Gesucht, gefunden, geärgertOnline-Ticketbörsen stehen in der Kritik

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Hoffentlich sind noch nicht alle Tickets ausverkauft“, denkt sich Stefan Wandt (Name geändert) als er die Begriffe „Karten“ und „Gamescom“ bei Google eingibt. Umso mehr freut er sich, als die Suchmaschine sofort eine ganze Reihe von Plattformen anzeigt, die offensichtlich noch Karten für die beliebte Elektronik-Messe im Angebot haben. Er landet schließlich bei „Viagogo“ – dem „größten Tickethändler der Welt.“„Ich dachte, dass es sich dabei um eine offizielle Vorverkaufsstelle handeln würde“, erinnert sich Wandt. Dass er später herausfindet, dass er die beiden Tickets für seinen Sohn und dessen Freund auf dem sogenannten Zweitmarkt – Kritiker nennen es Schwarzmarkt – gekauft hat, soll nicht die einzige böse Überraschung bleiben.

Wer im Internet nach Karten für Konzerte, Messen oder Fußballspiele sucht, findet sie stets unter den Top-Treffern: Online-Börsen wie „Viagogo“, „Stubhub“, „Seatwave“, „Ticketbande“ oder „Tickets75“. Dass dies aber keine Vorverkaufsstellen sind, sondern dort lediglich Tickets weiterverkauft werden – und das meist mit erheblichem Aufschlag – wissen viele nicht. Offiziell bieten die Seiten Privatpersonen die Möglichkeit, ihre Tickets an andere zu verkaufen, wenn sie die Veranstaltung nicht selbst besuchen können. Und kassieren dafür eine Gebühr. Kritiker hingegen werfen den Online-Börsen vor, eine Plattform für Ticket-Wucher und Schwarzmarkthandel zu sein. So waren etwa vor wenigen Tagen die Karten für ein Konzert der Toten Hosen unmittelbar nach dem Vorverkaufsstart ausverkauft, und wurden kurz darauf bei den Ticketbörsen für ein Vielfaches des Originalpreises angeboten.

Viele professionelle Händler

Denn Kritiker sind sich sicher: Zum einen verkaufen dort nicht nur Privatpersonen ihre Karten, sondern auch „sehr viele professionelle Händler“, sagt Dr. Johannes Ulbricht vom Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft (BDV). Zum anderen unternähmen sie nichts, um dem entgegenzuwirken. Im Gegenteil, wie das Beispiel Viagogo zeige: „Man sieht auf der Seite nicht, wer die Tickets verkauft“, sagt Susanne Baumer, Teamleiterin Marktwächter Digitale Welt in der Verbraucherzentrale (VZ) Bayern. „Die Leute denken, sie kaufen die Karten bei Viagogo selbst.“

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Das ist auch einer der Gründe, warum die Marktwächterexperten der VZ Bayern die Ticketbörse Anfang des Jahres abgemahnt haben. „Während des gesamten Kaufvorgangs wird für Verbraucher nicht deutlich, dass Viagogo nicht Verkäufer der Tickets ist, sondern zwischen privaten Verkäufern und Käufern vermittelt“, so die Begründung. „Auf diese Weise täuscht das Unternehmen die Nutzer über wesentliche Merkmale seiner Dienstleistung.“ So erging es auch Stefan Wandt: „Ich hatte überhaupt keinen Zweifel daran, dass ich Original-Tickets kaufe“, erinnert er sich. Den ursprünglichen Preis erfährt er erst im Nachhinein: Im regulären Vorverkauf hätte ein Ticket 14 Euro gekostet. Er hat für beide Karten inklusive Gebühren 72,87 Euro bezahlt, also pro Karte mehr als das Doppelte. Dies ist ein weiterer Kritikpunkt der Verbraucherschützer. „Die Gebühren sind sehr hoch und in der Regel auch nicht nachvollziehbar“, sagt Baumer. Außerdem tauchten sie immer erst ganz am Ende des Kaufprozesses auf. „Und das auch immer nur ganz kurz, da der Betrag durch Werbung immer umgehend aus dem Bildschirm gedrängt wird“, so Baumer.

