Interview mit Dieter Nuhr„Hört auf zu jammern“

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Mit seinem neuen Programm tourt Dieter Nuhr derzeit durch Deutschland.

Mit seinem neuen Programm tourt Dieter Nuhr derzeit durch Deutschland.

Kabarettist Dieter Nuhr beklagt einen zivilisatorischen Rückschritt unserer Gesellschaft – obwohl die  Welt doch viel besser geworden  sei. Autorin Ina Henrichs sprach mit ihm.

Herr Nuhr, Sie touren mit einem neuen Programm. Müssen Sie das jetzt nach der Bundestagswahl umschreiben?

Es wäre vielleicht schöner gewesen, mit einem Programm zu starten, das sich nicht alle drei Tage ändert. Man kann aber nicht auf die Bühne gehen, ohne über die Wahl zu reden. Das geht nicht. Nicht bei mir. Auch weil das Ergebnis in mein Thema hineinspielt.

Und das wäre?

Deeskalation. Wissen Sie, ich reise unglaublich viel, bis zum Ende der Welt, und wenn man dort von der Stimmung in Deutschland erzählt, von der Unzufriedenheit und der Hysterie um jede Kleinigkeit, können es die Menschen dort nicht fassen. Nun dreht sich die Aufregung um die AfD. Sie hat 13 Prozent gewonnen. Das finde ich auch nicht schön. 13 Prozent weniger wären mir lieber gewesen. Aber ich will nicht bei dieser Panikschieberei mitmachen. Die AfD wird jetzt vier Jahre da sein und wir werden sehen, was sie kann, im Zweifel nämlich nichts, und dann geht sie wieder nach Hause.

Sie machen sich keine Sorgen? Die feindselige Rhetorik allein könnte ja schon ein Grund sein.

Ich habe erlebt, dass das Ritual des gegenseitigen Angriffs in den letzten Jahren im Bundestag viele genervt hat. Man hat wenig über Sachthemen diskutiert, und wenn, dann nicht ergebnisoffen. Jeder Widerspruch war berechenbar, die Reden waren pro domo. Das können viele Leute nicht leiden. Ich auch nicht. Und vielleicht ist diese Wahl ein Weckruf.

Der was bewirkt?

Vielleicht hat er einen ähnlichen Effekt wie die Trump-Wahl. Dass wir, nachdem wir den selbstverständlichen Schutzraum der USA teilweise verloren haben, als Europa wieder mehr zusammenstehen und Werte hochhalten müssen. Wir können uns jetzt in Deutschland nicht mehr so kleinlich beharken, sondern müssen den Konsens der demokratischen Parteien suchen. Nicht mehr nur Nuancen besprechen, sondern auch den Sozialstaat verteidigen, der von einigen infrage gestellt wird.

Wenn Sie den Stil des öffentlichen Diskurses kritisieren – was davon merken Sie als Kabarettist?

Die Kritik hat sich geändert. Es hat sich gerade im Internet eine Schreihalsmentalität entwickelt. Am Anfang hat mir das viel ausgemacht. Dann habe ich mir ein dickes Fell zugelegt. Meine Güte, ich weiß jetzt wo die Leute sitzen, die antidemokratisch sind und andere Meinungen einfach nicht aushalten – und die sitzen nicht nur rechts. Ich habe gelernt, dass sich die Verachtung gegenüber Andersdenkenden von links und rechts sehr ähneln. Wobei ich übrigens die Erfahrung gemacht habe, dass man von einem konservativen Betonkopf im größten Streit immer noch einen gewissen Grundrespekt erwarten kann. Die sind manchmal toleranter als die Leute aus dem linken Spektrum, mit denen ich aufgewachsen bin.

Spielen Sie auf die heftige Kritik an, die Sie schon von Kollegen aus dem Kabarett erfahren haben?

Toleranz war immer schon ein Schimpfwort im Kabarett. Es geht immer einher mit dem Vorwurf Haltungslosigkeit, was ich persönlich für Irrsinn halte. Toleranz heißt, andere Haltungen zu akzeptieren. Ich bin auch schon als haltungslos beschimpft worden, dabei habe ich immer eine Haltung, nur nicht die des klassischen Altlinken-Kabaretts. Ich glaube nicht daran, dass alles gleich besser wird, wenn wir oben mehr wegnehmen und es nach unten verteilen. Es gibt tausend verschiedene Ansichten. Ich behaupte auch nicht, alles besser zu wissen wie andere in der Szene. Sie bedienen sich einer Vorurteilsstruktur nach dem Motto Frauen sind gut, Männer böse, Linke gut, Rechte böse, Buddhisten sind gut und Muslime sind gewalttägig, und dann guckt man nach Myanmar und alles ist anders. Nichts ist einfach. Und Vorurteile entlarven – das macht aggressiv, es zwingt Menschen auch noch im fortgeschrittenen Alter alles noch mal in Frage zu stellen. Und das will man nicht. Weder der Rechte noch der Linke.

