GeldfälscherDie Blüten des kölschen Andy Warhol

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Seit drei Jahren sitzt Hans-Jürgen Kuhl im Knast. Der Freigänger darf aber in sein Atelier. (Foto: Krasniqi)

Seit drei Jahren sitzt Hans-Jürgen Kuhl im Knast. Der Freigänger darf aber in sein Atelier. (Foto: Krasniqi)

Die linke Gesichtshälfte im Staub, die rechte unter dem Kampfstiefel eines Elitepolizisten eingeklemmt, denkt Hans-Jürgen Kuhl: "Ja, Scheiße, das war's jetzt wohl." Aus den Augenwinkeln sieht er, wie SEK-Beamte sein Atelier stürmen, die Maschinenpistolen im Anschlag. Andere umstellen das Gelände, zwei bewachen ihn, den grauhaarigen, hoch gewachsenen, schlanken Mann, den 65 Jahre alten Künstler, den "kölschen Andy Warhol", der nicht nur teure Bilder, sondern nebenbei auch 16,5 Millionen amerikanische Dollar gedruckt hat.

Es ist der 23. Mai 2007, kurz nach zwölf. Die Sonne strahlt. Nach ein paar Minuten gibt der Einsatzleiter Entwarnung: Kuhl ist offenbar allein. Ein Beamter bietet ihm einen Stuhl an. "Jau, das wäre jetzt nicht schlecht", antwortet der Künstler. Rappelt sich auf und nimmt Platz. Ein Polizist fühlt seinen Puls - nicht, dass der alte Herr vor lauter Aufregung noch kollabiert. Bevor man ihn zum Streifenwagen führt, blickt Hans-Jürgen Kuhl einem Beamten in das verspiegelte Visier des schwarzen Schutzhelms. Er grinst und sagt: "Gut gemacht, Jungs, mit 30 Mann habt ihr mich tatsächlich geschafft."

Ein Gericht hat Hans-Jürgen Kuhl Ende 2007 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er verbüßt seine Strafe im offenen Vollzug in der JVA Euskirchen. Ein Spitzenbeamter, der seinerzeit gegen Kuhl ermittelt hat, urteilt heute: "Der Kuhl ist kein Gangster im klassischen Sinn. Der ist ein Künstler, ein Intellektueller. Und die Scheine, die er nachgemacht hat, waren gut, supergut."

Hans-Jürgen Kuhl, geboren 1941 in Köln, aufgewachsen in Braunsfeld, gilt als zweitbester Dollar-Fälscher der Welt, übertroffen angeblich nur von Nordkoreas irrem Diktator Kim Jong-Il.

Die Geschichte des Hans-Jürgen Kuhl ist so unglaublich, dass der Kölner Schriftsteller Christoph Gottwald sie auf 349 Seiten aufgeschrieben hat. "Blütenträume" heißt das Werk, das jetzt im DuMont Buchverlag erschienen ist. Gottwald nennt es eine "Gauner-Vita". Denn sozialisiert wurde Hans-Jürgen Kuhl nicht in einer Künstlerfamilie oder auf Universitäten und Hochbegabten-Kollegs, sondern auf den Kölner Ringen im Ganovenmilieu der 60er und 70er Jahre. Seine Kumpels waren keine aparten Kunstschöpfer, sondern Draufgänger wie "Schäfers Nas" und "Dummse Tünn", kölsche Originale wie "Druxes Pitter", "Potato Mäc" mit seinem Pommes-Büdchen am Dom und der Landwirt Klaus-Dieter Timmermann mit seiner Pudeldame "Fünzchen".

Eigentlich hatte alles ganz harmlos angefangen, man könnte auch sagen: wohlbehütet. Kuhls Vater war Fabrikbesitzer, die Stiefmutter Hausfrau. Drei Söhne, drei Töchter, eine Villa am Stadtwald - eine wohlhabende, urkölsche Familie. Die Lehrer mochten Hans-Jürgen, aber er mochte die Schule nicht. Mit Ausnahme von Malen und Sport ließ sich der Achtjährige für wenig begeistern. Seine Gesellenprüfung als Fotokaufmann bestand Kuhl mit "ausreichend".

Exklusive Mode für die Ring-Szene

Eine Weile verkaufte er ausrangierte Kameras, dann kehrte er der Fotobranche den Rücken. Die Kölner Ringe genossen zu jener Zeit in der ganzen Bundesrepublik einen schillernden Ruf. Berühmt für ihre Nachtclubs, berüchtigt wegen ihrer kampflustigen Unterweltgrößen. Kuhl hatte in der Szene den Spitznamen "De Duv" - die Taube. Den Grund kann er heute selber nicht mehr so genau erklären. Von krummen Geschäften hielt er sich weitgehend fern, aber viele Männer, mit denen er verkehrte, waren Stammkunden bei der Polizei.

