Schirachs Justizdrama „Terror“Im Kölner Theater stimmt das Publikum für schuldig

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Köln – Für Franziska Meiser (31), verheiratet, von Beruf Krankenschwester, Mutter einer siebenjährigen Tochter, wohnhaft in München, ist es ein ganz normaler Tag. Ihr Mann ist morgens zu einer Besprechung nach Berlin geflogen. Abends erwartet sie ihn am Flughafen. Angeblich verspätet sich die Maschine. Dann erhält sie eine SMS: "Terroristen haben uns entführt. Wir versuchen, ins Cockpit zu kommen. Habe bitte keine Angst - wir schaffen das. Ich liebe dich!" Franziska Meisers Mann und 163 andere Menschen haben es nicht geschafft.

Die Anklage lautet auf Mord

Die Verfilmung von "Terror", des ersten Theaterstücks des Strafrechtlers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach, hat am 17. Oktober bundesweit Furore gemacht. Die ARD zeigte die (fiktive) Geschichte des Prozesses, der Lars Koch, einem Major der Bundeswehr, gemacht wird. Weil der gegen ausdrücklichen Befehl eine Passagiermaschine abgeschossen hat, die, von Terroristen entführt, Kurs auf die ausverkaufte Münchner Fußballarena nahm.

Die Anklage lautet auf Mord in 164 Fällen. 70 000 Menschen haben deshalb möglicherweise überlebt. Die Zuschauer wurden dabei zu Schöffen: Schuldig? Oder nicht schuldig? Auch im ORF wurde das Stück gezeigt.

Jetzt hatte "Terror" Premiere im Theater der Keller. 106 Zuschauer waren da, deren Urteil nach knapp 90 Minuten gefordert wurde. Dass es in diesem Fall - anders als bei der TV-Abstimmung (13,1 Prozent schuldig, 86,9 Prozent nicht schuldig) - zu einer Verurteilung Kochs kam (57 Theaterbesucher stimmten für schuldig, 49 für Freispruch) ist vor allem der grandiosen Leistung von Tatjana Polozcek als Franziska Meiser zuzurechnen.

Wenn sie, nach außen scheinbar ganz mechanisch und unberührt, Sätze sagt wie: "Da waren so lange Tische aus Metall, aber alles, was ich von ihm gefunden habe, war sein linker Schuh". Und: "Unsere Tochter hat gefragt, was denn da im Sarg ist, wenn der Papi da nicht drin ist". Und: "Den Schuh hab' ich dann im Wald vergraben" - dann ruft das bei jedem, der einen Menschen hat, den er liebt, schieres Grauen hervor.

Auch in Gänze leistet das Ensemble - vor minimalistischer grau-weiß-schwarzer Gerichtskulisse - gute Arbeit. Nicht nur deshalb, weil es ein immens packendes Stück ist, das durch die jüngsten Attentate beängstigend nah an der Realität kratzt. Die zugleich juristische und moralische Frage "Darf man ein kleineres Übel einem größeren vorziehen?" wird von Staatsanwältin Nelson (Susanne Seuffert) und Verteidiger Biegler (Hendrik Vogt) wie mit Degen ausgefochten. Hier geht es um mehr: "Nach welchen Regeln wollen wir leben?"

Hätten die Passagiere die Terroristen überwältigen können? Hätte der Pilot die Maschine im letzten Moment noch hochziehen können? Wäre das Stadion noch zu räumen gewesen? Um das zu entscheiden, blieben im Keller-Theater 15 Minuten. Lars Koch (Matthias Brüggenolte) bleiben Sekunden. Seine Not kulminiert im Aufschrei: "Wenn ich jetzt nicht schieße, werden Zehntausende sterben." Keiner der 106 Kölner Schöffen hätte an seiner Stelle sein wollen.

110 Minuten, mit kurzer Pause (Abstimmung). Nächste Vorstellungen: 22. und 26. 11. (20 Uhr), 27. 11. (18 Uhr), 15., 17., 27., 28. 12. sowie 6., 10., 24., 25.1. (jeweils 20 Uhr). Kleingedankstraße 6. Karten-Tel: 0221 31 80 59. Am 2. und 3.12. sowie am 13. und 14.1. (jeweils 19 Uhr) Vorstellungen auch im Verwaltungsgericht Appellhofplatz .

www.theater-der-keller.de

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