70 Jahre NRW„Der Rheinländer hört nur ungern zu“

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Jürgen Becker

Für Jürgen Becker wird es höchste Zeit, dass das Ruhrgebiet zu einer Stadt zusammengeschlossen wird.

Köln – Wie groß ist er wirklich, der Unterschied zwischen Rheinländern und Westfalen? Zwei Kabarettisten - der Westfale Fritz Eckenga und der Rheinländer Jürgen Becker - sind sich da nicht einig. Wir haben mit ihnen über eine seltsame Konstruktion geredet, die in Kürze 70 wird: Nordrhein-Westfalen. Und über die Menschen, die dort leben. Im Wappen gibt sich das Bindestrichland naturverbunden: ein Pferd, ein Fluss, eine Rose. Hübsche Idee. Für die Revierbürger war leider kein Symbol mehr übrig. Sie hätten eines verdient, finden Eckenga und Becker. Wie wär"s mit einer Currywurst?

Fritz Eckenga

Ich bin ja viel in NRW unterwegs, spiele mit meinem Programm heute in Ostwestfalen, morgen im Ruhrgebiet, übermorgen im Rheinland. Und da stelle ich fest: Der Westfale braucht länger, bis er auf Betriebstemperatur kommt. Und deshalb kommen mir manchmal Zweifel vor diesem Publikum: Ich frage mich manchmal: Erreiche ich dieses Publikum heute überhaupt noch? Sie hören zu, sie sind aufmerksam, aber auch recht still.

Eckenga

Fritz Eckenga tritt mit seinem Programm oft in Nordrhein-Westfalen auf. Als Westfale hat er so einige Unterschiede bei den im Bundesland lebenden Menschen ausgemacht.

Aber zum Ende stehen sie auf, klatschen anhaltend und wollen gar nicht mehr nach Hause. Dann zeigt der Westfale, dass er warmherzig ist. Ich bin ja selber so, will die Leute erst mal kennenlernen, und dann sieht man weiter. Wenn ich in Köln oder Bonn auftrete, kann es passieren, dass die Menschen schon klatschen, bevor ich was gesagt habe.

Ich hab" dann den Eindruck, dass der Rheinländer sich freut, dass was passiert. Was, ist erst mal gar nicht so wichtig. Der Menschenschlag im Ruhrgebiet ist für mich der beste. Diese Warmherzigkeit, dieses schnelle Zueinanderfinden ist klasse.

Die Arschlochdichte ist im Ruhrgebiet nicht so hoch wie woanders. Die größte Leistung des Ruhrgebietes ist, dass dort fünf Millionen Humoristen leben, die es geschafft haben, sämtliche Klischees über ihre Heimat auszusitzen.

Karneval finde ich viel zu deprimierend. Das hat was Zwanghaftes, da mache ich nicht mehr mit. Was mich auch in Köln nervt, ist, dass der Horizont vieler Kölner knapp hinter der Stadtgrenze endet. Die halten sich für Weltstädter. Und für viele Kölner ist die Welt vielleicht schon im Bergischen Land, spätestens aber in Plettenberg zu Ende. Westfalen können sogar Witze machen, ohne etwas zu sagen oder ohne viele Worte zu machen.

Mein Vater konnte das. Wenn einer ständig quatschte, ließ er den Wortschwall an sich vorbeiziehen und meinte dann trocken: "Der hat aber viel zu erzählen". Das ist so ein komischer Zug der Westfalen, den man übrigens auch in Teilen von Bayern beobachten kann. Der Bayer selbst würde das "hinterfotzig" nennen. Klingt schlimm, ist hier aber nett gemeint. Überhaupt schätzte ich, der Westfale, meine bayerischen Kabarett-Kollegen sehr. Was Gerhard Polt macht, ist Welttheater.

Jürgen Becker

Ich finde nicht, dass sich ein westfälisches Publikum anders verhält als ein rheinisches. Da kann ich nicht den geringsten Unterschied ausmachen.

Nun gehen Kabarettbesucher aber auch hier wie da aus dem Haus, um sich einen Erkenntnisgewinn mit Humor zu verschaffen. Die wollen lachen und tun dies auch. Wer dazu in den Keller geht, kommt erst gar nicht.

Jürgen Becker

Für Jürgen Becker wird es höchste Zeit, dass das Ruhrgebiet zu einer Stadt zusammengeschlossen wird.

Wenn ich gefragt werde, ob die Klischees stimmen, ob der Rheinländer "das Herz auf der Zunge" hat und ob der Westfale schweigsam ist, sage ich: Der Westfale ist nicht schweigsam. Doch hat das Sprechen im Rheinland einen Wert an sich, unabhängig von Inhalt. Hauptsache, man hat mal gesprochen. Dafür hört er nur ungern zu. Er redet lieber selber. In der kurzen Zeit der französischen Besatzung sollen die Machthaber in Köln das Handtuch geworfen haben. Begründung: "Die Kölner kann man nicht regieren, sie hören nicht zu!"

Der Ruhri ist unverwechselbar und weder Westfale noch Rheinländer. Es wird höchste Zeit, dass man diese bodenständigen Kosmopoliten zu einer Stadt formt. Die dann größte Stadt Deutschlands bekäme als Wahrzeichen vom Popart-Künstler Claes Oldenburg eine Currywurst so hoch wie der Eiffelturm und den Namen 40800 Schimanski. Ich finde, es war genial, zwei so verschiedene Gegenden zu einem Land zu machen. Wenn der Westfale morgens aufsteht, sagt er: "Ha, was kann ich heute schaffen." Wenn der Rheinländer morgens aufsteht, sagt er: "Ha! Wo jehn mer heut Abend hin?"

Zusammen stimmt die Work-Live-Balance. NRW zieht Humoristen an wie die Kuhscheiße die Fliegen. Der Wiener Kabarettist Werner Schneider hat es mal so ausgedrückt: "Es ist die einzige Gegend der Welt, wo du zwei Wochen spielen kannst, ohne das Hotel zu wechseln." So kann man auch den Ureinwohnern von Gerburg Jahnke über Herbert Knebel bis Wilfried Schmickler diese eigentümliche Berufswahl nicht wirklich übel nehmen.

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