Interview mit ExpertinDer schmerzhafte Abschied vom Kinderwunsch

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Paar

Den meisten Paaren fällt es sehr schwer, ihren Traum vom Kind aufzugeben.

Franziska Ferber (38) ist ehemalige Unternehmensberaterin und arbeitet heute selbstständig als Kinderwunsch-Coach. Im Gespräch mit Christina Rinkl sprach sie über kinderlose Paare.

Frau Ferber, nach drei Kinderwunschbehandlungen haben Sie und Ihr Mann gesagt: Jetzt ist Schluss. Wie schwierig war es, mit dem Herzenswunsch Kind abzuschließen?

Das war sehr schwierig. Wir haben jahrelang gehofft und gelitten. Es einzusehen, dass sich diese Sehnsucht nicht erfüllen wird, war ein langer Prozess. Mal gipfelte dieser in Aktionismus, wir haben dann viel unternommen, nach dem Motto: Jetzt leben wir endlich mal wieder. Aber irgendwann wurde mir klar, dass das langfristig nicht hilft, dass ich innerlich aufräumen und das Erlebte verarbeiten muss.

Buch Kinderlosigkeit

Franziska Ferber: "Unsere Glückszahl ist die Zwei", Eden, 288 Seiten, 14,95 Euro.

Ist die Kinderwunschbehandlung anstrengender für den Körper oder für die Seele?

Das nimmt sich nicht viel. Die Behandlungen erlebt jede Frau ja anders, je nach Diagnose. Manchen machen die vielen Hormongaben nichts aus, ich hatte körperlich aber sehr zu kämpfen. Trotzdem war der seelische Aspekt für mich noch schlimmer, weil das Thema Kind einfach allgegenwärtig ist. Man hat quasi keine Möglichkeit, davor zu fliehen.

Wie meinen Sie das?

Mein Mann und ich hatten zum Beispiel einmal ein Wochenende in einem Wellness-Hotel gebucht, in dem keine Kinder erwünscht sind. Einfach nur, um abzuschalten von dem Thema. Es endete damit, dass ich das halbe Wochenende weinend im Zimmer saß, weil so viele Hochschwangere im Hotel waren, die sich kurz vor der Geburt noch mal ein entspanntes Wochenende gegönnt haben.

"Und wann kommt bei euch der Nachwuchs?" Diese Frage bedeutete für Sie jahrelang die Hölle.

Ja, ich finde diese Frage sehr übergriffig. Bei uns herrscht die gesellschaftliche Norm: heiraten, Haus bauen, Kinder. In welcher Reihenfolge auch immer. Und wenn da jemand rausfällt, wird eben gerne nachgefragt. Auf jeder Party, auf jedem Sommerfest habe ich diese Frage gehört. Besonders schlimm zu hören ist es für ungewollt Kinderlose, wie schön und bereichernd es doch ist, Kinder zu haben. Da gerät man schnell in den Strudel, sich rechtfertigen zu müssen.

Was raten Sie Betroffenen - offen mit dem Kinderwunsch umgehen oder lieber nicht?

Schwierige Frage. Ich glaube, unsere Gesellschaft ist noch nicht so weit, als dass man als Einzelner wirklich komplett offen damit umgehen kann. Es ist aber gut, sich zwei bis drei Leute aus dem Familien- oder Freundeskreis mit ins Boot zu holen. Also die Leute, von denen man weiß, dass man bei ihnen gut aufgehoben ist, und die das Thema für sich behalten. Man braucht einfach diesen Schutzraum, in dem man sich aussprechen kann und in dem der andere dann auch akzeptiert, weshalb einem gerade eben nicht nach Party zumute ist. Emotional sichere Freunde, bei denen ich sagen darf, wie es ist, sind wichtig, weil der eigene Partner ja selbst involviert ist. Wenn es mir gerade schlecht, meinem Partner aber gut geht, will ich ihn ja auch schützen und nicht immer alles bei ihm abladen.

Wie verändert sich die Partnerschaft durch den unerfüllten Kinderwunsch?

