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Glaube an die GlobuliWas kann Homöopathie leisten und was nicht?

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Homöopathie

Heil­mit­tel in braunen Fläsch­chen: His­to­ri­scher Arz­nei­mit­tel­schrank mit ho­möo­pa­thi­schen Mitteln

Die Aktion sorgte vor sechs Jahren für Schlagzeilen - nicht nur in England. Im gesamten britischen Königreich versammelten sich Homöopathie-Gegner vor Filialen der Apothekenkette "Boots". Um zu zeigen, dass in homöopathischen Kügelchen absolut nichts drin ist außer Zucker, kippten sich hunderte Aktivisten zeitgleich den gesamten Inhalt eines Fläschchens mit Arsenicum album in den Mund. Und tatsächlich: Trotz dieser vermeintlichen Überdosis passierte nichts. Keiner der Teilnehmer der Aktion vergiftete sich oder meldete auch nur geringsten Schaden.

Auch wenn die Aktion der britischen Homöopathie-Gegner aus Sicht vieler Wissenschaftler genauso wenig zum Nachweis der Unwirksamkeit der Homöopathie taugt wie viele Studien, die ihre Wirksamkeit nachweisen wollen, einmal mehr hat sie deutlich gemacht: Über kaum eine andere Therapierichtung in der Medizin wird so heftig diskutiert und erbittert gestritten wie über die Ende des 18. Jahrhunderts von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) begründete Heilkunst - eine ganzheitliche Arzneimitteltherapie, die die Selbstheilungskräfte des Organismus aktivieren soll. Belladonna etwa lindert plötzliches Fieber, die Rinde des Sandelholzgewächse (Okoubaka) hilft bei Magen-Darm-Beschwerden, Cantharis (Spanische Fliege) bei Blasenbeschwerden - die einen schätzen sie als wirksame safte Therapie, für andere bleibt es absoluter Hokuspokus. Erst jüngst wetterte der emeritierte britische Professor für Alternativmedizin Edzard Ernst in einem Beitrag für das Magazin "Geo": Homoöpathie sei "wenig plausibel", nicht wirksamer als Placebos und schlimmstenfalls lebensgefährlich.

Die vier Säulen der Heilkunst

Dabei kann man dem Vater der Homöopathie Samuel Hahnemann beileibe keine böse Absicht oder gar mangelndes Fachwissen vorwerfen. Im Gegenteil: Zeit seines Lebens war der Arzt aus Sachsen regelrecht getrieben von der Idee, die vollkommene, für jeden einzelnen richtige Heilkunst zu finden. Hahnemann hat seine Heilkunst auf vier Säulen gestellt: die homöopathische Arzneimittelprüfung, die besagt, dass alle eingesetzten Substanzen - das können Pflanzen, Mineralien, Metalle oder auch tierische Stoffe sein - zunächst am Gesunden geprüft werden und beobachtet wird, wie ihr Organismus darauf reagiert. Zweite Säule ist die sogenannte Ähnlichkeitsregel, nach der nur das Mittel verabreicht wird, das in der Arzneimittelprüfung an Gesunden die ähnlichsten Beschwerden hervorgerufen hat. Die Einzelmittelgabe ist dritte Säule und bedeutet, dass immer nur eine einzige Arzneisubstanz auf einmal verabreicht wird, -abhängig von der individuellen Symptomatik, und - so die vierte Säule - in so geringer Dosis wie eben nötig.

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Die Hauptkritikpunkte der Skeptiker

Vor allem zwei Grundgedanken Hahnemanns sind es, die die Skeptiker auf den Plan rufen: Die Verdünnungen der Grundsubstanzen sind zuweilen so stark, dass aufgrund physikalischer Gesetze kein Molekül an wirksamer Substanz mehr enthalten sein kann. Homöopathen führen einen therapeutischen Effekt hingegen auf ein "Wassergedächtnis" zurück. Auch das Ähnlichkeitsprinzip glauben Homöopathie-Gegner leicht widerlegen zu können: Hätte dann nicht die massenhafte Arsen-Überdosierung der englischen Protestler dazu führen müssen, dass bei ihnen genau die Beschwerden auftreten, die Arsen angeblich lindern soll - nämlich Unwohlsein und Unruhe?

