Familien in Köln und UmlandRaus aufs Land oder in der Stadt bleiben?

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Jana und Sami El Ayachi wollen mit Lia (l.) und den Zwillingen Jonan und Noam nicht mehr raus aufs Land.

Köln – Das Baby ist da. Und wohin jetzt? Die Frage stellen sich Eltern fast so reflexhaft wie die nach dem Namen des Kindes. Der Impuls, sich woanders hinzubewegen, ist im Leben selten so ausgeprägt wie zum Zeitpunkt der Familiengründung. Daran hat sich nichts geändert, sagt die Statistik und weiter, dass die Eltern in Deutschland auch heute noch überwiegend außerhalb der Großstadt nach dem Ideal suchen. Aber: Es werden immer weniger. Und aufs Land will so gut wie keiner mehr. Zwei Drittel der Kinder in Deutschland leben bereits in einem urbanen Umfeld. Die potenzielle Elterngeneration - sie zieht in Scharen in die Stadt.

Die Verstädterung sei aus unterschiedlichen Gründen schlicht nicht mehr aufzuhalten, sagt der Kölner Soziologe Jürgen Friedrichs. Und er persönlich sieht auch keinen Grund dazu. Natürlich übe das Versprechen von Vollversorgung eine ungeheure Sogwirkung aus: Bildungseinrichtungen, kulturelle Angebote, medizinische Infrastruktur. Warum rausziehen, wer hier auskömmlich arbeiten und also von den Vorzügen profitieren kann? Und selbst das ist keine Voraussetzung mehr. Auch wer es sich kaum leisten kann, bleibt tendenziell da.

Konkurrenz in den Zentren

Mehr Platz, mehr Ruhe, bezahlbares Eigentum - halten immer noch viele Familien dagegen und finden einen Teil ihres Wohlfühl-Pakets in der Tat außerhalb der wohnraumumkämpften Zentren. Gewinner dieser Familienbewegung ist aber nicht das Land, es sind Klein- und Mittelstädte, stellt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung fest. Die Frage, die sich heute Familien stellen, ist also streng genommen nicht mehr: Stadt oder Land? Sondern Stadt oder Stadt, die sich ein bisschen wie Land anfühlt?

Beispiel Köln: Die Ränder der Gemeinde füllen sich. Und die Stadt selbst wird von Familien nicht mehr so arg gemieden wie noch vor einigen Jahren. Was das bedeutet, ist längst klar: Der krasse Wettbewerb um städtischen Wohnraum lässt niemandem eine große Wahl - weder den Doppel- noch den Geringverdienern -, sondern bringt einen dazu sich zu bescheiden: mit wenig Raum für viel Geld, um irgendwie drin oder wenigstens ganz nah dran zu bleiben. Wer zugezogen ist und jemals seine Eltern von weit außerhalb zu Besuch hat, kennt die Reaktion: Kopfschütteln. Völliges Unverständnis einer Generation mit ländlich-sittlicher Vita, eigenem Haus, Garten und Stellung auf Lebenszeit. "Für das Geld bekommst du ein Haus mit Parkanlage in Hude." Na und? Die Nachfrage wächst, die Preise steigen, und Städte wehren sich mit diversen planungsrechtlichen Instrumenten gegen die ungebremste Preisentwicklung. Gegen die Verdrängung armer Familien in winzige Wohnungen und gegen die Installierung Bestgestellter in exklusiven Lagen, also letztlich gegen die Entmischung der Gesellschaft. Das jedoch kann dauern. Wir haben zwei Familien aus Köln getroffen, die tatsächlich eine Wahl hatten, hierblieben oder rauszogen. Wir haben die Gespräche protokolliert.

