Interview mit Alexandra Maria LaraEinst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen

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Valentin Platareanu und seine Tochter Alexandra Maria Lara kamen einst als Flüchtlinge nach Deutschland – er musste als Schauspieler wieder ganz unten anfangen, seine Tochter gehört zu den besten Schauspielerinnen des Landes. Anja Reich sprach mit beiden über den Beruf des Schauspielers, das Leben einem fremden Land und Coca Cola.

Welcher Film Ihres Vaters gefällt Ihnen am besten, Alexandra?

Lara: Mein liebster Film mit meinem Papa ist „Berlin is in Germany“. Da war er an der Seite von Jörg Schüttauf zu sehen. Schüttauf spielt einen Mann, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, und mein Papa ist Besitzer einer Videothek und sein Verbündeter. Eine tolle Rolle. Dann gibt es noch „Flores“, den Abschlussfilm von Felix von Boehm. Nicht viele kennen den Film, aber ich liebe ihn sehr.

Platareanu: Ich habe in Deutschland aber auch große Rollen gespielt, nicht nur welche, wo ich nur „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ sage. Mit Manfred Krug, Hannelore Elsner, Götz George habe ich gespielt, sehr schöne Rollen. Und immer Verbrecher.

Wegen Ihres rumänischen Akzents?

Platareanu: Ja. Aber das ist nicht schlimm. Ich wollte meinen Beruf machen, egal, ob Gangster oder nicht.

Das klingt, als sei es nicht so leicht gewesen, nach Ihrer Flucht vor dem Ceausescu-Regime wieder ins Schauspielgeschäft zu kommen?

Platareanu: Nun, ich habe erst einmal jede Arbeit angenommen, die ich bekam, denn meine Frau und ich hatten in den ersten Monaten keine Arbeitserlaubni s. Meine Frau war in Rumänien Professorin für romanische Sprachen, ich war stellvertretender Intendant des Nationaltheaters, einem Betrieb mit 800 Mitarbeitern und drei Bühnen. Theater in Rumänien ist sehr gut. Auch heute noch, eines der schönsten und modernsten Theater in Europa.

Was für Arbeiten haben Sie dann in Berlin gemacht?

Platareanu: Am Anfang haben meine Frau und ich in einem griechischen Restaurant am Savignyplatz geputzt. Da war vorher ein vietnamesisches Restaurant drin. Die Küche sah schrecklich aus! Meine Frau und ich haben das wieder schön gemacht. Dann hat ein Freund gesagt, sie brauchen einen Gärtner in Grunewald. Der Mann war reich und hatte eine wunderbare Sammlung von Bildern. Er begrüßte mich, und ich sagte: Ich habe in meinem Leben nie eine Pflanze angefasst. Was muss ich machen? Er hat gesagt, das ist ein Rasenmäher speziell für ... (er sucht nach dem passenden Wort)

Lara: ... Rollrasen?

Platareanu: Wahrscheinlich. Er musste dann gehen, und ich bin mit diesem Gerät über den Rasen gegangen, sehr genau, einmal in die eine Richtung, dann in die andere. Der Mann kam um 13 Uhr wieder und sagte: Was für eine Scheiße ist das? Wie bitte, habe ich gesagt. Ich wusste nicht, was „Scheiße“ heißt. Er hat mir gezeigt, dass ich zwischen den gemähten Streifen immer einen schmalen Rand stehengelassen habe. Mir hat das gefallen, aber ihm nicht.

Alexandra Maria Lara

Lara wurde am 12. November 1978. 1996 nahm sie den Nachnamen Lara an, in Anlehnung an die Lara aus „Doktor Schiwago“.

Sie spielte u.a. in Doris Dörries Komödie „Nackt“ und an der Seite von Bruno Ganz in „Der Untergang“. 2005 wurde sie mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. Zuletzt war sie in Matthias Schweighöfers Amazon-Serie „You Are Wanted“ zu sehen.

Lara ist mit dem britischen Schauspieler Sam Riley verheiratet. Mit ihrem fünfjährigen Sohn Ben lebt das Paar in Berlin.

Ist diese Geschichte so ein Running Gag in Ihrer Familie?

Lara: Ja, ich kenne die Geschichte, aber ich muss auch lachen, weil das bei meinem Mann manchmal genauso aussieht, wenn er Rasen mäht. Ich bin aber nie sauer.