Doch trotz aller Kritik: In einer immer stärker technisierten Medizinwelt wächst anscheinend die Schar derer, die Hahnemanns Therapieansatz begeistert zustimmen. In Rahmen einer Befragung des Gesundheitsmonitors der Techniker-Kasse gaben 2012 immerhin 17 Prozent an, homöopathische Medizin zu nutzen. Seit Jahren werden homöopathische Leistungen im Rahmen spezieller Verträge mit den kassenärztlichen Vereinigungen oder dem Zentralverein homöopathischer Ärzte angeboten. Gut die Hälfte der Krankenkasse bieten solche Leistungen inzwischen an.

Meist eine der letzten Alternativen

"Weil mit herkömmlichen Therapien keine Besserung erzielt werden konnte": So ist laut Gesundheitsmonitor für die meisten Befragten der Hauptgrund, eine homöopathische Behandlung zu beginnen. So war es auch bei Rebecca Vogt aus Köln. Vor gut 15 Jahren suchte sie aufgrund einer wiederkehrenden Mittelohrentzündung ihres damals dreijährigen Sohnes erstmals die Praxis einer Homöopathin auf. "Ich hatte mit der Methode bis dahin eigentlich nichts am Hut", erzählt sie. "Aber nachdem Johannes bereits dreimal ein Antibiotikum verschrieben bekommen hatte, die Mittelohrentzündung aber immer wieder kam, empfahl uns unsere Kinderärztin, eine Homöopathin aufzusuchen."Bei ihrem ersten Besuch nahm sich die Homöopathin mehr als eine Stunde Zeit und erfragte viele Details, erinnert sich die 50-jährige Kölnerin. "Sie wollte wissen, wie die Geburt war, was für ein Typ Kind Johannes ist, aber auch, in welcher Position er schläft und welche Krankheiten es in der Familie gibt." Bei einem zweiten Besuch habe sie Johannes ein sogenanntes Konstitutionsmittel gegeben und ein weiteres Mittel speziell gegen die Ohrenprobleme. Etwa fünf Tage lang habe sie Johannes dann mehrmals am Tag die in Wasser aufgelösten Globuli gegeben. "Seitdem hat er nie wieder eine Mittelohrentzündung gehabt", berichtet Vogt.

Noch mehr von der Homöopathie überzeugt wurde sie zwei Jahre später. Ihre Tochter Olivia sei als Kleinkind mit einer schweren Rota-Virus-Infektion, einer Magen-Darm-Infektion, ins Krankenhaus gekommen. "Tagelang hing sie an einem Glucose-Tropf, aber es ging ihr trotzdem richtig schlecht. In ihrer Verzweiflung habe sie sich wieder an die Homöopathin gewendet. Die riet, Olivia Arsen-Globuli zu geben. "Sie können zugucken, wie es ihrem Kind dann bessergeht", habe sie versprochen. "Ich habe den Krankenschwestern kurz Bescheid gesagt und Olivia dann die Globuli gegeben", berichtet die Kölnerin. Für sie sei es heute noch wie ein Wunder: "Drei Stunden später hat Olivia das erste Mal wieder seit einer Woche eine Reaktion gezeigt." Eine Erinnerung, bei der sie heute noch eine Gänsehaut bekommt. "Auch wenn viele Kritiker sagen, dass Homöopathie nichts taugt: Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass Homoöpathie helfen kann." Sie glaube aber eben auch daran, räumt Rebecca Vogt ein.

Seitdem habe sie sich jedenfalls auch eine homöopathische Hausapotheke mit etwa 30 verschiedenen Globuli-Sorten zugelegt. "Wir kommen damit gut klar. Man muss ja nicht immer gleich ein Antibiotikum schlucken". Und Homoöpathie schade ja auch nicht, sagt sie. Tatsächlich belegten groß angelegte Praxis-Studien, in denen über acht Jahre die Daten von fast 4000 Patienten aus homöopathischen Arztpraxen erhoben wurden, dass es "nur wenige unerwünschte Wirkungen" gebe, bestätigt Michael Teut, Oberarzt an der Hochschulambulanz für Naturheilkunde der Charité in Berlin. Gleichwohl sieht er eine Selbstmedikation mit homöopathischen Arzneimitteln - abgesehen von banalen Atemwegsinfekten oder Schlafstörungen - eher kritisch. "Dabei besteht die Gefahr, eine ärztlich behandlungsbedürftige Erkrankung zu übersehen." Diese Gefahr sehe er bei ärztlichen Homöopathen nicht, so Teut, der selbst über eine homöopathische Zusatzausbildung verfügt - wie inzwischen 7000 Ärzte in Deutschland.

