Fall Niklas P.Zeuge erkennt Hauptverdächtigen zu 60 Prozent wieder

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Der Hauptangeklagte Walid S. wird im Landgericht in Bonn in den Verhandlungssaal geführt.

Bonn-Bad Godesberg – Im Gerichtssaal herrscht Stille. Der dritte Zeuge, der an diesem Morgen Angaben zur Tatnacht im sogenannten Niklas-Prozess macht, hat ganz nebenbei den entscheidenden Satz gesagt: „Der Schlag, der Tritt - das war er.“

Dabei deutet er mit dem Kopf auf den 21 Jahre alten Hauptverdächtigen. Ein Raunen geht durch den Zuschauersaal des Bonner Landgerichts. Hat man das richtig verstanden? Auch der Richter scheint überrascht.

Vier Verhandlungstage hat es gedauert, bis sich der Prozess um das Kerngeschehen dreht - die Prügelattacke auf den 17-jährigen Niklas im Mai 2016. Der Schüler war wenige Tage später im Krankenhaus gestorben. Angeklagt ist der Hauptverdächtige wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Bisher ist es vor Gericht nur um Nebenstränge gegangen. Und nun also womöglich eine entscheidende Wende in dem Verfahren?

Der Zeuge gibt an, in der Tatnacht vom 6. auf den 7. Mai mit seiner Freundin in Bonn Bad-Godesberg unterwegs gewesen zu sein. Schon von weitem hätten sie am Busbahnhof Schreie gehört.

Er sei es auch gewesen, der den Krankenwagen gerufen und Niklas in eine stabile Seitenlage gebracht habe. „Ich habe ihn angesprochen, aber es war, als habe er geschlafen“, berichtet der 20 Jahre alte Student weiter. „Auf der Erde war Blut.“

Auch zum Tathergang kann der Zeuge genaue Angaben machen: Zwei Gruppen, die sich gegenüberstehen und streiten. Es wird geschubst und gerangelt. Dann habe der Hauptangeklagte Niklas mit voller Wucht gegen den Kopf geschlagen. „Dieser ging wie ein nasser Sack zu Boden.“

Dann der Tritt gegen den Kopf: „Der Täter hat weit mit dem Bein ausgeholt, torwartmäßig, und dann voll durchgezogen.“

Warum er sich so sicher sei, den Hauptangeklagten als Täter wiederzuerkennen, fragt der Verteidiger. „Es ist so ein Gefühl, der Gesamteindruck“, sagt der 20-Jährige. „Ich erkenne seine Augenbrauen wieder, seine Gesichtsstruktur, seine Frisur.“

Doch der Anwalt des Hauptangeklagten lässt nicht locker. Bei der ersten Vernehmung eine Woche nach der Tat habe der Zeuge doch bei der Polizei ausgesagt, er könne den Schläger nicht beschreiben, es sei zu dunkel und er zu weit weg gewesen, hakt der Jurist entschieden nach.

Nach weiteren bohrenden Fragen zu Entfernungen, Standorten von Täter und Opfer sowie der Kleidung der Beteiligten räumt der Zeuge schließlich ein: Er sei sich zu 100 Prozent sicher gewesen, dass der junge Mann, der heute auf der Anklagebank sitzt, der Täter sei. „Aber wenn Sie mich jetzt so fragen, kann ich nur sagen: Ich bin mir zu 60 Prozent sicher.“

Der Hauptangeklagte, der bisher angespannt neben seinem Anwalt gesessen hat, wirkt plötzlich gelöst und dehnt ausgiebig seine Halsmuskulatur. Auch zwei vorher angehörte Zeugen haben ihn nicht als Täter erkennen können.

Die 42 und 26 Jahre alten Männer, die an dem Tatabend als Passanten das Geschehen beobachtet hatten, berichten im Zeugenstand von einem komplett in Weiß gekleideten Jugendlichen, der ihnen aufgefallen sei. „Der Schläger war das aber nicht“, sagte der 42-Jährige. Sicher waren sich beide: Der Täter war nicht an der Rangelei der beiden Gruppen beteiligt gewesen, sondern zielstrebig für den Schlag und den Tritt aus dem Hintergrund hinzugekommen.

Ob diese Beobachtungen im weiteren Verlauf des Verfahrens eine Rolle spielen werden, bleibt am Mittwoch unklar. Der Prozess geht am Freitag weiter. (dpa)

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