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Über AnglizismenNach einem Coffee to go zum Shopping

Lesezeit 6 Minuten
„Sale, Sale, Sale“-Schilder sind nach einem langen Winter in vielen Kaufhäusern zu sehen.

„Sale, Sale, Sale“-Schilder sind nach einem langen Winter in vielen Kaufhäusern zu sehen.

Köln – Die Sonne ist da, der Urlaub auch. Aber in den Geschäften purzeln schon die Preise - Sommerschlussverkauf, nichts wie hin! Sommerschlussverkauf? In den Geschäften? Unsinn. Die Outlets machen Sale.

Zum Beispiel Karstadt Town, der neue Concept Store in der Kölner Innenstadt. Der macht sogar einen Wow! Sale. Das ist nicht für Hunde, sondern für Menschen wie du und ich. Da gibt's - Wow hin, Wau her - einen stinknormalen Leifheit-Bügeltisch für 35 Euro. Andererseits natürlich auch Koffer für Ihr Jetset-Leben. Sie haben gar kein Jet-Set Leben? Macht nichts, denn Diese Koffer sind der Burner! Da tut man Mode Made in Germany rein, zu haben um die Ecke bei Marion Muck. Vielleicht demnächst auch bei Thomas Sabo. Bei Thomas müssen wir uns allerdings noch ein bisschen gedulden, der rüstet erst zur Eröffnung. Aber es dauert nicht mehr lang, sagt das Schild im Fenster: Coming Soon.

Shopping ist cooler und Jogging hipper

Nahebei in der Apostelnstraße brummen die Geschäfte schon. Der Laden an der Ecke heißt Adenauer & Co, respektive Cotton Garden - the essence of nature. Zwei Namen - was soll das? Vor der Tür steht rauchend ein junger Angestellter und erklärt: "Das sind zwei Brands. Die einen machen basic products, die anderen machen beach house feeling!" Das Brand mit dem beach house feeling ist Adenauer & Co. Adenauer war nicht nur der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, sondern vor dem Krieg Oberbürgermeister in Köln. Nach dem Krieg gab es einen populären Sprachkurs "Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer". Von beach house feeling wusste er nichts.

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Wenn er heute durch seine Stadt ginge, müsste der Alte vermuten, die Engländer hätten als Besatzungsmacht noch immer alles unter Kontrolle. Die Geschäfte heißen Supasalad, Paper Birdie, Nails For You, Samy Flower Design. Manche haben ihre germanischen Wurzeln fast völlig hinter sich gelassen: Unisex - Happy Hour - Dein Style - All inclusive.

Dass das Ganze Shopping heißt, ist ein alter Hut. Shopping kommt zwar aus dem Englischen, ist aber derartig eingemeindet, dass es keiner mehr merkt. Das verhält sich zu Einkaufen wie Jogging zu Dauerlauf - ist eigentlich mehr oder weniger dasselbe, aber dann doch wieder anders. Moderner, weltläufiger, hipper. Dauerlauf war anstrengend, Jogging ist cool. Shopping ist auch cool. Und oft ein bisschen doof.

Der Kabarettist Gerhard Polt hat das schon vor über 30 Jahren auf die satirische Schippe genommen. In der Rolle des Bürgermeisters des fiktiven bayrischen Kurorts Bad Hausen pries er sein Kaff wegen der großartigen Freizeitmöglichkeiten an: Mushroom searching, fresh air snapping, Weißwurschting. Darüber wurde viel gelacht. Genützt hat es wenig.

In der Konsumwelt, beim Sport, in Wirtschaft und Wissenschaft, in der Pop-Musik und den Medien und natürlich im Internet und der Computer-Branche ist das Englische - oder was wir dafür halten - allgegenwärtig. Manches ergibt sich gleichsam natürlich, die Sprache begleitet den Import der Dinge. Dass deutsche Jugendliche in der Begeisterung für die früher unbekannten American Sports das entsprechende Vokabular - vom Mountain Bike über die Halfpipe bis zum Slam Dunk - übernommen haben, leuchtet ein. Dass in einer einst durch Rock 'n' Roll und die Beatles entfesselten Musikwelt Riffs, Beats, Licks und Loops kein brauchbares deutsches Gegenstück haben, ist ebenfalls nachvollziehbar. Und weil es lang her ist, dass Konrad Zuse bei der Entwicklung des Rechners eine Pionier-Rolle spielte, wird man sich damit abfinden müssen, dass der Computer sprachlich die Nase vorn hat.