Sie verändert sich enorm. Am Anfang vertieft es die Beziehung, wenn beide entschieden haben, dass die Zeit reif ist für ein Kind. Doch wenn sich dieser Wunsch dann nicht erfüllt, drückt ein großes und komplexes Problem auf die Partnerschaft. Das Thema ist permanent anwesend, in jeder freien Minute spricht man darüber. Die Beziehung bekommt so eine Schwere, dass man Gefahr läuft, als Paar die Leichtigkeit zu verlieren. Viele Beziehungen zerbrechen daran. Auch, weil man plötzlich eine Wertedebatte führen muss: Bis wohin sind wir bereit zu gehen, was können wir vertreten? Der Fokus liegt nur noch auf der Paarung, viele erleben sich gar nicht mehr als Paar. Alles, was einmal schön war, ordnet sich dem Kinderwunsch unter.

Wie findet man den richtigen Zeitpunkt, um loszulassen? Bei Ihnen war es ein plötzlicher Kollaps samt Kieferbruch, wahrscheinlich eine Spätfolge der Medikamente. Muss jedes Paar diesen Punkt finden?

Ich denke, der kommt irgendwann automatisch. In unserer leistungsbezogenen Gesellschaft haben wir verinnerlicht, dass wir alles erreichen können. Im Unterbewusstsein ist verankert: Wenn etwas nicht klappt, müssen wir uns nur noch mehr anstrengen. Bezogen auf den Kinderwunsch führt das dann oft zu sehr heftigen Eingriffen in den Körper. Jedes Paar muss sich irgendwann fragen: Können wir das weiter verantworten? Nach meinem Sturz auf den Fliesenboden kam der Notarzt, und im Nachhinein bin ich dankbar dafür. Das Erlebnis war letzten Endes wie eine Rettung.

Den meisten Paaren fällt es sehr schwer, ihren Traum vom Kind aufzugeben.

Ich weiß. Jeder sollte sich irgendwann fragen: Wie viel Kraft investiere ich noch, mich nach etwas zu sehnen, was nicht da ist? Oder wäre es nicht besser, mich um mich selbst zu kümmern? Denn ich lebe ja schon. Das Wunschkind leider noch nicht.

Wie schafft man es, den Blick auf die Chancen zu richten, die aus der Kinderlosigkeit entstehen?

Das ist ein langer Prozess. Immer wenn die negativen Gedanken kommen, halte ich ein inneres Stopp-Schild hoch und frage mich: Willst du wieder nur auf den Mangel schauen oder lieber auf das, was gut ist? Mir hat ein Satz dabei geholfen: "Erfolg ist, das zu kriegen, was man will. Aber Glück ist, das zu schätzen, was man hat." Auch wenn ich so viel in den Kinderwunsch investiert habe und Erfolg verdient hätte, will ich doch eigentlich nur glücklich sein. Ein Kind stand für Lebensglück. Heute weiß ich: Dankbarkeit und die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, das macht glücklich. Aber das fällt nicht vom Himmel, sondern ist harte Arbeit. Am Anfang habe ich mir das jeden Tag wirklich mantra-artig vorgebetet.

Warum ist "Entspann dich doch einfach mal" bei diesem Thema ein schlechter Rat?

Tja, wir sind gesellschaftlich dazu erzogen worden, sofort einen Lösungsvorschlag zu präsentieren, sobald jemand von einem Problem erzählt. Das ist gut gemeint, kann auf den Betroffenen aber sehr anmaßend wirken. Dieser hat sich ja schließlich schon lange mit dem Thema beschäftigt. Und auch wenn man sich entspannen will: Vom eigenen Körper bekommt man keinen Abstand. Gerade während einer Kinderwunschbehandlung. Man bekommt Spritzen, hofft, dass die Regel ausbleibt, spürt in sich hinein - und dann war es doch wieder umsonst. Wie soll man sich da entspannen?

Wie können sich Außenstehende besser verhalten?

Es ist viel hilfreicher, wenn der andere einfach nur anerkennt, dass ich gerade ein Problem habe. Kein Ratschlag, keine Lösung. Ein guter Satz wäre zum Beispiel: "Ich merke, du kämpfst gerade. Was würde dir jetzt am besten helfen?" Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass unsere Freunde unsicher waren, wie genau sie mit uns umgehen sollten - nachfragen oder lieber nicht? Uns hat eine klare Abmachung geholfen. Wir haben ausgemacht, dass wir gerne darüber reden möchten, sobald wir selbst das Thema ansprechen. Wenn man ungefragt immer wieder damit konfrontiert wird, zieht einen das noch mehr runter.