Glückliche Rückkehr in die Stadt

"Nie mehr außerhalb des Militärrings!" - so lautet das Credo von Familie El Ayachi, wenn man fragt, wo sie am liebsten wohnen. Wer sie noch nicht kennt, zuckt an dieser Stelle unweigerlich zusammen. Schnell ist man versucht, ihnen einen großen Bauernhof zu wünschen. Ganz weit draußen am besten, viele viele Kilometer hinter dem Militärring eben. Denn Familie El Ayachi besteht nicht nur aus den Eltern Sami und Jana, Tochter Lia (4 Jahre) sowie den Zwilligen Jonan und Noam (2 Jahre), sondern auch aus den vier Hunden Henri, Bruno, Lotti und Junah. So eine Familie braucht ein Haus und einen Garten, viel Natur, Land eben! Möchte man meinen. Doch viel zu schnell beurteilt und weit gefehlt - das wird einem schon beim ersten Gespräch mit den Eltern klar. Wenn eine Familie ihr Leben in Köln über alles liebt, sind es die El Ayachis. Vater Sami ist Rechtsanwalt und Hundetrainer und am Wochenende viel unterwegs, aber unter der Woche genießt er, wie auch seine Frau Jana, die hier als Osteopathin arbeitet, die Vorzüge der Großstadt. Sie treffen sich mit Freunden "auf einen Rotwein", kaufen gerne biologische Lebensmittel beim Bioladen um die Ecke und fahren mit dem Lastenfahrrad durchs Veedel. Gerade haben sie ein Haus in Lindenthal gekauft. "Genau das, was wir gesucht haben. Ein schöner Altbau mit vier Etagen und einem Innenhof", sagt Jana El Ayachi und wirkt dabei sehr glücklich und angekommen.

Dass dies nicht immer so war, kann man sich bei der selbstbewusst wirkenden Frau kaum vorstellen. Aber auch sie und ihr Mann dachten lange darüber nach, ob sie lieber in der Stadt oder auf dem Land leben wollen. Als ihre Tochter geboren wurde, wollten sie raus aus Köln und zogen in ein Dorf nahe Erftstadt. Mit einem ernüchternden Resultat: "Ich fuhr fast jeden Tag mit dem Auto nach Köln, um mich mit anderen zu treffen", sagt Jana El Hayachi "Die Menschen dort waren nett. Aber wir waren einfach anders. Es hat nicht gepasst." Der Entschluss wieder zurückzugehen fiel, nachdem ihr Mann ein paar Tage alleine mit Kind im Dorf verbracht hatte. Genau wie seine Frau hatte er sich einsam gefühlt "Ich bin sogar Spielplätze systematisch abgefahren, aber ich habe keine Familien getroffen. Die waren alle im eigenen Garten." Nach zwei Jahren packten sie ihre Sachen, verkauften das Haus und gingen zurück in die Großstadt.

Nachteile zur Stadt fallen ihnen heute kaum mehr ein. Selbst in einer Wohnung wären sie mit ihren Kindern und Hunden glücklich. Das Haus ist nur das Tüpfelchen auf einem perfekten i. Entscheidend für sie ist aber die Wahl des Veedels: Ein gewisses Minimum an Grün muss sein. Mit den Hunden sind sie oft in Grüngürtel und Stadtwald unterwegs und glücklich über die Betreuungsplätze der Kinder in Waldkindergarten und Waldorfspielgruppe. "Das ist unser Gegenpol, den brauchen wir", sagt Jana El Hayachi. Sie rät Familien, die sich nicht zwischen Stadt und Land entscheiden können, dass sie nicht nur über die Größe der Wohnfläche nachdenken, sondern darüber, was sie als Menschen für ihr Leben wirklich brauchen.

Aufatmen im Bergischen

Angela und Hauke Dewitz haben es getan. Sie sind den Schritt gegangen, über den auch so viele andere Paare in Köln nachdenken. Nach rund 15 Jahren haben sie die Großstadt verlassen und sind mit ihren drei Kindern ins Bergische gezogen. Sie wohnen nun in einer Neubausiedlung von Overath, umgeben von Wäldern, Wiesen und dem kleinen Fluss Agger. Vor zwei Jahren sind sie hier ins eigene Haus eingezogen. An diesem Tag sitzen sie an dem großen Holztisch im Esszimmer, durch das Obergeschoss toben die Zwillinge Lasse und Till (4 Jahre) mit ihrer Schwester Josefine (6 Jahre).

"Alles!" lautet die schnelle und klare Antwort von Angela Dewitz auf die Frage, was ihnen hier am besten gefalle. "Die Nachbarn, der Ort, das Neubaugebiet, aber vor allem das Haus." Gefühle wie Fremdheit oder gar Einsamkeit empfinden sie und ihre Familie hier nicht. In fast jedem Satz, den sie oder ihr Mann über Overath sagt, schwingt ein Aufatmen mit, eine Freude und auch eine Portion Dankbarkeit. "Unser Leben hat sich vom ersten Tag an positiv verändert", sagt Angela Dewitz. Wenn sie über die letzten Monate in Köln spricht, hört man hingegen deutlich , wie anstrengend das Leben für die Familie in der Großstadt war.