Doch für Wandt ist der hohe Preis nicht der einzige Ärger: Die Karten sind zudem auf andere Personen ausgestellt. Beim Kauf wurde er dazu aufgefordert, die Namen seines Sohnes und dessen Freunds anzugeben. Auf den Tickets stehen aber andere Namen – nämlich die von den Personen, die die Tickets ursprünglich gekauft haben. Dies ist eine der Strategien, mit denen die Veranstalter dem Geschäft mit dem Zweitmarkt entgegentreten wollen. „Wir machen mit personalisierten Tickets in der Regel sehr gute Erfahrungen“, erklärt Ulbricht vom BDV. „Aber wir können die Karten an den Eingängen natürlich immer nur stichprobenartig kontrollieren.“ Und so haben auch die beiden Jugendlichen mit den „falschen Karten“ Glück. Sie werden am Eingang zur Messe Gamescom nicht kontrolliert und kommen rein, allerdings mit schlechtem Gewissen.

„Ich hatte das Gefühl, bewusst getäuscht worden zu sein“, sagt Wandt. Und damit ist er offensichtlich nicht allein. „Bei uns haben die Beschwerden über solche Seiten definitiv zugenommen“, erklärt Julian Graf, Jurist bei der Verbraucherzentrale NRW. Auch ein Blick auf die Kommentare auf der „Viagogo“-Facebook-Seite zeigt, dass der Unmut vieler Kunden groß ist, weltweit.

Fake-Tickets bei Viagogo

Und ein neuer Trend lässt vermuten, dass sich das wohl auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Denn aktuell warnen die Verbraucherschützer vor einem neuen Phänomen bei Viagogo: Auf der Seite werden offenbar immer häufiger auch sogenannte „Fake-Tickets“ angeboten, also Karten für Veranstaltungen, die es gar nicht gibt, warnt die Verbraucherzentrale Bayern. So seien etwa Karten für einen Auftritt der Komikerin Carolin Kebekus am 8. Oktober in der Elbphilharmonie angeboten und offensiv beworben worden, unter anderem mit Aussagen wie „Fast ausverkauft – nur noch wenige Tickets übrig“. Ein Auftritt sei dort an diesem Datum aber nicht geplant, heiße es von Seiten des Managements. „Da Viagogo auftritt wie ein offizieller Händler, gehen die Leute auch davon aus, dass sie dort gültige Tickets kaufen und prüfen das nicht noch einmal nach“, sagt Baumer.

Häufig kommt es laut Verbraucherschützern zudem zu Problemen, da Verkäufer bei Viagogo einen sehr kurzfristigen Lieferzeitpunkt wählen können. Selbst wer die Tickets frühzeitig kaufe, erhalte diese eventuell erst wenige Tage vor der Veranstaltung. Verzögere sich dann die Zustellung, könnten diese die Veranstaltung im schlimmsten Fall verpassen. Und auch das Garantieversprechen von Viagogo, sich bei ausbleibender Lieferung um Ersatztickets oder eine Erstattung zu kümmern, halten die Marktwächterexperten der VZ Bayern für irreführend: „Das Unternehmen garantiert den Erhalt der Tickets. Damit wird für Verbraucher der Eindruck verstärkt, es mit einem direkten Ticketverkäufer zu tun zu haben“, sagt Baumer. Tatsächlich beinhalte diese Garantie jedoch nicht mehr, als dem Käufer gesetzlich sowieso zustehe. In den allgemeinen Geschäftsbedingungen werde sie zudem noch erheblich eingeschränkt.

Wir haben Viagogo gebeten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Das ist bis Redaktionsschluss leider nicht passiert. Da Viagogo auch auf die Abmahnung der Verbraucherschützer nicht reagiert hat, haben diese inzwischen Klage eingereicht. Das Unternehmen hat allerdings seinen Sitz in der Schweiz. „Es wird also noch etwas dauern, bis diese zugestellt ist“, sagt Baumer. Ob die Vorwürfe gerechtfertigt sind, oder ob es in der Verantwortung des Kunden liegt, ob er das Angebot nutzt oder nicht, bleibt also abzuwarten.

Für Stefan Wandt aber steht fest: „Das war das erste und letzte Mal, dass ich dort Tickets gekauft habe.“

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