Besuch in der Vergangenheit

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PULHEIM. Nein, er hege überhaupt keinen Groll gegen die Deutschen, sagt der am 4. August 1916 in Kaszewy bei Kutno (Polen) geborene Zygmunt Tworus, vielmehr betrachte er Deutschland wegen der vielen Freundschaften als „zweite Heimat“.

Dabei hätte der 93-Jährige allen Grund, Hass gegen die Deutschen zu hegen. Er musste schließlich als Zwangsarbeiter in Deutschland in der Landwirtschaft schuften, wurde als „Untergrundkämpfer“ inhaftiert und in Brauweiler misshandelt. Nach langer Genesungsphase in einem amerikanischen Militärhospital sah er erst 1946 seine Frau in Warschau wieder, die er vor dem Krieg, einundzwanzigjährig, geheiratet hatte.

„Das war doch der Staatsapparat der Nazis und die Gestapo, nicht die Deutschen, die das alles getan haben.“ Noch heute ist er der Familie, auf dessen Landgut er ab 1940 arbeitete, freundschaftlich verbunden. „Die Familie Nytus hat mich immer als Menschen behandelt.“

Im Rahmen der Woche zur deutsch-polnischen Verständigung besucht Zygmunt Tworus nach 1996 nun zum zweiten Mal Brauweiler, den Ort, wo er von der Gestapo gefangen gehalten wurde. Seine Zelle existiert nicht mehr. Der Männertrakt des Gestapo-Gefängnisses wurde niedergerissen. Im Buch „Was in Brauweiler geschah“ zeigt er auf einem Foto seine Zelle. Und er erläutert die Formulierungen aus seinem Haftbefehl.

Es wurde nie

Anklage erhoben

Ihm wurde zur Last gelegt, dass er Mitglied der „Polska Armia Podziemna“, kurz PAP, war. Die PAP war 1942 von der polnischen Exilregierung in London als „Heimatarmee“ gegründet worden. Sie sollte den Feind in dessen Land bekämpfen und Anschläge auf Industrieanlagen verüben. Tworus weist auf seine Kriegsgefangenen-Nummer „20 B 11771“, die ihn während seiner gesamten Zeit in Deutschland begleitete. Auch ärgere es ihn, dass man seinen Vornamen eingedeutscht hatte. „Hier steht Sigmund, doch ich schreibe mich Zygmunt.“

Bereits am 10. September 1939 geriet der Luftwaffenangehörige Tworus zusammen mit Millionen anderer polnischer Soldaten in deutsche Gefangenschaft. Im April 1940 wurde der gelernte Landmaschinentechniker nach Deutschland deportiert und als Landarbeiter dem 400 Jahre alten Gut St. Hubert bei Krefeld zugeteilt. Dort erfuhr er, wie er berichtet, viel Menschlichkeit, sogar Freundschaft.

Am 8. August 1944 wurde er verhaftet. Der polnische PAP-Kurier Edmund Ulinski war auf dem Kölner Hauptbahnhof festgenommen. Bei sich trug er eine Liste mit 277 Namen von geheimen Mitgliedern der PAP in Deutschland. Auch Tworus stand auf der Liste. Die Nazis witterten Gefahr durch die vielen polnischen Gefangenen im Land und gingen rigoros gegen mutmaßliche PAP-Mitglieder vor. Anklage wurde gegen Tworus indes nie erhoben.

Nach der Rückkehr 1946 musste er erst seine Frau im zerstörten Warschau ausfindig machen. Zwei Söhne zog er mit ihr groß und freut sich heute über vier Enkel. Er arbeitete lange als Techniker und Fahrer in einer Transportfirma. Mehrere Male arbeitete er sogar als Saisonarbeiter auf dem Gutshof St. Hubert. Die Familie Nytus hatte ihn eingeladen. Das war möglich geworden, als der ehemalige polnische Staatspräsident Gierek das Land nach Westen hin öffnete. Dass es eine Gedenkwoche in Brauweiler gebe, findet er großartig, meint aber, dass Aussöhnung in viel größerem Rahmen erfolgen sollte.

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