##Umbr

Dort lebte sie in der Moltkestraße, in einer rund 100 Quadratmeter großen Wohnung. Durch die Verbindung zweier Wohneinheiten hatte sie sich zwar Platz geschaffen, dennoch fühlte sich beengt und gestresst von fehlenden Parkmöglichkeiten, zu vielen Treppenstufen und verständnislosen Nachbaren. Einer sei sogar wegen der Kinder ausgezogen, erinnert sich Angela Dewitz.

Hauke Dewitz fing deshalb an, nach neuen Wohnmöglichkeiten zu suchen. Irgendwann einmal Köln zu verlassen, war dabei immer als diffuse Idee im Hinterkopf des Paares gewesen, das selbst auf dem Land groß geworden ist. Als Hauke Dewitz durch Zufall eine Anzeige über die Erschließung eines Baugebietes entdeckte, nahm der Gedanke Gestalt an. Ein Fertighaus-Spezialist beriet sie, dies beschleunigte den Entscheidungsprozess. Das Paar reservierte ein Grundstück und wartete drei Jahre auf die Freigabe.

Als der Hausbau losging, sei Angela Dewitz dann doch ein wenig mulmig geworden, erinnert sich ihr Mann. Abschiedsschmerz habe sich breit gemacht und Angst davor, wie die Kinder die Veränderung verkraften würden. Eine Abschiedszeremonie in der leeren Wohnung sollte den Kindern helfen, die Umgebung möglichst sanft zu wechseln. "Die Angst war völlig umsonst. Ihnen hat es von Anfang an hier gefallen." Auch Angela Dewitz sei der Wechsel leichter gefallen als gedacht. "Auf der Zoobrücke tat mir mein Herz noch weh und ich habe fast angefangen zu heulen. Aber kaum war ich hier, habe ich gedacht: ,Wie super!'"

Heute wissen die Zwillinge Lasse und Till nichts mehr vom alten Leben in Köln. Josefine schon, aber sie denke nicht mehr daran, meint Angela Dewitz. Viele Freunde wohnen in der Nähe, einige Wege kann die Grundschülerin schon alleine gehen und dienstags hat sie Ballett im Bürgerhaus. Die Familie ist angekommen in der Neubausiedlung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie anders sei, als man sie sich in der Regel vorstelle, sagt das Paar. Dort lebten nicht nur junge Familien mit einem oder mehreren Kindern, sondern auch Singles und kinderlose Paare "Dadurch kann mir der Nachbar auch mal was anderes erzählen, als was heute wieder in der Windel war", sagt Hauke Dewitz lachend.

Für ihr neues Leben in Overath, nimmt das Ehepaar den Arbeitsweg von 30 Kilometern in Kauf. Beide arbeiten weiterhin in Köln. Hauke Dewitz als promovierter Sportwissenschaftler in einer orthopädischen Praxis, Angela auf Minijobbasis als Krankenschwester - beide fahren dafür mit der S-Bahn 40 Minuten zum Mediapark.

Abends sind sie überwiegend in Overath. Das Nachtleben fehle den beiden nicht mehr, sagen sie: "Das haben wir eh nicht mehr wahrgenommen. Wir waren ja mitten im Belgischen Viertel. Um uns herum haben wir alles leuchten sehen, aber wir haben das Angebot nicht mehr genutzt. Das Haus hier trifft eher unseren Lebensschwerpunkt", sagt Hauke Dewitz nüchtern.

Freiheit bedeutet jetzt, dass drei kleine Kinder wie die Gummibälle durch sechs Zimmer hüpfen und dabei schreien können, dass man das vollgepackte Auto direkt vor der Eingangstür ohne Stress auspacken kann und dass man im Sommer mit den Nachbarn zusammen grillt und danach nicht die ganze Grillausrüstung aus dem Park nach Hause schleppen muss.

Zurückzuziehen käme für Familie Dewitz nicht in Frage. Selbst wenn ihnen dasselbe Hause in der Stadt angeboten werden würde, sagt sie.

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