Aktuelle StudienZu viel Zucker kann dumm machen

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Obst oder Süßes? Beides enthält Zucker - der in Schokolade, Kuchen und Co. ist aber verzichtbar.

Obst oder Süßes? Beides enthält Zucker - der in Schokolade, Kuchen und Co. ist aber verzichtbar.

Zucker ist Nahrung fürs Hirn. Das erzählten uns schon die Großeltern, und noch heute erklärt man uns im TV-Werbespot, dass man "einfach schneller im Kopf" wird, wenn man sich zwischendurch einen Zuckerriegel einwirft. Doch offenbar ist dies nur die halbe Wahrheit. Denn aktuelle Studien zeigen, dass Zucker auch dumm machen kann.

An der Berliner Charité bat man 141 gesunde Senioren zu einem Test, bei dem sie 15 Wörter für eine halbe Stunde im Gedächtnis behalten sollten. Das Ergebnis: Teilnehmer mit viel Zucker im Blut erinnerten sich an durchschnittlich zwei Wörter weniger, und ihr Hippocampus, eines der wichtigsten Erinnerungszentren im Gehirn, war kleiner und schlechter strukturiert als bei den Probanden mit geringerem Zuckerwert. In einer englischen Studie fühlten sich Kinder nach einem süßen Frühstück zwar wach und selbstbewusst, doch ihre tatsächlichen Lernleistungen sackten in den Keller. Das Gehirn nimmt es also übel, wenn es zu viel Zucker bekommt.

Hirnmasse kann schrumpfen

Was zunächst einmal rätselhaft klingt, insofern kein anderes Organ so nötig Zucker braucht wie die Denkzentrale unter der Schädeldecke. Doch auf Überdosierung reagiert sie fast wie auf eine Vergiftung. "Unter massiver Zuckerzufuhr werden weniger Proteine für die Neubildung von Nervenzellen und Synapsen aktiviert", erklärt Neurobiologe Fernando Gomez-Pinilla von der University of California. Außerdem reagiert vor allem der Hippocampus schlechter auf Insulin, so dass dieses Hormon keinen Zucker mehr einschleusen kann. Beide Aktionen sollen verhindern, dass aktive Hirnzellen sich im Rausch des Zuckerüberflusses erschöpfen. Andererseits wird dabei auch so entschieden der Saft abgedreht, dass am Ende die aktive Hirnmasse, speziell im Lernzentrum, deutlich schrumpft. Weswegen Gomez-Pinilla seine Studenten vor Prüfungen zu warnen pflegt: "Nur sechs Wochen Süßigkeiten und Limonade könnten schon dumm machen."

Mehr zur Studie und zur Empfehlung der WHO auf der nächsten Seite

Es erscheint also auch aus hirnphysiologischer Sicht sinnvoll, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, die Zuckerzufuhr auf zehn, besser sogar fünf Prozent der Tageskalorien zu begrenzen, das entspricht etwa 25 Gramm. Doch davon ist man fast überall auf der Welt noch weit entfernt. In Deutschland und den USA vertilgt man etwa 100 Gramm pro Tag und Kopf, in Australien und Brasilien sind es etwa 160 und in Kuba sogar mehr als 200 Gramm. Die Diskrepanz zwischen wünschenswerter und tatsächlicher Zuckerzufuhr ist also enorm, und das hat vor allem zwei Gründe: Zucker hat ein enormes Abhängigkeitspotenzial, und dieses Potenzial wird von der Lebensmittelindustrie massiv genutzt, um ihre Produkte besser an den Kunden zu bringen.

Im Gehirn werden sofort die Belohnungssysteme aktiv, wenn Süßes in den Verdauungstrakt kommt. Es kommt zur Ausschüttung von Dopamin, das für eine kurzfristige Befriedigung sorgt, die aber schon bald vom Verlangen nach noch mehr Zucker abgelöst wird. Weswegen Übergewichtsforscher Robert Lustig von der University of California nicht müde wird, Zucker mit Zigaretten und anderen Drogen zu vergleichen: "Wir können nicht genug davon kriegen." Als man Laborratten erst mit zuckerhaltiger Kost fütterte und plötzlich damit aufhörte, zeigten sie ähnliche Symptome wie beim Heroinentzug. Beim Menschen wurde das zwar noch nicht beobachtet, aber dass auch er nur schwer dem Süßen widerstehen kann, werden nicht nur Naschkatzen, Tortenliebhaber und Schokoholics bestätigen. Wobei die große Verführungskunst des Zuckers auch darin besteht, dass er appetitdämpfende Geschmackssignale wie etwa das Bittere überdeckt. "Selbst ein Hundehaufen wird genießbar, wenn man genug Zucker über ihn streut", betont Lustig.

Ein Fertigmüsli deckt die Tagesration

Die Lebensmittelindustrie kann sich also darauf verlassen, dass ihre Produkte durch Zucker öfter verkauft werden - und deshalb werden neben Süßwaren, Marmelade und Nusscreme auch Fleisch, Wurst, Käse, Ketchup, Fisch und Salzstangen üppig gezuckert. Verbraucherschützer kritisieren vor allem den Zucker in Soft-Drinks, weil die vom Kunden nur als Getränke und nicht als Mahlzeiten registriert werden. Und die bunten Kinderlebensmittel, weil sie frühzeitig das Geschmacksempfinden auf Süß justieren. Dass dabei Bio-Siegel und Zucker kein Widerspruch sein müssen, zeigt eine Studie der Universität Hohenheim. Dort fand man biologischen Müsli- und Cornflakesmischungen für Kinder pro 100-Gramm-Portion durchschnittlich 22,5 Gramm Zucker. Damit wäre schon beim Frühstück die von der WHO empfohlene Tagesration fast erreicht.

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