Lebenswerk des KerpenersVor 150 Jahren starb Adolf Kolping in Köln

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Adolph Kolping

Adolph Kolping

Köln – Ein Tausendsassa ist laut Duden ein "vielseitig begabter Mensch, dem man Bewunderung zollt". Adolph Kolping war ein solcher Tausendsassa. In der Mitte des 19. Jahrhunderts gründete der in Kerpen geborene katholische Priester einen Gesellenverein nach dem anderen, baute Gesellenhäuser, in dem die jungen Menschen schlafen und essen sowie außerdem religiöses Leben, Bildung und Gemeinschaft erfahren konnten. Er war Verleger, Herausgeber und Chefredakteur - und mit seinen Zeitungen, Zeitschriften und Kalendern so erfolgreich, dass er durch die Erlöse sein Engagement für die Gesellenvereine finanzieren konnte. Er machte weite Reisen zu seinen Vereinen, zu Katholikentagen, zum Papst nach Rom, und er schuf mit Kranken-, Spar- und Unterstützungskassen zukunftsweisende Modelle der sozialen Sicherheit - die Vorläufer der heutigen Krankenkassen.

Für Kolping-Bundespräses Josef Holtkotte, also den geistlichen Leiter des Kolpingwerks, ist er auch heute noch ein Vorbild: "Er muss sehr authentisch gewesen sein und konnte andere schnell überzeugen, was ihm wichtig war - durch das Argument und die Tat." Zudem habe er völlig uneigennützig gehandelt. "Ihm ging es allein um die Menschen", sagte Holtkotte einmal in einem Interview des General-Anzeigers. Am 4. Dezember 1865, also am kommenden Freitag vor 150 Jahren, ist Kolping gestorben - in seinem ersten Gesellenhaus an der Breite Straße in Köln.

Die Ziele sind gleich geblieben

Heute steht dort ein modernes Jugendwohnheim, sechs Etagen hoch, mit 71 Plätzen in Einzel- und Doppelzimmern. Rafaela Ernst ist die pädagogische Leiterin. "Kolping wollte die jungen Menschen in die Arbeitswelt begleiten", sagt sie. "Die Gegebenheiten haben sich zwar geändert, doch Auftrag und Ziel sind geblieben." Einige der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die dort wohnen, machen eine Ausbildung bei Ford oder beim WDR, einer wird Tischler, ein anderer Buchbinder. Ein Schuhmacher, wie Kolping es war, ist unter den 50 Azubis derzeit nicht dabei. "Wir unterstützen die Jugendlichen, die aus ganz Deutschland kommen, so dass sie fern der Heimat einen erfolgreichen Start ins Berufsleben haben", sagt Rafaela Ernst. Kochen, backen, viel Sport, Hilfe im Alltag, Tipps für das Zurechtfinden in der Stadt und fürs Leben lernen - all das ist Teil des Programms, von dem auch die Sprachschüler profitieren, die im Gegensatz zu den Azubis nur einige Wochen dort leben.

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Ein Bewohner unter den 71 bringt eine besondere Geschichte mit: Seit September ist Michael Ahmadi hier, ein Kurde aus dem Iran. Er fühlt sich sehr wohl, wie er sagt. Vor drei Jahren kam er als 15-Jähriger nach Köln, als "unbegleiteter minderjähriger Flüchtling", wie es im Bürokratendeutsch heißt. Nach einer dramatischen Flucht aus dem Iran, wo er wegen Graffiti-Sprayens von der Polizei verfolgt wurde und ihm eine mehr-jährige Gefängnisstrafe drohte.

Viele Wochen war er unterwegs durch die Türkei, über Griechenland und Italien, immer auf Schlepper angewiesen und oft am Ende seiner Kräfte. "Einmal hat mich der Schlepper in einen Lastwagen geschoben und gesagt: Du bleibst jetzt da drin." Etwa zwei Tage sei er mit zwei Gleichaltrigen aus dem Irak dort eingesperrt gewesen, in dieser Zeit mit der Fähre von Athen nach Italien gebracht worden.

Zuvor, an der türkisch-griechischen Grenze, sei er mit einer Gruppe von sieben Personen vier bis fünf Tage umhergeirrt. "Auf der Flucht vor der Polizei habe ich meine Tasche liegen gelassen, ich hatte nichts mehr zu essen, kein Wasser, ich wusste nicht mehr weiter", sagt Michael. Ein Schlepper habe ihm gesagt, sie würden ihn nach Kanada bringen, das dauere nur zwei Tage. "Ich habe es ihm geglaubt, ich wusste ja nicht, wo das liegt." Und warum Köln? Er weiß es auch heute noch nicht. Ein Schlepper habe ihn mit dem Auto von Neapel nach Mailand gebracht und dort ein Ticket für den Zug nach Köln gekauft. "Deutschland kannte ich nur vom Fußball", sagt er - Michael Ballack, Oliver Kahn und Bastian Schweinsteiger seien ihm Begriffe gewesen.

