Berühmt und doch unerkannt„Kein schöner Land“ meint das Bergische

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Kennt sich aus mit bergischem Liedgut:Herbert Stahl ist der Herkunft von „Kein schöner Land“ nachgegangen und hat niederrheinisch-bergische Wurzeln entdeckt.(Fotos: Wagner)

Kennt sich aus mit bergischem Liedgut:Herbert Stahl ist der Herkunft von „Kein schöner Land“ nachgegangen und hat niederrheinisch-bergische Wurzeln entdeckt.(Fotos: Wagner)

BERGISCH GLADBACH – Als der Oberpräsident der preußischen Rheinprovinz Ende des 19. Jahrhunderts das Bergische Land bereiste, wollte er in Solingen eine das Bergische Land charakterisierende Hymne hören.

Doch der dortige Chor zuckte mit den Schultern, meinte, so etwas gäbe es nicht und ließ 1892 das heute weithin bekannte „Bergische Heimatlied“ komponieren. Eigentlich wäre das nicht nötig gewesen. Denn eine bergische Hymne gab es schon Jahrzehnte zuvor – wenn man sie nur als solche erkannt hätte. Das hat der Bergisch Gladbacher Geschichtsforscher Herbert Stahl nach umfangreichen Untersuchungen herausgefunden. Dabei ist die ursprüngliche bergische Hymne kein geringeres Lied als „Kein schöner Land in dieser Zeit“ – das bundesweit „gegenwärtig bekannteste und beliebteste Volkslied“, wie selbst das in Freiburg herausgegebene „Historisch-kritische Liederlexikon“ attestiert.

Freilich bedurfte es einiger historischer Forschungen, um herauszufinden, dass „Kein schöner Land“ das Bergische beschreibt. Denn der Volksliedforscher und Komponist Anton Wilhelm von Zuccalmaglio hat das Lied 1840 im zweiten Band seines Werkes „Deutsche Volkslieder mit ihren Original-Weisen“ unter dem Titel „Abendlied“ mit der Herkunftsangabe „Vom Niederrhein“ versehen.Damit hat der lange Zeit in Schlebusch wohnende Zuccalmaglio, der sich nach seinem Geburtsort auch „Wilhelm von Waldbrühl“ nannte, allerdings keineswegs die heute unter diesem Namen bekannte Region an der Grenze zu den Niederlanden gemeint, wie Herbert Stahl herausgefunden hat. Vielmehr meinte er das Bergische Land „am Niederrhein“. Schließlich sei der Fluss geographisch gesehen, so Stahl, ab der Kölner Bucht als „Niederrhein“ zu bezeichnen.

Der Gladbacher beruft sich dabei nicht nur auf eigene Aussagen Zuccalmaglios, der beispielsweise in einem Brief an Hoffmann von Fallersleben schreibt: „Die Lieder wurden vor Jahren zwischen Ruhr und Sieg im Gebirge wie im Rheintale gesungen“, sondern auch auf wissenschaftliche Untersuchungen wie die des Musikwissenschaftlers und Musikhistorikers Walter Wiora. Daraus geht auch hervor, dass Zuccalmaglio „Kein schöner Land“ wahrscheinlich auch nicht „nur“ als Volkslied aufgezeichnet, sondern in weiten Teilen sogar selbst geschrieben hat. „Wenn aber der Text von Zuccalmaglio stammt, so hat er ihn naturgemäß als sein eigenes Gedankengut wiedergegeben, das durch seine Herkunft und aufgrund von Anregungen aus seiner Umgebung, dem Rheinisch-Bergischen, geprägt war“, schließt Stahl.

Mit den Textzeilen „Kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das uns're weit und breit, wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit“ ist demnach ursprünglich das Bergische Land oder zumindest dessen dem Rheintal zugewandter Teil gemeint.Gleichwohl ließ sich die im Lied enthaltene Landschaftsbeschreibung natürlich auf viele Regionen beziehen. Das dürfte denn auch den Erfolg des Liedes erklären: Nur weil es so allgemeingültig gehalten war, konnte es als Volkslied eine solch weite Verbreitung im deutschsprachigen Raum finden.

Bei seinen Forschungen, die Herbert Stahl auch in einem wissenschaftlichen Aufsatz im aktuellen Rheinisch-Bergischen Kalender veröffentlicht hat, nahm der Geschichtsforscher neben Anton Wilhelm von Zuccalmaglio auch Werke von dessen Bruder Vinzenz von Zuccalmaglio, genannt „Montanus“, unter die Lupe.

Mit Unterstützung des ehemaligen Leiters der Gladbacher Musikschule, Josef Fröhlingsdorf, der Zuccalmaglio-Expertin Else Yeo und dem Diplom-Geographen Gerhard Geurts ließ sich dabei detailliert nachweisen, dass sich beide Brüder darin einig waren, dass sie „vom Niederrhein“ stammten.Auch wenn heute die meisten Menschen im Bergischen Land bei einer bergischen Hymne (noch) in erster Linie an das „Bergische Heimatlied“ denken – die einzige Ode auf das Land zwischen Ruhr und Sieg ist dieses Lied offenbar nicht.

Weiter bekannt ist „Kein schöner Land“ allemal – und nach Herbert Stahls Forschungen künftig vielleicht auch bewusst als Lied aus dem Bergischen Land.

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