Neuer BildbandSo wild waren die 80er-Jahre in Düsseldorf

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die (noch sehr jungen!) Ärzte

Die (noch sehr jungen!) Ärzte

"Macht kaputt, was euch kaputt macht!", "No future!" oder "Jung kaputt spart Altersheime!" Die Slogans der Erz-Punks waren genauso kompromisslos wie ihre Art, sich zu kleiden oder Musik zu machen. Edmund Labonté (62) hat nie einen Irokesenschnitt zur Nietenlederjacke getragen. Trotzdem war der Verleger und Mit-Geschäftsführer der lit.Cologne damals, Ende der 70er, Anfang der 80er, mitten drin. Im Epizentrum der Szene, die auch New Wave gelten ließ, aber mit Grausen registrierte, wie viel Schwachsinn später als "Neue Deutsche Welle" (NDW) etikettiert auf den Markt kam.

Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl von DAF

Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl von DAF

Chronist dieser Zeit war der Düsseldorfer Fotograf Richard "ar/gee" Gleim. Gemeinsam mit Musiker und Weggefährte Xao Seffcheque hat Labonté jetzt 200 von Gleims wichtigsten und besten Fotos in einem Buch herausgegeben. "Geschichte wird gemacht. Deutscher Underground in den Achtzigern" wird ergänzt durch 15 Texte von Zeitzeugen wie Peter Hein (Fehlfarben) und (zu) Spätgeborenen wie der Journalistin Katja Kullmann sowie eine CD mit Musikbeispielen, unter anderem von Die Ärzte und Palais Schaumburg.

Der Ratinger Hof

Der Ratinger Hof

"Wir wollten nicht so eine Gefühlsdusel-Klamotte nach dem Motto ,Oh wie geil war das damals' machen", sagt Labonté, "sondern vor allem dazu beitragen, dass das Werk von ,ar/gee' nicht ganz in Vergessenheit gerät. Er hat wie kein anderer die deutsche Musikszene der Achtziger fotografiert, da ist ein Konvolut von um die 35 000 Aufnahmen zusammen gekommen."

Im Buch sieht man DAF, Kraftwerk oder Die Toten Hosen, Mark E. Smith (The Fall), Inga Humpe (Neonbabies) oder Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten), aber auch Kneipen, Konzertsäle und Clubs, Straßenszenen, Proberäume und Kellerstudios.

Edmund Labonté

Edmund Labonté

"Ich glaube, dass die Musik der Zeit sehr viel Einfluss gehabt hat, unheimlich viele Bands orientieren sich noch heute daran. Und sie besaß eine hohe Glaubwürdigkeit und Ursprünglichkeit. Sie war Ausdruck dafür, dass man sich abgrenzen wollte", urteilt der Mitherausgeber im Nachhinein. "Heute hört man doch aus den Autos der Eltern die gleiche Musik wie die Musik, die die Kinder hören."

Mittelpunkt der Szene war aber Düsseldorf. Nicht Köln. 1979 war Labonté von der einen Stadt in die andere gezogen, "um Wirtschaft zu studieren. Ich brauche immer das Gefühl, geerdet zu sein."

Hier in Köln fand er relativ schnell Freunde: "Wir sind dann abends zusammen ins ,Bermuda-Dreieck', ins Peppermint, ins Blue Shell und ins EWG, wenn da nichts los war, sind wir nach Düsseldorf." Hier jobbte er als DJ im Club Din-A-Null, Xao Seffcheque legte im Ratinger Hof auf, dem Hotspot der Szene: "Xao war damals so etwas wie ein Popstar." Später wurden sie Freunde: "Es war immer was los, es gab unheimlich viele Konzerte, es war eine völlig unbeschwerte Zeit."

Als Teil einer Jugendbewegung empfand er sich nicht: "Ich habe mich immer als Betrachter gesehen. Ich hatte nie Interesse daran, Punk oder was anderes zu werden, mich hat vor allem hat die Musik interessiert." Und deren Weiterentwicklung: "Als die ersten TEAC-4-Spur-Kasettenrekorder auf den Markt kamen, waren alle Grenzen aufgelöst. Jeder konnte aufnehmen, im Proberaum oder bei Konzerten, und davon Platten pressen lassen." Ein Schritt in Richtung künstlerische Freiheit, den Jahrzehnte später YouTube komplett vollziehen sollte.

Wurde in den Achtzigern wirklich Geschichte gemacht, wie es im Fehlfarben-Stück "Ein Jahr (Es geht voran") heißt, dem das Buch seinen Titel verdankt? "So hoch würde ich es nicht hängen. Aber es war ein Privileg, dabei zu sein."

ar/gee gleim. Geschichte wird gemacht. Deutscher Underground in den Achtzigern. Herausgeber: Xao Seffcheque & Edmund Labonté. Heyne Hardcore, 244 S., 30 Euro.

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