„Schach ist eine Kunst“Der deutsche Juniorenmeister im Interview

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Auch wenn Schach für ihn „nur“ ein Hobby ist: Student Xianliang Xu will bis Ende 2018 Internationaler Meister werden.

Auch wenn Schach für ihn „nur“ ein Hobby ist: Student Xianliang Xu will bis Ende 2018 Internationaler Meister werden.

Köln – Der gebürtige Chinese Xianliang Xu ist amtierender Deutscher Juniorenmeister im Schach. Bernd Imgrund sprach mit dem 20-Jährigen, der 2010 in den Traditionsverein   SG Porz eintrat.

Zu Beginn des Gespräches  frage ich meinen Interviewgast zunächst nach der Aussprache seines Vornamens. Er versucht, ihn mir beizubringen, ich scheitere mehrfach. „Na ja“, lacht Xianliang, „dann sagen Sie einfach ,Sjiang’.“

Und Ihr Nachname ist Xu?

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Man spricht das „Chjü“.

Ist das so ähnlich wie Schmitz?

Nicht ganz, der kommt etwas seltener vor. Also: selten für China. (lacht)

Hat Ihr Name eine Bedeutung?

Ja. Vor- und Nachname bedeuten so viel wie „etwas schnell und gut vorzeigen“.

Haben Ihre Eltern den Namen bewusst gewählt?

In China gibt es Spezialisten, die sich den Stammbaum ansehen und anhand dessen den passenden Namen finden.

Noch vor der Geburt? Oder sehen die sich das Baby an und sagen: Das ist ein Sjiang?

(lacht) Ich weiß nicht, wie ein Sjiang aussehen soll . . .

Aber ich weiß, wie ein Karl-Heinz aussieht. Vielleicht wächst man ja auch in seinen Namen hinein.

Das stimmt natürlich. Aber bei uns wird der Name meistens schon gesucht, sobald man weiß, ob es ein Junge oder Mädchen wird.

Sie haben Ihre ersten fünf Jahre noch in China verbracht. Wird man da nicht automatisch Tischtennisspieler?

Nein, angefangen habe ich mit chinesischem Schach, das sich vom westlichen in vielerlei Hinsicht unterscheidet. Ich war auch in einem Verein und von Anfang an ziemlich gut.

Waren Sie eine Art Wunderkind?

Als solches habe ich mich nie gesehen. Magnus Carlsen war ein Wunderkind. Ich wollte zwar immer gern der Beste sein, aber ich spiele Schach vor allem zum Spaß.

Im Netz existieren zahllose Fotos von Ihnen als junger Schachspieler. Gab es um Sie herum viel Medienrummel?

Habe ich nie gespürt, und am Brett bin ich sowieso hoch konzentriert. In Tübingen, wohin ich 2003 kam, standen Schach und auch der Schachklub Bebenhausen noch nicht allzu hoch. Da war ich als jemand, der jedes Jahr auf die Junioren-WM fuhr, dann schon ein bisschen besonders, was das Schachliche betrifft.

Querflöte und Schach?

Unter Hobbys steht in Ihren Angaben außerdem: Querflöte, Klavier, Go und noch einiges mehr. Ganz schön viel für einen 20-Jährigen.

Querflöte habe ich sogar im Orchester gespielt. Ganz allgemein liebe ich Brettspiele, aber ich pokere auch gern.

Obwohl da, im Gegensatz zum Schach, der Glücksfaktor eine große Rolle spielt.

Ja, aber ich bin absolut kein Glücksspielfan. Zum Pokern gehört auch etwas Strategie. Aber ich spiele sowieso nur mit Freunden und um ganz kleine Summen.

Verweigern Sie sich dem Zocken aus Ehre oder weil Sie Angst davor haben, Geld zu verlieren?

Vor allem wegen des Geldes. Außerdem kann Glücksspiel natürlich süchtig machen, das gefällt mir auch nicht.

Kann man ein Notenblatt für die Querflöte mit der Notation eines Schachspiels vergleichen?

Wenn ich bei großen Schachspielern zusehe, ist das für mich durchaus eine Kunst, genau wie die Musik.

Im Schach sind alle Züge schon gezogen worden. Besteht die Kunst  darin, sie neu zu interpretieren und an einer Stelle unerwartet umzulenken?

So kann man das sagen. Und in der Musik musst du auch deine eigenen Ideen einbringen. Wie beim Schach ist etwas vorgegeben, aber man strebt danach, neue Wege, neue Varianten zu finden.

Haben Sie im Schach schon mal eine neue Variante entdeckt?

Es gibt zwei Eröffnungen, die ich sehr gut beherrsche, samt Theorie: die Drachenvariante mit Schwarz und die Alapin-Eröffnung mit Weiß.

Das chinesische Schach

Ich bin Schachlaie, aber mir haben immer die Türme am besten gefallen, weil die mich an Ritterburgen erinnerten.

(lacht) Ich mag die auch am liebsten. Im chinesischen Schach sind die Türme die stärksten Figuren, und als einzige Figur zieht der chinesische Turm genauso wie der westliche: waagerecht und senkrecht.

Die mobile, mächtige Dame neben dem faulen, lahmen König: Ist das im chinesischen Schach auch so?

