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Hof auf der Leykaul wird abgerissen

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DREIBORN. „Alles Quatsch“, würde Paul Sluzala heute sagen, wenn er erfahren hätte, dass sein Hof auf der Leykaul zur Sicherheitszone erklärt wurde. Immerhin wurde er dort 85 Jahre alt und würde vielleicht heute noch leben, wenn er nicht im Winter 2007 von der Leiter gefallen wäre und sich dabei einen Wirbel angeknackst hätte. Wenige Monate später starb er und wurde im Januar 2008 auf dem Friedhof in Dreiborn unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt.

Pauls Gehöft auf der Leykaul ist von Nationalparkflächen umschlossen. So lag es auf der Hand, dass der Hof und die dazugehörenden Fläche von der Nationalpark-Verwaltung erworben wurde. Damit wächst der 10 800 Hektar große Nationalpark um weitere elf Hektar. Auf der Suche nach einer Nachnutzung schaltete das Nationalparkforstamt einen Gutachter ein, der eine hohe Belastung mit besonders gefährlichen Baumaterialien im Gebäude feststellte. „Uns blieb nur noch der Abriss“, so Henning Walter, der Leiter des Nationalparkforstamts.

Derzeit ist das Anwesen, das von einer Kommerner Fachfirma abgerissen wird, nur mit Sicherheitsanzug und Maske zu betreten. Noch vor Weihnachten soll es eingeebnet sein. Die Container, in die das gesamte Haus gepackt wird, stehen in Dreiborn am Holter bereit. Danach wird alles auf einer Sonderdeponie entsorgt. „Selbst in den Wänden des Wohnzimmers, in der Heizungsisolierung, in allen Böden und der Außenverkleidung stecken erhebliche Mengen Giftstoffe wie Asbest“, erklärt Walter. Mit dem Abriss des Gehöfts geht auf der Leykaul die Ära der Familie Dardenne zu Ende, die Paul bis zuletzt hoch gehalten hatte. In Dreiborn und Umgebung kannte man Paul Sluzala nur unter dem Namen Paul. Er selbst bezeichnete sich gern als Pole, so dass er in der Umgebung auch als Pole von der Leykaul bekannt war. Seinen Familiennamen kannten wenige. In Wirklichkeit war Paul gar kein Pole, sondern ein Ukrainer. „Ich bin gleich zweimal meiner Jugend beraubt worden“, klagte Paul von der Leykaul immer wieder. Deutsche hatten ihn in den 40er Jahren in seinem Heimatdorf gefangen genommen und zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt, wo er, was er später als Glück empfand, bei Toni und Marie Dardenne auf der Leykaul landete.

Auf dem Hof gab es kriegsbedingt keine Männer mehr. Die beiden Frauen waren alleine und gaben Paul ein neues Zuhause. Sie bewahrten „ihren Polen“ vor der Zwangsrückführung nach dem Krieg. Paul kümmerte sich um die Landwirtschaft und die Frauen um den Haushalt. Sie führten auch eine Art Straußenwirtschaft. Nach dem Tod der beiden Frauen erbte Paul das Anwesen, das nun von der Nationalpark-Verwaltung von dessen Erben erworben wurde.

Das Gehöft liegt etwa 100 Meter vom ehemaligen Schießplatz entfernt, etwa 1000 Meter vom Artillerieplatz. Wenn dort geschossen wurde, klapperten auf der Leykaul die Fensterscheiben und manchmal verschossen sich die Belgier. Dann landeten die Geschosse auch schon mal in Pauls Gemüsegarten. Zu den belgischen Militärs hatten Paul, Toni und Marie immer ein gutes Verhältnis. Besonders die Offiziere kehrten dort gerne ein. Es war dem Trio sogar gelungen, die Schießplatzgrenze, die ursprünglich am Haus vorbeiführte, um 100 Meter zu versetzen. Auch zu Zeiten, als die übrige Bevölkerung nicht mehr auf den Schießplatz durfte, fuhr Paul quer durch das Gelände zum Einkaufen in Dreiborn. Der Weg über Erkensruhr und Einruhr war ihm zu weit. Auch als es schon den Nationalpark gab, ließ sich Paul nicht von Verbotsschildern aufhalten.

Der Hof der Leykaul gehört heute zur Gemeinde Simmerath. Bis zur kommunalen Neugliederung gehörte er zur Gemeinde Dreiborn. Von Einruhr und Erkensruhr aus ist der Weg beschwerlich und führt an vielen Ley-Löchern vorbei, die davon zeugen, dass dort einmal Schiefer gebrochen wurde. Nach dem Abriss von Pauls Anwesen geht der letzte Weiler im Dreiborner Hochland verloren. Hiervon gab es bis zur Gründung des Truppenübungsplatzes eine Vielzahl. Für viele Wanderer war Pauls Straußenwirtschaft immer einen Besuch wert.

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