Heute verlassen die Menschen ihre Nischen. Das zeigt die neue Offenheit unserer Gesellschaft.

Welche Rolle spielt das Fleisch?

Fleisch ist eine Form von Entgrenzung. Wir leben in einer stark regulierten Gesellschaft, aus der man nur schwer ausbrechen kann. In der alten BRD war es noch relativ normal, auch einmal verkatert zur Arbeit zu kommen - auch mehrmals die Woche. Das können Sie heute nicht mehr machen, weil unsere Gesellschaft viel stärker auf Effizienz ausgerichtet ist. Ein großer Teil der jüngeren Generation ist ständig in der Optimierungsspirale.

Und hemmungsloser Fleischkonsum ist eine Möglichkeit, aus dem Hamsterrad auszubrechen?

Genau. Zum Ausbrechen haben wir nur noch wenige Möglichkeiten, zum Beispiel das Hochzeitsbuffet oder eben das Grillen. Das sehen Sie schon an der Einkaufsliste, wenn Sie zum Grillen einladen: Man würde doch für jeden Gast nicht nur ein Bratwürstchen kaufen - obwohl das von der Energiezufuhr her durchaus ausreichen würde. Sondern man berechnet mindestens zwei Würstchen und ein Stück Fleisch für einen erwachsenen Mann - also im Grunde zwei Portionen. Grillen hebelt unsere Selbstbeschränkung auf.

Aber warum gerade Fleisch? Man kann ja auch Gemüse auf den Rost legen.

Beim Grillen holen wir auch das Fleischessen nach. Fleisch hat ja einen rapiden Ansehensverlust erlitten. Viele Menschen haben aber eine natürliche Affinität zum Fleisch. Wir sind genetisch konditioniert auf den Geschmack Umami - der beim gegrillten Fleisch mit seinen halbverkohlten Kohlenstoffverbindungsmolekülen besonders gut herauskommt. Vielen schmeckt gegrilltes Fleisch einfach.

Der typische Grillmeister ist männlich. Warum eigentlich?

Weil das Grillen auch eine Insel ist, auf der wir uns von den aktuellen Geschlechterrollen lösen können. Die sind ja auf völlige Gleichheit konditioniert. Beim Grillen dagegen kann der Mann noch Mann sein und sein stereotypes Rollenverhalten ausleben.

Viele Frauen werden jetzt widersprechen und sagen, sie stehen genauso genauso gern am Grill.

Lange war Grillen die letzte Bastion der Männer, aber auch hier zeigt sich, dass sich Kultur eben immer wandelt: Zunehmend stehen auch Frauen an der Glut, ohne dass sich die Platzhirsche gewehrt hätten.

Welche Rolle spielt das Soziale?

Eine ganz entscheidende. In einer Gesellschaft, die digital und vereinsamt ist, ist das Grillen eine Insel des Analogen und Gemeinschaftlichen. Und das Schöne ist: Sie haben immer Gesprächsthemen. Grillen schafft eine Gemeinschaft, weil es niemanden ausschließt. Dinge wie Sportarten funktionieren nur für bestimmte, sportliche Menschen ...

... beim Grillen dagegen kann jeder mitmachen.

Ja, und heute ist diese Gleichmacherei für viele Menschen attraktiv. Bei den Jahrgängen um 1950 stand dagegen Differenzierung noch höher im Kurs. Damals wählte man aus: Wein oder Bier. Heute sind wir müde von der permanenten Differenzierung.

Versammeln wir uns vielleicht auch einfach gern um Stellen, an denen es Rauch gibt?

Es ist weniger der Rauch, als die Faszination des Feuers. Heute haben wir uns vom Natürlichen stark entfremdet. Deshalb fasziniert es uns, so etwas Banales wie Feuer zu erleben - das ist der Grund, warum es so viele Kamine in den Häusern gibt. Man kann nicht überbetonen, wie sehr uns das Leben vor unseren Bildschirmen anstrengt, weil es uns entfremdet von Dingen, die wir als Menschen brauchen wie Bewegung oder frische Luft. Da ist das Feuer ein Anti-Bildschirm.

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