Sie beklagen, dass Kinderwunschpatienten psychisch nicht gut genug unterstützt werden.

Sie werden gar nicht unterstützt, es sei denn, sie suchen sich selbst Hilfe. Ich habe mich medizinisch immer gut aufgehoben gefühlt, auch menschlich waren die Ärzte nett, aber psychische Unterstützung gab es keine. Wollen wir es uns gesellschaftlich wirklich leisten, sechs Millionen Menschen über Jahre alleine zu lassen? Auch aus wirtschaftlichen Interessen ist eine psychosoziale Begleitung sinnvoll, denn viele dieser sechs Millionen sind über Jahre seelisch kaum belastbar und können oftmals nicht mehr die volle Arbeitskraft bringen. Ich weiß aus Erfahrung: Die Seele leidet mindestens so stark wie der Körper.

Deswegen coachen Sie jetzt Frauen und Paare mit Kinderwunsch.

Ja, auch weil ich damals für mich kein passendes Unterstützungs-Angebot gefunden habe. Es gibt in meinen Augen diesen Missstand im System, aber keiner spricht über das Thema, also geht es immer so weiter. Ich will nicht, dass Frauen über Jahre vereinsamen. Aber wenn ich etwas beklage, dann muss ich auch etwas tun, um es zu ändern. Deshalb habe ich mich als Kinderwunsch-Coach selbstständig gemacht.

Ist es denn überhaupt möglich, mit dem Kinderwunsch wirklich abzuschließen?

Weggehen wird das Thema nie. Eine Lücke wird bleiben. Denn es geht ja immer weiter: Wenn meine Freundinnen irgendwann die ersten Enkel kriegen, bin ich im Rentenalter und frage mich: Wer sorgt dafür, dass es mir im Alter gut geht? Niemand. Das Thema wird mich bis an mein Lebensende begleiten. Zwei Millionen Deutsche bleiben dauerhaft kinderlos, zugespitzt gesagt: Allein aus Pflegegründen sollte eine gesellschaftliche Debatte über die ungewollte Kinderlosigkeit entstehen.

Trotzdem schreiben Sie: Das Leben kann wunderbar sein, wenn man schafft, loszulassen.

Ja, an diesem Punkt bin ich gerade. Ich habe losgelassen, und dennoch gibt es manchmal schlechte Tage. Aber ich bin dankbar für meine neue Aufgabe, damit habe ich meinem Leben einen neuen Sinn gegeben. Ich glaube, dass viele kinderlose Frauen eine Sehnsucht nach Fürsorge für andere spüren, und die sollten sie ausleben. In einem Ehrenamt zum Beispiel. Ich selbst habe inzwischen einen Hund. Natürlich ist das nicht für jeden etwas und auch kein Ersatz für ein Kind. Aber es ist ein kleiner Kanal für diese große Betüddelungssehnsucht, die viele von uns spüren.

www.kindersehnsucht.de

Hilfe und Infos für Betroffene

Etwa sechs Millionen Frauen und Männer in Deutschland zwischen 25 und 59 Jahren sind ungewollt kinderlos.

Bei etwa 30 Prozent der Paare liegt die Ursache beim Mann, bei 30 Prozent bei der Frau. In weiteren 30 Prozent der Fälle liegt es an beiden Partnern gemeinsam. Und in zehn Prozent der Fälle ist die Ursache für die Kinderlosigkeit ungeklärt.

Damit sich die Krankenkasse an den Kosten einer künstlichen Befruchtung beteiligt, muss ein Paar in Deutschland verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Meist müssten beide Partner mindestens 25 alt sein, die Frau höchstens 40 Jahre und der Mann höchstens 50 Jahre alt, das Paar ist außerdem verheiratet und die Ei- und Samenzellen müssen vom Paar stammen. Es gibt inzwischen jedoch noch weitere Fördermöglichkeiten, um den Kinderwunsch zu erfüllen.

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