DänemarkIn diesem „Dorf der Vergesslichen“ leben Demenzkranke

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Die Projektleiterin des Demenzdorfs im dänischen Svendborg (Dänemark), Annette Søby, zeigt den Park und den Teich der Einrichtung.

Svendborg – Ove ist der Hühner-Flüsterer. Am Nachmittag kommen sie in sein Wohnzimmer, sitzen auf seinem Schoß. "Sie schauen gern fern", sagt der 58-Jährige mit dem Rauschebart. Sieben Eier habe er heute früh gesammelt. "Ein guter Tag." Ein guter Tag auch, weil sich Ove Hansen am Nachmittag noch an die Eier vom Morgen erinnert. Das ist nicht selbstverständlich, hier im Demenzdorf im dänischen Svendborg.

Demenz, das beschreiben Betroffene als Schwarze Löcher im Gedächtnis, als Konfetti im Kopf. Das Gehirn verliert an Leistung, es ist eine der häufigsten Erkrankungen im Alter. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft geht davon aus, dass allein in Deutschland rund 1,6 Millionen Menschen betroffen sind. Bei etwa zwei Dritteln geht die Demenz auf eine Alzheimer-Erkrankung zurück.

Viele Betroffene leben in einer Alternativwelt. In den Supermarkt, zum Frisör - was einmal selbstverständlich war, funktioniert plötzlich nicht mehr. Körperlich sind viele aber so fit, dass normale Pflegeheime ihnen nicht gerecht werden. Die Kommune Svendborg auf der dänischen Insel Fünen hat deshalb ein eigenes Dorf für 125 Demenzkranke eingerichtet. Es ist eine Stadt in der Stadt, mit Laden, Friseur, Fitnessstudio, Café und Teich. Hier kann man in der eigenen Wohnung leben - und doch geschützt.

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Der 58-jährige Ove Hansen sitzt in seinem Wohnzimmer im Demenzdorf mit einem Huhn auf dem Schoß.

"Wenn ich im Park laufen will, laufe ich im Park", sagt die 81-jährige Jytte Voigt bestimmt. Jytte spricht noch immer fließend Englisch - doch von einem Spaziergang im Ort würde sie wohl nicht zurückfinden. Im Demenzdorf kann sie nicht verloren gehen. Es ist paradox: Der Zaun am Ende von Straße und Park gibt den Bewohnern Freiheit.

Ohne ständige Aufsicht leben

"Es ist ein guter Weg, den Menschen ein normaleres Leben zu geben", sagt Svendborgs Bürgermeister Lars Erik Hornemann. Das Demenzdorf sei Teil der Stadt, "aber einer, in dem die Menschen nicht die ganze Zeit beaufsichtigt werden müssen". Die Bewohner sind zwischen 50 und 102 Jahre alt. Sie können spazieren gehen, sich zum Kaffee verabreden, einkaufen. Schokolade ist der Bestseller im Laden. Kommen Angehörige zu Besuch, haben die Bewohner viel mehr zu erzählen als in einem Heim. "Das macht auch das Besuchen einfacher", sagt Projektleiterin Annette Søby.

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Ein Wohnhaus mit Wohnungen für Demenzkranke

Demenzdörfer gibt es auch im niederländischen De Hogeweyk und in Deutschland in der Nähe von Hameln in Tönebön am See. Anders als dort aber sind die Demenzkranken in Svendborg nicht eingesperrt. "Das verbietet in Dänemark das Gesetz", sagt Søby. Theoretisch kann jeder Bewohner hinausgehen in die Nachbarschaft - wenn er den Ausgang findet. "Dann haben sie ein GPS, so dass wir sie im Notfall aufspüren können." Viele aber sehen den gut versteckten Ausgang nicht.

"Verglichen mit dem durchschnittlichen Pflegeheim sind Demenzdörfer in jedem Fall ein Fortschritt", sagt Susanna Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Die Einrichtung müsse aber Teil der Nachbarschaft sein - was zumindest in De Hogeweyk und Tönebön nicht funktioniere. In Svendborg soll ein Kinderspielplatz gebaut werden, für die Enkel der Bewohner und für die Nachbarkinder. Jeder könne hier spazieren gehen oder seinen Hund ausführen, sagt Søby.

Der Nürnberger Demenzforscher Wolf Dieter Oswald hält wenig von reinen "Dörfern der Alten". In der Pflege müsse es wie in der Behindertenhilfe Konzepte von sozialer Teilhabe und Inklusion geben. Søby entgegnet: "Es gibt einen Grund, dass die Menschen hier sind." Weil sie ungeschützt nicht klarkommen.

Im einigen Demenzdörfern lebten die Bewohner in einer Scheinwelt, sagen Kritiker. Im holländischen De Hogeweyk gibt es sogar eine Bushaltestelle, an der niemals ein Bus hält. Trotzdem sitzen die Alten hier und warten. "Man macht ihnen etwas vor", kritisiert Søby. "Wir wollen keine Kulisse sein." Dann lieber Kaninchen, Erdbeerfelder, Karottenbeete. Oder eben Hühner, die echte Eier für echten Kuchen legen. "Hühner hatte ich schon immer", sagt Ove Hansen. Daran erinnert er sich. (dpa)

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