Nein, da gibt es keine weiblichen Figuren. Aber dafür existieren  Kanonen, die das gegnerische Feld bombardieren.

Sind Sie als Spieler eher eine frei flottierende Dame oder ein König, der einen Schritt nach dem anderen macht?

Ich spiele gern auf Chaos. Das verwirrt zwar manchmal nicht nur meinen Gegner, sondern auch mich. Aber ich komme meistens besser als er klar mit dem chaotischen Brett.

Also gefallen Ihnen Spieler wie einst Bobby Fischer, wie Kasparow oder Carlsen vermutlich besser als der ruhige Viswanathan Anand?

Ich war schon immer ein großer Fischer-Fan. Ich habe das Gefühl gehabt, dass sein Motto lautete: Angriff ist die beste Verteidigung. Er war nicht der allergrößte Fan von ruhigen und langen Partien, obwohl er diese  perfekt beherrschte.

Der WM-Kampf 1972 gegen den Sowjetrussen Boris Spasski war einer der größten und spannendsten überhaupt.

Ja, Fischer hatte die erste Partie verloren, war zur zweiten nicht angetreten und hat am Ende dennoch mit Kampfgeist und großartigen Partien gewonnen.

Sie treten in der Jugendbundesliga West an, spielen aber auch Turniere. Was unterscheidet die jungen von  älteren Spielern?

Ich denke, dass viele ältere Spieler positioneller vorgehen. Sie spielen öfter den Damenbauern vor, dadurch wird die Partie meistens sehr solide und ruhig. Jüngere Spieler, auch in der Jugendbundesliga, bevorzugen den Königsbauern, das gehört dann schon zur Kategorie offene/halboffene Eröffnung.

Mit Schwarz häufiger gewinnen

Ist Angriff wirklich die beste Verteidigung, wie Sie gerade sagten?

Sicher nicht immer. Aber mir persönlich geht es im Schach meistens nicht um den einen Mehrbauern. Im Gegenteil, ich opfere auch gerne einen, wenn dafür eine Stellung rausspringt, mit der ich was anfangen kann. Auf Position und Felder zu spielen, fällt mir schwerer. Bei einer Angriffsstellung hingegen weiß ich genau, welche Figur wo hingehört.

Gilt das auch fürs richtige Leben?

Natürlich gibt es  die Momente, in denen man am besten die berühmte Flucht nach vorn ergreift. Aber gut, das Leben ist deutlich komplexer und chaotischer als ein Spiel mit 32 Figuren.

Ich habe eine Statistik gelesen, nach der Sie mit Schwarz deutlich mehr Spiele gewinnen als mit Weiß. Normal ist das aber nicht, oder?

(lacht) Nein, denn mit Schwarz macht man ja einen Halbzug weniger. Aber wenn der Weiße den Königsbauern zwei Felder nach vorn zieht, kann ich oft mein Repertoire ausspielen, samt meiner Varianten im weiteren Verlauf. Ich probiere auch oft neue Variationen aus, damit sich die Gegner nicht auf mich vorbereiten können.

Sind Sie vor Wettkämpfen nervös?

Nein, ich glaube, Schach ist da auch etwas anders als zum Beispiel Fußball. Da ist der Druck durch die Zuschauer und auch durch die gesamte Mannschaft schon viel größer als bei einem Brettspiel, wo nur zwei Spieler ein paar Klötze bewegen. Ich bereite mich möglichst gut auf meine Gegner vor, und am Brett lasse ich mich von nichts und niemandem ablenken.

Die Schach-Jugendbundesliga

Wie viele Zuschauer haben Sie in der Jugendbundesliga?

Kann ich Ihnen genau sagen: meistens unseren Mannschaftsführer, den des Gegners und noch ein oder zwei Elternteile. (lacht)

Sie lachen während dieses Gesprächs oft und gern. Und am Brett?

Kein Lachen! (lacht) Das würde ja auch den Gegner stören.

Mit rund 2370 Elo-Punkten sind Sie FIDE-Meister, das ist der Rang unter Groß- und Internationaler Meister. Sind Sie damit zufrieden?

Bis Ende nächsten Jahres will ich unbedingt Internationaler Meister werden. Dafür braucht man mindestens 2400 Punkte und drei IM-Normen. Zuletzt habe ich auch Großmeister geschlagen, aber die Normen sind in Deutschland für mich schwer zu erreichen. Vor allem kann ich wegen des Studiums an stark besetzten Turnieren im Ausland nicht teilnehmen.

Mal davon geträumt, Profi zu werden?

Nein, vom Schach leben können wirklich nur die allerbesten Super-Großmeister. Als Profi sitzt du jeden Tag zehn Stunden vor Brett und Büchern, um Varianten zu studieren. Ich bin außerdem schon viel zu alt dafür.

Mit 20, so so. Immerhin sind Sie einer der Besten oder sogar der Beste Ihres Alters in NRW.

Stimmt schon, aber Schach ist für mich ein Hobby. Schön wäre es natürlich, wenn ich nach meinem Studium irgendwie damit in Verbindung bleiben könnte, zum Beispiel als Schachjournalist oder als Entwickler einer Schach-Engine.

Aber zunächst mal verteidigen Sie Anfang Juni Ihren Titel als Deutscher Juniorenmeister?

Das ist immer das Ziel, klar!

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