Platareanu: Ich habe danach noch zwei Tage Gartenarbeit gemacht, dann fing ich an, in einem französischen Theater zu spielen.

Ein französisches Theater in Berlin?

Lara: Ich war später Schülerin auf dem Französischen Gymnasium. Das Gebäude hatte unten einen sehr schönen Raum, darin befand sich ein kleines, französisches Theater. Der Mathematiklehrer hat es geleitet.

Platareanu: Ich war auch in der Schaubühne und habe mich vorgestellt. Ich habe dem Direktor gesagt, ich will gar nicht spielen, weil ich nichts auf Deutsch sagen kann, aber ich brauche diesen Duft vom Theater, ich mache Requisite, ich bin auch Portier. Er hat mir gesagt, Valentin, das tut mir leid, Sie sind zu hoch qualifiziert. Gehen Sie nach Hause und warten Sie. Ich habe gewartet, bis heute ist kein Angebot gekommen. Wir wollten eigentlich nicht nach Berlin, wir wollten nach Kanada gehen.

Lara: West-Berlin war die erste Station in Freiheit. Wir hatten ein Tagesvisum. Mein Vater hat gesagt, er würde seiner Tochter gerne den Zoo zeigen.

Platareanu: Es war ein Sonnabend, der 18. Juli 1983, am Grenzübergang Drei Linden, ich war blass und nervös, weil ich nicht sicher war, ob uns jemand verraten hatte. Wir hatten zwar allen gesagt, dass wir zum Schwarzen Meer in den Urlaub fahren, aber man weiß ja nie. Wir wurden angehalten. Meine Frau ist mit Alexandra zu den Toiletten gegangen. Der Grenzer wollte die Nummer auf dem Motor unseres Ladas kontrollieren, um zu sehen, ob er geklaut ist. Dann konnten wir weiterfahren. Dieser Moment kam mir vor wie ein Jahr, wie hundert Jahre.

Wann haben Sie dann das erste

Mal den Zoo besucht?

Lara: Das weiß ich gar nicht mehr. Für mich war wichtig, dass ich Coca Cola trinken konnte. In Rumänien hatte mir mein Vater immer mal eine Flasche gekauft. Das war etwas ganz Besonderes für mich. Und Mama und Papa haben immer gesagt, wir fahren dahin, wo du so viel Cola trinken kannst, wie du willst. Cola steht für mich bis heute für viel mehr.

Valentin Platareanu

Platereanu wurde am 15. November 1936 in Rumänien geboren. Dort war er ein gefragter Schauspieler und Vizedirektor des Staatlichen Theaters Bukarest.

1983 floh er mit seiner Frau Doina und seiner Tochter Alexandra vor dem Ceausescu-Regime nach Deutschland. In Berlin spielte er kleinere Rollen in „Liebling Kreuzberg“ oder im „Schimanski-Tatort“.

1992 gründete er die staatlich anerkannte Schauspielschule Charlottenburg. Lara und Schwiegersohn Sam Riley haben die Schirmherrschaft für die Schule übernommen.

Haben Sie sich als Flüchtlingskind gefühlt?

Lara: Nein, überhaupt nicht. Ich erinnere mich, dass ich in der Vorschulklasse noch nicht so gut Deutsch konnte und dadurch vielleicht nicht so integriert war wie andere Kinder. Aber in der Grundschule war das vorbei. Erst viel später, mit fünfzehn, sechzehn, bin ich das erste Mal wieder in Rumänien gewesen. Da habe ich mir Fragen gestellt: Warum bin ich so wie ich bin? Wie viel von mir ist deutsch, was ist rumänisch?

Und?

Lara: Schwer zu sagen. In Rumänien gibt es eine Offenheit, die hierzulande komisch anmutet. Ich habe zweimal in Rumänien gearbeitet, einmal mit Didi Danquart, das zweite Mal mit Francis Ford Coppola. Ich bin auf neue Menschen gestoßen und habe mich plötzlich zu Hause gefühlt. Da gab es sofort eine Ähnlichkeit und eine Art Verbindung, die auch mit einer unerschrockenen Herzlichkeit zu tun hat. Es gibt auch wunderbare deutsche Eigenschaften, die mir Ordnung und Klarheit geben. Bei den Rumänen ist es mir manchmal einfach zu wild. Ich habe immer beide Stimmen in mir.

Frau Lara, Sie haben drei verschiedene Nachnamen: Platareanu ist ihr Mädchenname, Lara ihr Künstlername, Riley heißen Sie, seitdem Sie geheiratet haben. Steht jeder Name für eine andere Identität?

