Abo

NRW-GesundheitsministerinWertschätzung für Contergan-Geschädigte

Lesezeit 3 Minuten
Contergan

Das Medikament hinterließ bleibende Spuren: Die contergangeschädigte Leistungssportlerin Bettina Eistel putzt ihr Pferd Fabuleux.

Düsseldorf – Auf diesen Moment haben viele Opfer des folgenschwersten Arzneimittelskandals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Leben lang gewartet. Darauf, dass sich die Politik auf sie einlässt. Dass man sich auch auf Regierungsebene für die vielen noch offenen Fragen rund um Contergan interessiert. Darum war der Auftritt von NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) in Düsseldorf für manche der Anwesenden mindestens wichtig, für andere sogar "historisch".

Steffens stellte vor rund 200 Betroffenen einen Forschungsbericht zur Rolle des Landes NRW im Conterganskandal vor. Und sie bat am Ende die Opfer und ihre Familien mit Tränen in den Augen um Entschuldigung. Das Land habe nicht schnell, effektiv und hartnäckig genug gehandelt. Das, so Steffens, sei "beschämend".

In Deutschland leben 2400 Contergangeschädigte

Rund 2400 Contergangeschädigte leben in Deutschland, in NRW sind es etwa 800. "Und jeder von uns ist ein Unikat", sagt Udo Herterich, Leiter des Interessenverbandes Contergangeschädigter NRW. "Unikate" sind sie, weil ihre Lebensgeschichten und ihre Körper so unterschiedlich sind. "Manche haben vier oder einen Finger, manche haben innere Schädigungen, mache arbeiten noch, andere sind schon mit 40 in Rente gegangen", erzählt Herterich. Er selbst hat verkürzte Beine, ein Daumen fehlt, ein Augenmuskel ist gelähmt.

Für Udo Herterich und seine Frau Claudia ist dieser Tag ein besonderer. "Dass das Land seine Rolle in dem Skandal von unabhängigen Forschern überprüfen lässt und diesen Bericht nicht in einer Schublade ablegt, sondern sich direkt den Betroffenen stellt, ist aus unserer Sicht eine Wertschätzung", finden beide. Eine Wertschätzung nicht nur gegenüber den direkt Betroffenen, die bald im Seniorenalter sein werden, sondern auch gegenüber ihren Eltern. "Unsere Mütter und Väter wurden von Ärzten und Behörden im Stich gelassen.

Schallende Ohrfeige für die Behörden

Man hat ihnen einreden wollen, sie selbst seien schuld an den Schäden und nicht das Medikament Contergan", erzählt Udo Herterich. Fast 700 Seiten stark ist der Bericht zur Haltung des Landes im Conterganskandal, geschrieben von dem Historiker Niklas Lenhard-Schramm aus Münster. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist eine schallende Ohrfeige für die Behörden in den 1950er und 1960er Jahren. Die Studie beschreibt einen in diesem Skandal komplett überforderten Staat, eine "Gesundheitsverwaltung in Abwehrhaltung" und eine "behäbige" Justiz. Eine Aufklärung der Bevölkerung erfolgte nicht, heißt es. Der Contergan-Hersteller Grünenthal aus Stolberg bei Aachen durfte das Medikament bis 1961 weiter verkaufen, obwohl es Tausende Nebenwirkungsmeldungen gab. 5000 Menschen wurden geschädigt.

Die Studie stieß nicht allerseits auf ungeteilte Zustimmung. Andreas Meyer, Chef des Bundes Contergangeschädigter und Grünenthalopfer, sprach vom "Weichspülen der tatsächlichen Verhältnisse". Die Wissenschaftler hätten sich nicht genügend mit dem Bezug mancher Akteure im Contergan-Skandal zur NS-Zeit beschäftigt, so die Kritiker. Auch die Rolle des früheren NRW-Justizministers Josef Neuberger (SPD), der Mitarbeiter von Grünenthal als Anwalt verteidigt hatte, hätte intensiver beleuchtet werden sollen.

Rundschau abonnieren