Für Teut hat die Homöopathie vor allem einen Stellenwert in der Begleitung chronisch kranker Patienten. Studien aus der Versorgungsforschung zeigten, dass Homöopathie gerade bei langjährigen chronischen Beschwerden wie Allergien, Neurodermitis, Kopfschmerzen und Rückenschmerzen in Anspruch genommen wird. Dabei werden homöopathische Arzneimittel bei chronischen Erkrankungen häufig in Kombination mit konventionellen Medikamenten angewendet, zur Reduktion nebenwirkungsreicher konventioneller Medikamente oder als Alternative zu diesen.

Therapeut nimmt sich Zeit für die Patienten

Dass Homöopathie-Fans vor allem schätzen, dass sich der behandelnde Therapeut viel Zeit für sie nimmt, ist für Berliner Allgemeinmediziner Teut nachvollziehbar "Das Erstgespräch dauert 60 bis 120 Minuten, im Vergleich zur konventionellen kassenärztlichen Sprechstunde sehr luxuriös." Der Homöopath versuche dabei, alle Beschwerden des Patienten zu erfassen und die Besonderheiten in der Krankengeschichte herauszufinden. Dabei werde der subjektiven Erfahrung des Patienten, etwa wie er seine Krankheit erlebt, eine große Bedeutung zugesprochen. "Patienten fühlen sich damit ernst genommen und häufig entwickelt sich eine tragfähige therapeutische Beziehung", sagt Teut. "Diese Form der Zuwendung und Zuhörens vermissen viele Patienten in der Schulmedizin", sagt auch Professor Josef Beuth, Leiter des Instituts zur Evaluation naturheilkundlicher Verfahren an der Universität Köln. Allein die Zuwendung aber trage in vielen Fällen schon dazu bei, dass sich der Patient wohler fühle. Auch, dass Kritiker der Homöopathie ausschließlich einen Placeboeffekt zuschreiben, ist für Beuth kein Grund, die Hahnemannsche Heilkunst per se abzulehnen - selbst wenn die in der evidenzbasierten Medizin erforderlichen Wirknachweise für die Homöopathie fehlen. Der Placeboeffekt sei in fast allen Bereichen der Medizin ein wichtiger Wirkfaktor. "Selbst wenn eine homöopathische Behandlung nur einen Placeboeffekt haben sollte, kann ich schon 30 bis 40 Prozent der gewünschten Wirkung über Maßnahmen erzielen, die keine Nebenwirkungen haben", so Beuth. Interessant sei auch, dass homöopathische Arzneimittel bei Tieren wunderbar wirken. Das spreche gegen einen reinen Placeboeffekt.

Auch wenn Beuth die Homöopathie ausdrücklich nicht verteufeln will, warnt er doch wie auch Teut davor, in ihr ein Allheilmittel zu sehen. "Wenn es gut wirksame, nebenwirkungsarme und gut untersuchte konventionelle Therapien gibt, ist Homöopathie wenig sinnvoll, auch nicht bei gefährlichen Infektionserkrankungen oder akuten Notfällen", so Teut.

Noch rigoroser fällt Beuths Fazit für die Krebstherapie aus: "Homöopathische Therapieansätze zur Krebstherapie sind bislang nicht auf Unbedenklichkeit und Wirksamkeit geprüft und aus wissenschaftlicher Sicht daher strikt abzulehnen." Dringend warnt er davor, erprobte Standardtherapien auszusetzen oder zu verzögern. Dies könne lebensgefährlich sein. Gleichwohl: "Als Zusatztherapie können homöopathische Anwendungen helfen, Nebenwirkungen der Krebstherapie wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schmerzen zu lindern und zur Stabilisierung der Lebensqualität von Krebsbetroffenen beitragen."

Und die Kritiker, die Homöopathie ganz ablehnen? Sie wetzen aktuell wieder ihre Messer. Nicht wie 2010 in England, indem sie einen Selbstversuch unternehmen. Sondern auf gesetzlichem Wege: Ein Zusammenschluss von Naturwissenschaftlern forderte kürzlich, der Homöopathie ihren rechtlichen Sonderstatus abzuerkennen und ihre Wirkstoffe ähnlichen Prüfungen zu unterziehen wie "normale" Medikamente.

Der Streit um die Homöopathie geht also weiter.

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