„Hure“, „Spasti“Lehrer verfassen Manifest gegen Hass-Sprache der Schüler

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Lehrerin

Eine Lehrerin bei der Arbeit

München – Auch nach 40 Jahren im Schuldienst hat die Lehrerin so etwas noch nicht erlebt. Als sie eines morgens zur Arbeit in einem kleinen Ort irgendwo in Bayern kommt, liest sie am Eingang zur Dorfschule eine Schmiererei: „Drecksschule! Fickt euch, ihr Lehrergesindel, ihr Untermenschen.“ Ein Einzelfall sei das nicht - ganz im Gegenteil, sagt die Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbandes BLLV, Simone Fleischmann, die aus einer E-Mail der Lehrerin zitiert.

Hass auf Schulhöfen

Auf den Schulhöfen verbreite sich zunehmend eine aggressive, hasserfüllte Sprache. Die Lehrer schlagen darum Alarm und haben ein Manifest geschrieben, das der Verband am Mittwoch in München präsentierte.

„Wir beobachten mit größter Sorge, wie sich die Stimmung, die Kommunikation in den sozialen Netzwerken und die alltäglichen Umgangsformen in unserer Gesellschaft verändern“, heißt es in dem Manifest mit dem Titel „Haltung zählt“. „Diese Verrohung des Umgangs wirkt sich auch auf unsere Kinder und Jugendlichen aus.“ Und: „Extreme Gruppierungen und Personen, insbesondere Repräsentanten der Rechtspopulisten und Rechtsextremen, tragen zu dieser Verrohung des Umgangs maßgeblich bei.“

Agrression gegen Minderheiten

Lehrer beobachteten bei ihren Schülern inzwischen eine „zunehmende Aggressivität gegenüber Andersdenkenden, Ausländern und Flüchtlingen“, sagt Fleischmann - und das gelte nicht nur in Bayern, sondern bundesweit. Nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbandes hat die nicht nur verbale Gewaltbereitschaft auf dem Schulhof bereits zugenommen - „und zwar im quantitativen und auch um qualitativen Sinn“. „Wenn Gewalt ausgewirkt wird, dann ist sie auch roher geworden“, sagt Verbandspräsident Josef Kraus. Und die sprachliche Verrohung beginne schon ganz früh. „Sie hören heute schon von Acht- oder Neunjährigen Begriffe wie „Hure“, „Spasti“, „Asylant“.“

Ton in der Politik als schlechtes Vorbild

Der Neurologe und Psychotherapeut Joachim Bauer von der Uniklinik Freiburg macht für diese Entwicklung - wie Fleischmann - vor allem den Ton aktueller politischer Debatten verantwortlich. Wenn Politiker offen darüber reden, als Ultima Ratio auf Flüchtlinge zu schießen, sei das unglaublich gefährlich. Auch Begriffe wie „Flüchtlingsflut“ seien sehr problematisch. „Eine Flut bedeutet für Kinder Gefahr“, sagt Fleischmann. „Die verbinden damit, dass Menschen sterben.“

Durch Twitter und Facebook beeinflusse inzwischen eine informelle Diskurskultur die öffentliche Debatte, meint der Leiter des Institutes für Deutsche Sprache in Mannheim, Ludwig Eichinger: „Es ist nicht die Sprache, die verroht. Es ist der Sprachgebrauch.“ Aufgabe der Schule sei es, Alternativen zu dieser Art der Kommunikation aufzuzeigen.

Sprache und Verhalten eng vernetzt

Neurologe Bauer sieht zwischen aggressiver Sprache und aggressivem Verhalten einen engen Zusammenhang. „Worte wirken massiv auf das Gehirn.“ Es sei beunruhigend, „wie in den sozialen Netzwerken Hass kultiviert wird“. Denn: „Ich kann mit Sprache einwirken auf das Gehirn anderer Menschen.“ Beschimpfungen und Demütigungen lösten im Gehirn erst einen Schmerz und dann Aggression aus, sagt Bauer. „Hasssprache erhöht die Bereitschaft, selbst gewaltbereit zu handeln.“

Bauer zitiert dafür eine Studie von Kinderärzten in den USA, die von der Iowa State University veröffentlicht wurde. Danach begünstigt es die Tendenz zu aggressivem Verhalten, wenn Kinder und Jugendliche aggressive Lieder hören. Dass Schüler in ihren Äußerungen ab und an über das Ziel hinausschießen, sei nicht das Problem, sagt Bauer. Problematisch werde es dann, wenn Eltern schlechte Vorbilder seien und es tolerierten, wenn ihr Kind verbal um sich schlage - oder selbst am Frühstückstisch rassistische Hassparolen von sich gäben. „Wir brauchen einen Konsens, dass bestimmte Dinge einfach nicht gehen.“ Lehrerverbands-Chefin Fleischmann betont: „In der Schule von heute sitzt die Gesellschaft von morgen.“

Infos zum Manifest

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