Aber das rechtfertigt nicht die Rundum-Verwendung der klebrigen Anglo-Sauce. Was zum Teufel bedeutet eigentlich "passionate for taste", was "powered by ForumGartenmöbel" oder auch "powered by Rhapsody jetzt by Base"? Warum ist aus der guten alten Hausverwaltung überall ein breitbeiniges "Facility Management" geworden? Und warum muss eine von Burda in München organisierte Konferenz, die sich mit Arbeit, Gesundheit und Bildung aus Sicht der Frauen befasst, Digital Life Design Women heißen und die knalldeutsche Schaupielerin Maria Furtwängler als Chairwoman aufbieten? Weil es da Interventions, Panels und Power Points gibt?

Sowas muss nicht sein, hat die Deutsche Bahn entschieden, und die sollte es wissen. Jahrelang war die Bahn berüchtigt für ihre Affenliebe zur Anglisierung banaler Angebote. Die legendäre Durchsage "Senk ju for träwelling Deutsche Bahn" wurde zum höhnischen Buchtitel. Zwei DB-Chefs verdienten sich als Möchtegern-Engländer den Schmäh-Orden "Sprachpanscher des Jahres". Nun sollen aus Flyer, Counter, Hotline schlichte Handzettel, Schalter, Service-Nummer werden. Call-a-Bike bekommt den hilfreichen Zusatz "Mietrad-Angebot der Deutschen Bahn". Dafür gab es Lob vom Sprachkritiker Wolf Schneider: "Englisch bei der Deutschen Bahn war Quatsch vom ersten Tag an."

Unbefangenes Vertrauen in die Muttersprache

Schneider rief mit drei Mitstreitern 2005 die Aktion Lebendiges Deutsch ins Leben, um "das unbefangene Vertrauen in die eigene Muttersprache" zu fördern und Front zu machen nicht gegen das Englische, wohl aber "gegen die schiere Anglomanie". Gemessen an dem, was uns tagtäglich überall entgegen brandet, ist der Erfolg bescheiden. Und das, obwohl die Sprachpflegerei sich großer Beliebtheit beim Publikum erfreut und der Widerstand gegen die englischen Einsprengsel ihr populärstes Anliegen ist. Rund 40 Prozent der Bürger stört die Flut der Anglizismen, unter den Älteren sind es mehr als zwei Drittel. Die Hälfte wünscht, dass dagegen etwas unternommen werde. Wird es auch.

Auf politischem Feld gibt es allerhand Bewegung: Vorstöße, das Deutsche als Sprache der Bundesrepublik im Grundgesetz zu verankern; Demarchen bei der EU-Kommission, die Sprache Goethes und Boris Beckers gefälligst als gleichberechtigte Arbeitssprache zu berücksichtigen; zuletzt ein Antrag der Regierungsfraktionen im Bundestag, "die deutschen Sprache zu fördern und zu sichern". All das ist Ausdruck der patriotischen Normalisierung, die sich die Deutschen in den zweieinhalb Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung gegönnt haben.

Auch das Verhältnis zur Sprache ist historisch belastet. "Wir Deutschen haben aufgrund unserer NS-Geschichte ein Problem mit unserer Sprache", stellt der Bremer Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant fest. Doch Hitlers Schatten verblasst allmählich, das "unbefangene Vertrauen" traut sich wieder was, in der Wirtschaft sowieso, aber auch beim Fußball, in der Kultur, in der Politik. Ohne dieses gewachsene Selbstbewusstsein hätte CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder kaum seine lärmige Parole ausgeben können, in Europa werde "jetzt Deutsch gesprochen".

Die sprachlichen Gräben, die die Bewohner der Erde trennen und so oft auch entzweien, werden langsam zugeschüttet. Von diesem Optimismus - in einer bescheidenen Variante - beseelt ist kein geringerer als der Bundespräsident persönlich. Joachim Gauck sagt: "Mit einer gemeinsamen Sprache ließe sich mein Wunschbild für das künftige Europa leichter umsetzen: eine europäische Agora, ein gemeinsamer Diskussionsraum für das demokratische Miteinander."

Die Agora war der Versammlungsort der freien Bürger Athens, die dort die Geschäfte ihrer Republik besprachen, natürlich auf Griechisch. Dankenswerter Weise, finden Gauck und andere, habe sich heutzutage das Englische zu einem so allumfassenden Kommunikationsmittel entwickelt, dass ein Austausch wie einst in Athen auf dem ganzen großen Kontinent möglich werde.

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