Bruce Springsteens neues Album„Western Stars“ entfaltet sich an der Grenze zum Kitsch

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Bruce Springsteen

Der US-Rockmusiker Bruce Springsteen

  • An der Grenze zum Kitsch gedeiht die schmachtende Schönheit des Albums.
  • Die Bitterkeit wird in Streicherseide eingeschlagen und am Ende wirkt alles wie aus einem Guss
  • Hartmut Wilmes zum 19. Studioalbum von Bruce Springsteen

Helden sehen anders aus. Nicht wie jener Schauspieler, der in seinen paar Sekunden Ruhm von John Wayne erschossen wurde, diese Glanzleistung tausendfach gegen ein paar Drinks an der Bar zum Besten gab und nun nur noch Werbung für Viagra macht. „Western Stars“ ist der Titelsong von Bruce Springsteens neuem Studioalbum, eine Nummer, die mit Hawaii-Schmelz beginnt, zum Cinemascope-Soundtrack anschwillt und insgesamt doch von melancholischer Delikatesse ist.

Das 19. Studioalbum des bald 70-Jährigen kommt ohne die rockige Druckwelle der E Street Band aus, vertraut vielmehr in 13 von Springsteen geschriebenen Songs einem mal zarten, mal opulenten Orchesterpop. Der Texter und Komponist selbst nennt die Zusammenarbeit von Glen Campbell und Jimmy Webb als Inspirationsquelle, manches erinnert aber auch an klassische Filmmusik oder den Belcanto-Pop von Roy Orbison.

Albumcover Western Stars Springsteen

Den im Konzeptalbum „Wrecking Ball“ spürbaren Zorn auf das Amerika der Profitgeier gibt der Boss diesmal an der Garderobe ab und bittet zum Ball der einsamen Herzen. Zerstörtes Glück, wohin man blickt. In „Tucson Train“ gilt alle Klangpracht einem Mann, der am Bahnsteig auf seine verprellte Geliebte wartet, um ihr endlich zu beweisen, dass er sich verändert hat.

Geschundene Körper, blessierte Seelen

Die Protagonisten dieses (sogenannten) Solo-Albums sind weder Gangster und Cops wie auf „Nebraska“ noch die Sozialverlierer, die „The Ghost of Tom Joad“ besang. Es sind einfach nur Männer, die das Beste längst hinter sich haben. Wie jener Namenlose, der in „Stones“ morgens Steine im Mund spürt – die gesammelten Lügen einer Ehe. Geschundene Körper, blessierte Seelen. Längst halten Stahlstifte die vielfach gesplitterten Knochen eines Stuntmans zusammen, die Tollkühnheit der Jugend ist nur noch Erinnerung. Doch sein trotziges Motto „Drive fast, fall hard“ will er partout nicht aufgeben. So wie diesen Song hält Springsteen viele in einer wunderbaren Schwebe zwischen Sentimentalität und Schonungslosigkeit.

Schönheit an der Grenze zum Kitsch

Gern wird Bitterkeit hier in Streicherseide eingeschlagen, und nicht nur für „Sundown“ mutiert der Sänger zum Crooner. Ja, der Kitsch ist da manchmal gefährlich nah („Hello Sunshine“), doch gerade an dieser Grenze gedeiht die schmachtende Schönheit des Albums. Produzent Ron Aniello mischte sich unter die mehr als 20 beteiligten Musiker, darunter Jon Brion (Celesta, Moog und Farfisa), David Sancious, Charlie Giordano, Soozie Tyrell und Springsteens Ehefrau und Backgroundsängerin Patti Scialfa.

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Das Ergebnis ist ebenso vital wie vielfältig. Da schaukelt „Wayfarer“ in der rhythmischen Hängematte, bevor es zur tänzerisch beschwingten Stippvisite in „Sleepy Joe's Cafe“ geht. Dennoch wirkt alles wie aus einem Guss. Und obwohl man „Western Stars“ kaum als Konzeptalbum bezeichnen kann, schmiegen sich die Geschichten fast nahtlos aneinander.

Meist stehen die Beziehungs-Bankrotteure immerhin in großen Kulissen, die man sich im nostalgischen Sepia-Ton vorstellen darf: In „Chasin' Wild Horses“ etwa ruft der Herumtreiber den Namen der schmerzlich vermissten Frau in den Canyon, der ihm nur das Echo zurückwirft.

Die herrschende Stimmung ist nicht einmal tiefste Verzweiflung, eher ein fast abgeklärter Fatalismus. Denn irgendwie bevölkern diese ramponierten Helden schon eine Art Niemandsland. Wie der Möchtegern-Star, der seine Liebste für die dann doch gescheiterte Country-Karriere verriet und nun „Somewhere North of Nashville“ gestrandet ist. Oder sein Leidensgefährte, der sich im verfallenen „Moonlight Hotel“ der verlorenen Liebe erinnert und nur einen Trost kennt: „That it's better to have loved.“ Ja, immerhin, sie alle haben einmal geliebt.

„Western Stars“ erscheint an diesem Freitag bei Sony.

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