Lara: Als Sam um meine Hand angehalten hat und wir aus recht altmodischen Gründen heiraten wollten, nämlich, weil wir knallverliebt waren und zusammen durchs Leben gehen wollten, habe ich sofort gedacht, ich nehme seinen Namen an. Es hat mich sehr berührt, als Sam gleich zu Beginn gesagt hat, er kommt zu mir nach Deutschland, und mit der gleichen Selbstverständlichkeit habe ich ihm gesagt, ich möchte eine Riley werden. Und jetzt ist es tatsächlich eine neue Identität. Aber eine Platareanu werde ich trotzdem immer bleiben.

Warum haben Sie dann Lara als Künstlernamen angenommen?

Lara: Ich war sechzehn und hatte eine Agentin, die immer wieder betont hat, dass es gut wäre, meinen Namen zu ändern. Wenn es so sein soll, dass sich jemand meinen Namen merken möchte, dann wird er ihn schon lernen, habe ich gesagt. Und wenn nicht, dann ist das auch okay. Aber sie hat darauf beharrt, und meine Eltern haben zu mir gesagt: Alexandra, der Name wird immer falsch geschrieben. Wir kriegen ständig Post, wo ein Umlaut im Namen falsch ist oder ein Buchstabe fehlt. Es war die richtige Entscheidung, und trotzdem war es ungewohnt und schwierig, plötzlich einen Künstlernamen zu haben. Alles war damals schwierig, Ich war sechzehn, war an der Französischen Schule, habe diese Serie gedreht: „Mensch, Pia“.

Was war so schwierig daran?

Lara: Im Abspann stand dann Alexandra Maria Lara, was bei meinen Mitschülern nicht unbedingt für viel Begeisterung gesorgt hat. Auch die Serie an sich nicht. So habe ich es zumindest wahrgenommen, was aber auch daran gelegen haben könnte, dass ich zu empfindlich war. Irgendwann wurde der Name dann aber zu einer beruflichen Identität, und ich habe begonnen, es zu mögen. Alles, was mich mit Lara erreicht, hat mit meinem Beruf zu tun, und der Rest ist meins. Meine Freunde schreiben nicht an Lara.

Ihre Tochter war Schülerin auf der Schauspielschule, die Sie geleitet haben. Wie ist es dazu gekommen?

Lara: Mein Papa hatte mich manchmal als Kind mit zum Unterricht genommen. Das war das Schönste für mich. Ich habe es geliebt, zuzugucken. Nach dem Abitur habe ich dann gesagt: Ich will auch auf deine Schule. Er hat gesagt: Auf keinen Fall, das geht nicht. Ich war enttäuscht und auch ziemlich sicher, dass ich auf einer staatlichen Schule keine Chance haben würde. Ich hatte ja schon Fernsehen gemacht und gehört, dass sie davon eher weniger begeistert sind.

Sie haben sich auch gar nicht woanders

beworben?

Lara: Nein, ich hatte keine große Lust, mit neunhundert anderen vorzusprechen.

Platareanu: Ich war gegen eine Schauspielschule, und das aus bestimmtem Grund. Was fantastisch ist an Alexandra, ist ihre Natürlichkeit. Die kann man nicht lernen. Um die hatte ich Angst. Auf der Schauspielschule versuchen sie manchmal, dich ein wenig umzuformen. Dabei kann die Natürlichkeit verloren gehen.

Reden Sie eigentlich immer so viel miteinander wie heute oder ist das eine Ausnahme?

Lara: Wir versuchen, uns einmal in der Woche zu sehen.

Platareanu: Samstagabend sind wir oft bei den Kindern.

Lara: Dann essen wir zusammen und sehen einen Film an.

Gucken Sie Serien?

Lara: Mein Papa nicht.

Auch nicht „You Are Wanted“, die Amazon-Serie, in der Ihre Tochter mitspielt?

Platareanu: Natürlich habe ich „Wanted“ gesehen. Sehr gut.

Lara: Meine Mutter nennt die Serie immer „I Want You“.

Platareanu: Wirklich sehr gut gespielt. Ich finde Matthias Schweighöfer toll. Ich habe mal mit ihm zusammen vor der Kamera gestanden.

Lara: In einem Tatort.

Waren Sie wieder der Verbrecher?

Platareanu: Nein, diesmal der Nachbar.

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