Lit.Cologne mit Alexander KlugeVirtuoser Abend mit Hannelore Hoger und Sir Henry

Lesezeit 3 Minuten
Alexander Kluge

Hannelore Hoger war mehrfach Hauptdarstellerin in den Filmen von Alexander Kluge und bereicherte nun seine Lesung.

Köln –  Da ist sie wieder, diese leise, suggestive Stimme, mit der Alexander Kluge sein Publikum bannt. Das 1932 in Halberstadt geborene Universalgenie könnte sich längst auf einem formatsprengenden Lebenswerk ausruhen: Als Kopf des "Oberhausener Manifests" reformierte er den deutschen Film und bekam 1966 für "Die Macht der Gefühle" den Silbernen und für "Die Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos" (1968) den Goldenen Löwen von Venedig.

Seit 1988 produzierte er zudem unzählige Stunden Kulturfernsehen (dctp) und erhielt für sein vielfältiges literarisches Werk unter anderem den Büchner-Preis. Doch nun schlägt er als Autor noch einmal massiv zu: mit dem fast 700 Seiten starken Werk "Kongs große Stunde" (Suhrkamp, 38 Euro).

"Wir waren Nachbarn von Kong in Afrika", berichtet er im gut gefüllten Depot 1 und glaubt, auch der Syrien-Konflikt wäre leichter lösbar, wenn der Homo Sapiens eher in der Gorilla-Spur geblieben wäre. Schon die unglaublich geduldige Aufzucht der Jungen nimmt ihn für die "wilde Verlässlichkeit" der Menschenaffen ein.

Moderatorin Traudl Bünger attestiert dem quicklebendigen 84-Jährigen eine "schier endlose Neugierde", die dieser mit seiner "Chronik des Zusammenhangs" (Untertitel) virtuos unter Beweis stelle. Keimzelle, so Kluge, sei das Kapitel "Totenbuch für etwas, das ich liebe" gewesen, eine Erkundung über den toten Vater. Darin gibt es die "Chronik einer Sekunde", jenes väterlichen Fehltritts, der zum letztlich fatalen Oberschenkelhalsbruch führte.

Doch der Sohn, dieser quecksilbrige Assoziations-Artist, zieht rasch Verbindungen zur Jahrmillionen dauernden Kontinentalverschiebung, die zu Erdstößen mit Toten in Nepal führt - und zu einem Kind, das ein deutsches Helferpaar in einem kalten Zelt zeugt. Kluges Komplizen bei all dem sind Hannelore Hoger, die schon in seinem Film "Die Patriotin" weite Themenfelder umgrub, und der von Bellini bis Verdi versierte Pianist Sir Henry.

Zwischen den leichtfüßigen Gedankensprüngen (etwa vom Pariser Attentats-Schauplatz zu Offenbachs Operette "Ba-ta-clan") sieht man amüsante Filmchen mit Hoger als Gorilla-Mutter, verschnupfte Filmdiva oder maulwurfsblinde Börsen-Astrologin. Dann wieder Kluge, der überzeugt ist: "Wir sind klüger, als der Verstand erlaubt".

Ein Füllhorn an Einsichten, Geschichten, Denkanstößen und Aphorismen ("Die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten") wird hier elegant und amüsant ausgeschüttet. "Wir haben keine Vorstellung von Syrien", geißelt der widerspenstige Intellektuelle den "europäischen Hochmut unserer Vorväter gegenüber dem Morgenland" und ergänzt, dass Steve Jobs' Vater einst von Homs aus in die Neue Welt floh.

Auch Alexander Kluges neues Buch ist zwar voluminös, besteht aber aus kleinen, kaleidoskopartig montierten Gedankensplittern. Lockt ihn denn nie der große Roman, der epische Atem? Nun, Thomas Mann imponiert ihm schon, aber beim polnischen Knaben Tadzio aus der Novelle "Tod in Venedig" müsste er gleich spekulieren, wie es dem wohl im Ersten Weltkrieg ergangen wäre. Denn Kluge glaubt, "dass konstellative Poetik das Gebot der Stunde ist". 2016 müsse man eben anders erzählen als früher, und obendrein kann er seine Assoziationsketten nicht einfach abschneiden. "Ich schlage einen Oberton an, und der hat eine ganze Kaskade von Untertönen."

Daran war dieser ebenso anspruchsvolle wie kurzweilige Abend so reich, dass man ihn getrost unter die allerbesten aus 16 Jahren Lit.Cologne einordnen darf.

Rundschau abonnieren