Die erste Zeit in Köln sei sehr schwierig gewesen, erzählt Michael. Das Jugendamt vermittelte ihm zwar eine Jugendwohngruppe, "doch ich konnte die Sprache nicht, hatte keine Freunde, habe meine Familie vermisst und konnte meine Gefühle nicht ausdrücken". In einer Internationalen Förderklasse lernte er Deutsch und machte die Fachoberschulreife. Sein Ziel: eine Ausbildung als Industrie- oder Kfz-Mechatroniker bei Ford. Heute spricht er sehr gut Deutsch, und Rafaela Ernst ist voll des Lobes über den Lerneifer, den der 18-Jährige an den Tag legt. "Deutschland hat mir alles gegeben", sagt er selbst. "Essen, Schlafen, Bildung und vor allem Menschlichkeit." Von Adolph Kolping hat Michael zwar manches gelesen, als er im Jugendwohnheim eingezogen ist, doch vieles davon hat er wieder vergessen. Dieser Satz aber hätte dem Gesellenvater sicher sehr gefallen.

Hilfe für Flüchtlinge

So wie der Kurde aus dem Iran werden in Zukunft noch viel mehr junge Flüchtlinge in den rund 35 Kolping-Jugendwohnheimen unterkommen. "Zu Kolpings Zeiten waren es Arbeitsmigranten aus dem näheren Umfeld, jetzt kommen sie eben aus einem weiteren Umfeld", sagt Dirk Tänzler, der bei Kolping Jugendwohnen für die politische Interessenvertretung zuständig ist. Unter dem Motto "Wohnen, Bilden, Integrieren" hätten die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in den Jugendwohnheimen dann auch die Chance, mit hiesigen Azubis in Kontakt zu treten und bei der Bewältigung des Alltags von ihnen zu lernen. "Wir wollen sie mischen, so dass die Integration einfacher wird." Doch Tänzler geht noch weiter. In der vorigen Woche stellte er das Projekt "Kolping-Netzwerk Junge Flüchtlinge" vor. "Kolping kann für die jungen Menschen in der Tat ein Netzwerk sein", sagt er. Schließlich gehören dem Kolpingwerk in Deutschland rund 245 000 Mitglieder an, davon etwa 40 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in 2500 Kolpingsfamilien in den katholischen Pfarrgemeinden.

Schon jetzt seien viele engagierte Christen in der Hilfe für Flüchtlinge aktiv, sagt Tänzler. "Uns als Katholiken tut es gut, diese Herausforderung zu haben. Da merkt dann auch die Gesellschaft, was sie an der Kirche hat und wie viel Engagement in ihr steckt." Viele Kolpingsfamilien würden ganz konkrete Möglichkeiten suchen, Flüchtlingen zu helfen. Das Kolpingwerk werde dazu eigens einen Berater einstellen.

Manchmal sind dem allerdings auch Grenzen gesetzt. "Wir hatten überlegt, ob wir eine Aktion starten können, aber dafür sind wir einfach zu überaltert", sagt Kunibert Krenz, seit 1994 Vorsitzender der Kolpingsfamilie Sankt Augustin. Er selbst ist 77, im engeren Vorstand ist der jüngste 70 Jahre alt. So gibt es zwar keine Kolpingaktion für Flüchtlinge, aber einzelne Mitglieder in der Gemeinde helfen bei der Aktion "Neue Nachbarn". Paul Birkhölzer zum Beispiel, mit 83 der Älteste im Vorstand, hat zwei Platten organisiert, und jetzt spielen alle paar Tage Einheimische und Flüchtlinge im Pfarrsaal von Sankt Mariä Heimsuchung in Mülldorf Tischtennis. "Kolping hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich um andere Menschen zu bemühen, daher sehe ich es jetzt auch als Aufgabe an, mich für Flüchtlinge zu engagieren", sagt Birkhölzer.

Wie die meisten seiner Mitstreiter ist der pensionierte Richter vor gut 40 Jahren zur Kolpingsfamilie gekommen. "Das war die Blütezeit." Es wurden Zeltlager mit 60 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen organisiert, regelmäßige Gruppenstunden, interessante Glaubensgespräche und große Karnevalssitzungen. "Wir haben uns auch gesellschaftlich eingemischt." Als Birkhölzer davon erzählt und seine Augen leuchten, fällt ihm Reiner Ruwiedel ins Wort. "Vergessen Sie nicht", ruft er dem Reporter zu, "das ist alles Schnee von gestern." Viele Kinder seien in alle Welt verstreut, und darüber hinaus seien "solche Vereine wie unserer mit einem religiösen Hintergrund nicht mehr so gefragt".

Meistens dreimal im Jahr tritt die Kolpingsfamilie in der Gemeinde auf: Zu Kolpings Todestag bereiten die Mitglieder einen Gottesdienst vor, beim Pfarrfest betreiben sie den Grillstand und in der Fastenzeit veranstalten sie ein Puttesessen, dessen Erlös sie wohltätigen Zwecken spenden. Doch sonst bleiben die Kolpingmitglieder meist unter sich, kümmern sich um die Alten, Kranken und Einsamen, machen Ausflüge, treffen sich mit ihrem Präses Pater Devis Don Wadin zu Glaubensgesprächen und erfreuen sich an ihrer Gemeinschaft.

Da steckt viel Herzblut drin

Werbekampagnen hätten nicht gefruchtet, sagt Kunibert Krenz, der 77-jährige Vorsitzende. "Von daher glaube ich nicht, dass wir in den nächsten Jahren neue Mitglieder aufnehmen werden." Aber aufgeben? Nein. "Jeder ist für den anderen da, das habe ich außer in der eigenen Familie nirgendwo anders gespürt", sagt Krenz. Und Bernd Walterscheid, der 70-Jährige, meint: "Bei uns ist so viel Herzblut dabei, das können wir nicht aufgeben." Viel Herzblut - das war bei dem rheinischen Tausendsassa Adolph Kolping auch immer dabei.

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