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Ende des Koblenzer Rocker-ProzessesDie Hells Angels geraten unter Druck

Lesezeit 4 Minuten
Ermittler haben erneut Objekte der „Hells Angels“ durchsucht.

Ermittler haben erneut Objekte der „Hells Angels“ durchsucht.

Koblenz – Der Mann, der den Polizisten Manuel K. erschoss, lächelt entspannt. "Moin", sagt Karl-Heinz B., als er in Handschellen den Saal 102 des Koblenzer Landgerichts betritt. Auf den gekreuzten Armen balanciert er drei Ordner voller Ermittlungsakten, in denen er später blättern wird. Der 49-Jährige - groß, schlank, die langen Haaren zum Pferdeschwanz gebunden - begrüßt seinen Anwalt und lacht seinen Mitangeklagten aufmunternd zu. Einer der anderen Männer reckt die gefesselten Hände in die Höhe und formt das Victory-Zeichen. Es ist ganz so, als wollten beide sagen: Die können uns gar nichts.

Der gelernte Konditor Karl-Heinz B., langjähriges Mitglied der Hells Angels, hat schon einmal über Polizei und Justiz triumphiert. Das passt gut ins Weltbild der Rocker, die sich als "Gesetzlose" sehen, mit dem Staat prinzipiell nicht kooperieren und ihre Angelegenheiten nach eigenen Regeln klären wollen - notfalls mit Gewalt. Er hat den SEK-Beamten K. (42) 2010 durch die geschlossene Haustür erschossen, als die Polizei das Wohnhaus des Hells Angels im Westerwald-Örtchens Anhausen stürmen wollte, um es zu durchsuchen.

Das Koblenzer Landgericht verurteilte B. wegen Totschlags zu fast neun Jahren Haft, doch der Bundesgerichtshof sprach ihn später in letzter Instanz frei, weil er in vermeintlicher Notwehr gefeuert habe. Der Todesschütze war vor der Razzia von den konkurrierenden Bandidos bedroht worden und wähnte sich offenbar in jener Nacht in höchster Gefahr.

Jetzt steht er gemeinsam mit acht weiteren mutmaßlichen Hells Angels erneut vor einer Koblenzer Strafkammer. Die Männer im Alter zwischen 35 und 59 Jahren gehören laut Anklage alle zum "Charter Bonn", das sein abgelegenes Hauptquartier in Unterelsaff bei Neustadt (Wied) hat. Ihnen werden brutale Revierkämpfe mit anderen Motorradclubs vorgeworfen; es geht um Körperverletzung, räuberische Erpressung, Geiselnahme, unerlaubtes Führen von Schusswaffen. Im Kern dreht sich im bevorstehenden Prozess aber alles um die Frage, ob das Charter eine bewaffnete kriminelle Vereinigung gebildet hat. Gelingt es der Koblenzer Staatsanwaltschaft, das zu beweisen, wäre das ein Durchbruch im Kampf gegen die Rockerkriminalität in Deutschland.

Schwere Straftaten der Gangs

Natürlich ist nicht jeder, der zu einer Motorrad-Gang gehört, automatisch ein Verbrecher. Aber aus solchen Gruppen heraus werden immer mehr schwere Straftaten begangen, wie das Bundeskriminalamt (BKA) bilanziert. Im Jahr 2014, das sind die aktuellsten BKA-Zahlen, richteten sich 48 Verfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) gegen Angehörige von Rockergruppen (2013: 32, 2012: 26). Dabei waren in 22 Verfahren Hells Angels betroffen, in zehn Verfahren Bandidos, in vier Verfahren Angehörige des Gremium MC und in drei Verfahren Angehörige des Mongols MC. Schwerpunkt laut BKA: Rauschgifthandel, gefolgt von Gewaltverbrechen - vier davon waren Straftaten gegen das Leben. Bei Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppen gab es in den vergangenen Jahren Schwerverletzte und Tote, etwa 2009 in Duisburg, wo ein junger Hells-Angels-Unterstützer einen Bandido auf offener Straße mit einem Kopfschuss tötete.

In Aachen versuchen Polizei und Justiz derzeit, einen gewalttätigen Machtkampf zwischen den beiden Rockergruppen zu unterbinden. Neun Männer haben die Ermittler dort in den vergangenen Monaten in Untersuchungshaft gebracht, darunter auch ein Bandido-Mitglied aus Bonn. Rund 40 Bandidos zeigten sich im Dezember 2015 demonstrativ in der Bonner Innenstadt. Die Polizei prüft, ob sie etwas mit den Schüssen zu tun haben, die am Morgen desselben Tages auf die Tür einer Bar an der Rathausgasse abgefeuert wurden. In Köln wird den Hells Angels nachgesagt, dass sie noch immer dunkle Geschäfte in der Türsteherszene abwickeln, obwohl NRW-Innenminister Ralf Jäger das Kölner Charter schon 2012 verboten hatte.

Dieses Verbot könnte der Grund dafür sein, dass Karl-Heinz B. und seine "Brüder" das Bonn-Charter der Hells Angels ein Jahr später im Internet für aufgelöst erklärten. Weil das Bonn-Charter der Hells Angels angeblich nicht mehr existiert, sind im Saal 102 des Koblenzer Landgerichts auch keine Kutten zu sehen - weder bei den Angeklagten, noch bei ihren Kumpanen in den Zuschauerreihen. Etliche Charter-Mitglieder haben nach Recherchen unserer Zeitung allerdings eine Art Tarnfirma mit Sitz in Unterelsaff gegründet. Unter den Kommanditisten: Neben Karl-Heinz B. drei weitere Männer, die jetzt angeklagt sind. Außerdem der Vater des Salafisten-Predigers Pierre Vogel, der inzwischen aber wohl in eine andere Hells-Angels-Regionalgruppe gewechselt ist.

Dem Bonn-Charter wirft die Staatsanwaltschaft diverse Straftaten zwischen Mai 2013 und April 2015 unter anderem in Neustadt, Bad Breisig, Bergisch-Gladbach, Ahrweiler, Bad Godesberg und Vettelschoß vor. In einem Fall sei ein gegnerischer Rocker lebensgefährlich verletzt worden.

Zur Verlesung der Anklage kam es auch am gestrigen zweiten Prozesstag nicht. Einer der Angeschuldigten, der 59-jährige Ex-Präsident des Charters, konnte wegen einer schmerzhaften Erkrankung wieder nicht teilnehmen, weshalb der Vorsitzende Richter die Verhandlung auf den 17. Februar vertagte.

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