Sie sind vor allem wegen Ihrer Islamkritik angegriffen worden.

Ich war schon alles, Links- und Rechtshasser. Ich war sogar Islamhasser, obwohl ich kein einziges Wort gesagt habe, was darauf schließen lassen könnte. Kritiker ja, aber allein das Wort ist irgendwie rechts, dabei ist es ein linkes Anliegen, nicht zu wollen, dass sich eine Gesellschaft nach vermeintlich göttlichen Botschaften ausrichtet. Wissen Sie, die Art des Umgangs miteinander hat grundsätzlich viel mit Zivilisation zu tun, und ich lege viel Wert darauf. Wir erleben aber gerade einen zivilisatorischen Rückschritt: Sätze werden verkürzt, aus dem Kontext gerissen und Missverständnisse machen die große Runde. Heute wird gepöbelt und etikettiert. Ich weiß nicht, vielleicht wollen sich viele einfach mal wieder prügeln.

Hat Sie das vorsichtiger gemacht?

Im Gegenteil. Es ist für mich ein echter Anreiz, weiter zu machen. Ich reagiere mit einem Trotzreflex. Dieser Kulturbruch treibt mich ganz zentral an.

Sie machen sich also doch Sorgen.

Ja. Dann doch. Deeskalation ist bei mir auch immer ein Pfeifen im Walde.

Sie sagen nun, Sie wollen als Bühnenkünstler heilen. Mit dem Wort. Wissen Sie denn, woran Ihr Publikum leidet?

Wenn Sie die Leute fragen, wie die Welt ist, dann bekommen Sie zur Antwort, sie ist schlecht. Und sie wird schlimmer. Das ist eine Konstante in unserem Denken. Und die ist falsch. Die Welt war noch nie so friedlich. Man kann sich streiten, woran man das festmacht. Rein statistisch gesehen ist das so. Es gibt weniger Gewalttote. Die demokratische Teilhabe steigt und der Wohlstand auch. Ich komme gerade aus China. Ich war in einer der 30-Millionen-Einwohner-Städte, in denen es zum Teil so mittelständisch aussieht wie in manchen unserer Städte. Dort habe ich Menschen getroffen, die sich zum ersten Mal in der Generation drei Mahlzeiten am Tag leisten können. Wir stehen hier und beklagen die Globalisierung, das muss man den Menschen dort mal erklären.

Trotzdem gibt es Nöte. Hier wie da. Aber wenn es Ihrer Meinung nach nicht die Existenzangst ist, die die Leute wütend macht, was dann?

Ich habe auch lange Zeit diese Unzufriedenheit mit mir herumgetragen. Und ich habe sie einfach irgendwann nicht mehr ausgehalten. Die jammern dich voll, dachte ich mir irgendwann, und du jammerst auch noch mit. Dann habe ich festgestellt, dass wir unberechtigt jammern. Ja, nicht alle, aber doch sehr viele. Und dann habe ich den Ehrgeiz entwickelt, das den Leuten mitzuteilen. Ich glaube, diese Unzufriedenheit ist ein Wohlstandsphänomen. Außerdem glaube ich, dass der Glückszustand eher an der individuellen Psychologie und nicht so sehr an Lebensumständen festzumachen ist. Es gibt einen persönlichen Level an Glück, den ich als glücklicher Lehrer auch nicht hätte überschreiten können. Der ist vielleicht viel biologischer determiniert als wir denken. Vielleicht auch evolutionsbiologisch. Zufriedene Menschen sind nicht so wachsam und haben auf Dauer weniger Überlebenschancen. Nur eine Theorie.

Lachen hilft? Ist es das, was Sie in Ihrem Job glücklich macht?

Es ist ein Traum: Ich schreibe meine Texte, erzähle und inszeniere sie, die Menschen klatschen, lachen und erzählen mir hinterher, wie schön es war. Für jemanden mit einer narzisstischen Störung, die sich in diesem Beruf unweigerlich weiterentwickelt, ist das ein super Job. Ich lebe vielleicht 80 Jahre und die will ich sinnvoll füllen. Das versuche ich zu tun.

Mit welchem Anspruch haben Sie damals angefangen?

Ich habe nie Karrierepläne gehabt. Der Erfolg, den ich erlebe, war außerhalb meiner Vorstellungskraft. Ich bin mit Monty Python groß geworden und dachte mir, was Durchgeknalltes als Beruf wäre nicht schlecht. Dabei mache ich ja heute gar nichts Durchgeknalltes. Mein Werdegang ist passiert. Gewachsen. Der Rest gärt.

