Konzert in Kölner Lanxess-ArenaPhilipp Poisel verstört seine Fans mit wirrer Show

Lesezeit 3 Minuten
Poisel in Köln

Ein Star gibt Rätsel auf: Philipp Poisel vor un­ge­wohn­ter Kulisse in der Kölner Lanxess Arena.

Köln – Draußen vor der Arena steht ein Dudelsackspieler. In voller Montur entlockt er seinem Instrument klagende Töne. Würden drinnen die Simple Minds spielen, Runrig oder Amy Macdonald, dann wüsste man, warum. Aber drinnen spielt Philipp Poisel. Der Liedermacher aus dem Landkreis Ludwigsburg hat mit schottischer Musik in etwa so viel zu tun wie ein Pandabär mit dem Polarkreis. Jedoch, so seltsam das jetzt auch klingen mag: das, was da abgeht, hat System.

Samstag erlebten 14 000 Fans in Köln ein tolles Konzert mit Poisel und seiner Band. Aber besser ist es, man schließt dabei die Augen. Viele der ineinander verkuschelten Pärchen und selig lächelnden Freundinnen, die sich die Händchen halten, tun das auch. So können sie trefflich in Stücken schwelgen, die flehen "Geh nicht" oder fragen "Wo fängt dein Himmel an" oder fordern "Halt mich".

Gitarre (Poisel), Bass, Schlagzeug und Keyboard verleihen dem musikalisch ein solides Fundament, bei Bedarf wird noch mit drei Streicherinnen und mit bis zu vier weiblichen Stimmen aufgestockt. Dazwischen erzählt der Sänger mit dem Fransenhaarschnitt, wie es dazu kam, dass er heute doch Romane liest ("Mein Vater hat sich drei Tage mit Robinson Crusoe eingeschlossen - da dachte ich, da muss ja was dran sein") oder wie aufregend es war, nach Nashville, Tennessee, zu reisen ("Wir haben Kaffee und Whisky und ich-weiß-nicht-was getrunken"). Dass er dabei leicht haspelig rüber- kommt, macht ihn nicht unsympathischer.

Die neue deutsche Verletzlichkeit

Seine Stimme und seine Stücke treffen perfekt den Ton der neuen deutschen Verletzlichkeit. Die derzeit so angesagt ist, dass man damit sogar in den deutschen Top Ten landen kann. Und später Arenen füllen. Nach drei Studioalben, dem Kino-Song "Eiserner Steg" und einer Live-Scheibe sind die Zeiten, wo Poisel in Clubs auftritt, endgültig vorbei.

Macht man die Augen auf, hat man häufig das Gefühl, sich im falschen Film zu befinden. Klar, "San Francisco Nights" mit Bulli und Hippie-Mädels oder ein skatender Sänger nebst Super-Mario bei "Zum ersten Mal Nintendo" - das passt. Aber warum Tannenbäume beim Lied vom Himmelsanfang? Wieso muss sich zu "Mit jedem deiner Fehler" eine weiße Sperrholztänzerin um die eigene Achse drehen? Und was hat "Erkläre mir die Liebe" mit Lippenstift oder Flamingos zu tun? Kulissenschieber bekifft? Video-Regie im Paralleluniversum? Ganz und gar schräg wird es bei "Das kalte Herz".

Wer weder das Märchen von Wilhelm Hauff kennt noch die deutsche Fantasy-Verfilmung vom Herbst 2016 (zu der Poisel den Titelsong beisteuerte), glaubt angesichts der Konzert-Crew in Trachtenjankern und Hüten mit roten Bommeln, der Postkartenidylle auf der Leinwand und den beigesellten Holzsägern auf der Bühne, in der eben gekauften Cola sei versehentlich ein Pillchen versenkt worden. Immerhin lässt sich dieses Szenario, trotz der äußerst skurrilen Wirkung, noch herleiten.

Aber all die anderen unpassenden Requisiten und Bilder irritieren auf Dauer so sehr wie das Wort "Rot", wenn man es in Grün geschrieben liest. Schnell wieder Augen zu. Und hinterher draußen beim Dudelsackspieler? Zusätzlich die Ohren auf Durchzug schalten.

Rundschau abonnieren