Auch bei den Frauen hinterließ der schlanke, gut aussehende Braunsfelder mächtig Eindruck. Kein Wunder, sei doch "Abjagen ohne Ende" zu jener Zeit seine Lieblingsbeschäftigung gewesen, erzählt Kuhl. Sein bevorzugtes Beuteschema lässt sich mit "blond und üppig" zusammenfassen.

Um auf der Flaniermeile eine gute Figur abzugeben, schneiderte Kuhl seine Hemden eigenhändig um - Hauptsache eng anliegend. Das gefiel auch seinen Kumpels, und schon war eine neue Geschäftsidee geboren: Kuhl mietete ein Appartement am Ebertplatz, bearbeitete Army-Hemden mit Nadel und Schere und versorgte fortan die Ring-Szene mit seinen exklusiven Stoffen. Für die Frauen schneiderte er ab Mitte der 60er Jahre Hotpants aus Leder. Die knappen Höschen wurden zum Verkaufsschlager. "De Duv" sattelte um auf die Produktion von Lederjacken und nannte sein Modelabel "Paloma" - spanisch für Taube.

Er kaufte sich teure Autos, scheffelte seine erste Million und wurde zum "Star der Kölner Szene", wie er sagt. Ein Leben zwischen Autorennen in Monte Carlo und LSD-Partys in Rodenkirchen. "Ich wollte eigentlich nur genug Geld verdienen, um mir meine Hobbys finanzieren zu können."

Mit den Jahren verlor Hans-Jürgen Kuhl die Lust am Modemachen. 1985 schuf er sein erstes Kunstwerk. Er schaute sich das berühmte "Flowers"-Motiv von Andy Warhol ab und brachte die Blumen als poppige Siebdruck-Bilder unter die Leute. Es folgten Motive von Marilyn Monroe über Beethoven bis zum Kölner Dom. "Ich benutzte zwar Warhols Technik und übernahm einige Motive von ihm, aber immer veränderte ich sie leicht."

Als ihn ein Galerist einmal auf einer Vernissage mit Andy Warhol zusammen brachte, wollte der weltberühmte Popart-Künstler wissen, woher der schlaksige Mann mit dem dichten schwarzen Schnurrbart und den dunklen Haaren stamme. Kuhl antwortete: "I'm from Brownsfield." Fragend blickte der Meister ihn an. "Is that in the North of Africa?" Kuhl verneinte: "It's in the West of Cologne." Warhol hob die Augenbrauen. "Is it sexy, that Brownsfield?" Kuhl schüttelte den Kopf. "Not really."

Vom Warholfälschen zum Dollarfälschen war der Schritt irgendwann nicht mehr groß. Ein Albaner namens Sinan, mit dem Kuhl sich regelmäßig beim Italiener zu Nudeln und Espresso traf, schwadronierte, er hätte Kontakte, er könnte die falschen Dollars verkaufen, ein todsicheres Ding! Kuhl zögerte, aber Sinan drängte. Für zehn Millionen Blüten könnte er zwei Millionen echte Dollars locker machen, prahlte der Albaner.

Irgendwann war es um Kuhl geschehen. Angestachelt von einer Hand voll weiterer Kumpels aus der Halbwelt gingen künstlerischer Eifer und profane Geldgier eine fatale Verbindung ein. Während der nächsten Wochen recherchierte und experimentierte Kuhl. Er klebte und druckte, studierte und kopierte. "Jetzt wollte ich es wissen. Jetzt wollte ich es allen zeigen. Wenn schon falsch, dann richtig. Jetzt wollte ich die besten Dollars machen, die je ein Fälscher gemacht hatte."

16,5 Millionen falsche US-Dollar stellte die Polizei damals sicher. Mit den weitaus meisten Scheinen war er allerdings so unzufrieden, dass er sie im Schredder versenkte. Was der 1997 verstorbene "Schäfers Nas" wohl zu der ganzen Geschichte sagen würde? Kuhl zieht an seiner Zigarette. "Jot", antwortet er nach einer Pause. ",Jot jemaht', würde er sagen. Und wahrscheinlich so was wie: ,Ävver Minsch Jung, woröm has do dich dann erwische losse?'"

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