Sind sie heute Comedian oder Kabarettist?

Als ich anfing, gab es keine Comedy. Comedians verstehen sich als Komiker, Kabarettisten als politisch. Ich habe mich immer als Kabarettist gesehen und immer versucht, dabei lustig zu sein. Also beides irgendwie. Aber ich war nie der lustige Mann mit Mützchen und Brille. Das habe ich unter anderem dem Regisseur meines ersten Soloprogramms zu verdanken. Der hat mir damals alle Requisiten und alle Spielideen weggenommen. Ich kann doch nicht einfach da raus gehen und irgendwas erzählen?, dachte ich. Doch. Und so komme ich mir manchmal vor wie ein Erzähler aus einer archaischen Gesellschaft, der von Dorf zu Dorf geht. Das finde ich total schön.

Sie kommen vom Niederrhein, da führt kein Weg am Erzähler Hanns-Dieter Hüsch vorbei. Welchen Einfluss hatte er auf Sie?

Zur Person

Dieter Herbert Nuhr wurde 1960 in Wesel geboren. Von 1981 an

studierte er an der Universität-

Gesamthochschule Essen, ehe-mals Folkwang, Bildende Kunst und Geschichte auf Lehramt;

1988 legte er das Erste Staatsexamen ab.

Der Autor, Fernsehmoderator, Fotofraf und Kabarettist lebt mit seiner Frau und einer Tochter in Ratingen.

Am 24. November tritt er in Leverkusen in der Ostermann-Arena auf, der nächste Termin in Köln ist am 12.Januar in der rLanxess-Arena.

Tickets gibt es unter:

V 0221-2801 oder

koelnticket.de

Ich bin mit ihm aufgetreten und habe auf seinem 70. Geburtstag moderiert. Das hat mir sehr viel Publikum eingebracht. Er hat mir sehr dabei geholfen, die Alltäglichkeit wertzuschätzen. Ich glaube, er hatte auch ein gewisses Unverständnis für Dogmatiker und gleichzeitig eine Nachsichtigkeit ihnen gegenüber: Lasse doch! Er war ein positiver Mensch, wenn er auch viel Trauriges in sich hatte. Er wollte deeskalieren und hat damit auch schlechte Erfahrungen gemacht. Ihm wurde vorgeworfen, kein anständiger Sozialist und zu bürgerlich zu sein. Er brach daraufhin mit der 68er-Bewegung und ging in die Schweiz.

Hat sich der Humor über Alltägliches abgenutzt?

Nicht wirklich. Die Themen ändern sich. Jetzt lacht man über irgendetwas mit dem Internet. Aber Humor war und ist immer am befreiendsten, wenn er mit der konkreten Lebenssituation zu tun hat.

Worüber lachen Sie? Über andere Comedians?

Gucke ich weniger. Vielleicht mal über den einen oder anderen amerikanischen Comedian. Ehrlich, ich mache mir keine Gedanken darüber. Ich gucke Fußball, da muss ich nicht lachen.

Sie haben eine Show für den Streamingdienst Netflix aufgenommen. Wie läuft es denn für einen deutschen Kabarettisten auf dem Weltmarkt?

Schwer zu sagen. Ich weiß nur, dass es gut gelaufen sein muss, sonst hätte Netflix mich nicht gefragt, ob ich es nochmal machen würde. Man bekommt ja nicht einmal eine Quote mitgeteilt, keine Zahlen. Ich habe nur eine Rückmeldung von einem Austauschschüler aus der Klasse meiner Tochter in Kanada. Geile Sache, fand sie. Dann haben mir zwei Mädchen aus Wisconsin geschrieben. Die fanden es lustig und wüssten auch, wo Berlin sei.

Wäre es für Sie reizvoll, live in den USA aufzutreten?

Vielleicht, aber der Tag hat nur 24 Stunden. Ich habe ja noch einen zweiten Beruf, den ich eigentlich gar nicht angestrebt hatte. Ich habe gerade eine große Ausstellung meiner Fotos in China eröffnet. Die Fotografie ist sehr viel Arbeit, was ich ganz toll finde. Aber ich weiß nicht, was ich zuerst machen soll. Ich habe jetzt einen Galeristen in Berlin und nächstes Jahr stelle ich in Salvador de Bahia in Brasilien aus – und das Schöne daran ist, die fragen mich nicht, weil ich hier ein Comedy-Programm habe.

Sie kommen im Januar wieder einmal nach Köln – haben Sie eine besondere Verbindung zur Stadt?

Außer dass ich Düsseldorfer bin, nicht. Früher wurde mir mal ein Auftritt in einem Theater verwehrt, weil ich aus Düsseldorf komme. Aber die Zeiten sind vorbei.

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