Neue MethodenDie Welt der Naturheilkräfte kombiniert mit Schulmedizin

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Kohlwickel sind gut bei Entzündungen – Naturheilkunde, die wissenschaftlich belegt ist.

Kohlwickel sind gut bei Entzündungen – Naturheilkunde, die wissenschaftlich belegt ist.

Blutegel, Schröpfköpfe, Senfmehl-Auflagen, Horn-Schaber, Kräuterstempel, Kohlwickel, Akupunktur-Nadeln. Muss, wer die Essener Klinik betritt, am Eingang etwa ein „Om“ murmeln? Sind da blecherne Gongs auf dem Flur zu hören? Kokeln irgendwo Räucherstäbchen vor sich hin? Mitnichten. Wer ambulant oder stationär in dieses Krankenhaus geht und zu Prof. Dr. Gustav Dobos, ein ausgesprochener Experte naturheilkundlicher Verfahren, wird all seiner Vorurteile beraubt und eines Besseren belehrt. Ihm wird geholfen. So wie der TV-Moderatorin Bettina Böttinger. Sie kam, weil sie sich fühlte „wie ein gehetztes Tier, weil mein Ich aus der Fassung geraten war“, das Herz raste, der „Rücken wie versteinert“ war, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen sie fertig machten. Bettina Böttinger war eigener Aussage nach handlungsunfähig.

Sechs Monate in China

Ihr Anker in letzter Not war Dobos, Lehrstuhlinhaber an der Universität Duisburg-Essen, Chef der Klinik für Naturheilkunde, Knappschaftskrankenhaus in Essen. Der Arzt verbindet mit großem Erfolg Naturheilkunde, Schul- und Hochleistungsmedizin. „Wir decken alle naturheilkundlichen Verfahren ab, für die es wissenschaftliche Nachweise gibt“, sagt er. Dobos genießt als „Pionier der Naturheilkunde“ international Anerkennung, als Hauptredner tritt er auf den großen Welt-Ärztekongressen auf, wie im vergangenen Jahr in Las Vegas und Miami.

Zum breiten Spektrum des Internisten, Nierenspezialisten und Intensivmediziners gehören integrative Medizin, traditionelle chinesische Medizin, Akupunktur, indische und große Bereiche der europäischen Medizin sowie Mind-Body-Medizin. Gustav Dobos ist seinem Gegenüber so wohlwollend, wohltuend und freundlich eingestellt, dass allein schon dies und die Hoffnung auf Hilfe die Schmerzen erträglicher zu machen scheint.

Für seine Überzeugung musste er einen langen Weg gehen. Er wurde belächelt, von Kollegen listig mit Fällen betraut, die angeblich aussichtslos waren. Er wurde hinter vorgehaltener Hand in die Rubrik „Ziemlich seltsam“ bis hin zu „Spinner“ eingeordnet. „Ich habe lange in der universitären Medizin gearbeitet. Viele Menschen lagen dort mit unklaren Erkrankungen. Immunologische Leiden, lange Schmerzkarrieren aufgrund von Rheuma, Magen-Darm-Beschwerden und vieles andere. Die meisten nahmen schon viele Jahre sehr starke Medikamente. Sie kamen zur Abklärung in die Klinik. Doch in vielen Fällen konnte man nichts finden.“

Dobos ließen diese Schicksale nicht mehr los, zumal er während seines Studiums erstmals für sechs Monate in China war und dort die chinesische Medizin kennengelernt hat. „Ich war begeistert von dem, was ich gesehen habe. Das war die Initialzündung.“ Obwohl er als westlicher angehender Mediziner manches anfänglich zumindest als befremdlich einstufte. Nicht jedoch solche Erlebnisse wie die Behandlung eines Arbeiters, der aufgrund eines Schocks seit Wochen nicht mehr sprechen konnte – hysterische Aphonie. „Bei uns wäre er wohl in einer psychiatrischen Klinik behandelt worden, wo man ihm mit Medikamenten hätte helfen können.“

Schlüsselerlebnis in China

Nicht so in China. Die Ärztin akupunktierte den Mann, stimulierte die Nadeln stark, indem sie sie raus und rein schob, drehte und ihn auf Chinesisch ermunterte, endlich zu sprechen „Shuo hua! Shuo hua!“ Dobos: „Nach einer halben Stunde fing der Mann an zu sprechen, zuerst ganz leise, dann immer lauter. Da bekommst du Gänsehaut.“ Das und viele andere Fälle waren für ihn wie ein Augenöffner und unumkehrbarer Weg in die medizinische Welt der Naturheilkunde. Dobos absolvierte die große Bandbreite medizinischer Ausbildungen. Er vertiefte sich zudem in erfolgversprechende Verfahren aus Indien, China und anderen Ländern. „Wir haben alles untersucht, verifiziert und in unterschiedlichen Zeitschriften publiziert, in denen auch die Schulmedizin ihre Verfahren veröffentlicht. Viele Methoden sind in ihrer Wirksamkeit vergleichbar mit konventionellen Therapien, haben aber weniger Nebenwirkungen.“

Dass er in Essen landete, ist dem damaligen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau zu verdanken, der naturheilkundliche Kliniken in NRW haben wollte. So entstand die damals weltweit einzige Klinik für Naturheilkunde mit einer großen Forschungsabteilung, die außerdem an einem Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Universität Duisburg-Essen angebunden ist. Im Klinikum Essen-Mitte ist heute ein 14-köpfiges Ärzteteam aus Indien und China beschäftigt. Nur in der Charité in Berlin gibt es eine vergleichbare Einrichtung, die Prof. Andreas Michalsen leitet, ehemals Leitender Oberarzt bei Dobos. Weitere akademische Standorte sind in Planung.

Selbstheilung stärken

In Essen werden auch in enger Kooperation mit Onkologen Krebspatienten behandelt. Ziel ist die Linderung von Nebenwirkungen der Krebstherapie und die Verbesserung des körperlichen und seelischen Gleichgewichts. Die Kliniken Essen-Mitte besitzen eines der größten Zentren in Deutschland für integrative Onkologie bei Brust- und Unterleibskrebs. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Mind-Body-Medizin, die auch unter dem etwas befremdlich anmutendem Begriff Ordnungstherapie firmiert. Sie stärkt die Selbstheilungskräfte, aktiviert Kraftquellen, sucht und nutzt Ressourcen. „Wir gehen davon aus, dass der Mensch nie nur krank ist. Jeder hat auch gesunde Anteile.“

Eine Patientin, viele Jahre chronisch krank und sehr erschöpft, schilderte ihren Zustand so: „Es ist, als ob ich schon lange schwimme, müde und schwach bin, und mein Kopf mehr unter als über dem Wasser ist. Kurz bevor ich drohe zu ertrinken, hebe ich den Kopf an, mache zwei Schwimmzüge, hole noch einmal Luft und gehe dann wieder unter.“ Dobos und sein Team haben die Frau therapiert.

Im ersten Schritt konnte sie sinnbildlich den Kopf über Wasser halten und wieder atmen. Später dann, um im Bild zu bleiben, stieg sie aus dem Wasser. Krankheitszustand und Patientin wurden stabilisiert, sodass sie selbst bei einem Rückfall nicht mehr hätte „ertrinken“ können. Salutogenese nennt man das, was der Entstehung und Erhaltung der Gesundheit dient.

Den Weg zur Erhaltung der Gesundheit ebnen auch kleine schwarze Würmer, die Blutegel. Sie sehen harmloser aus als man denkt. Gustav Dobos arbeitet daran, dass die Blutegel-Therapie aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen in die Leitlinien für Kniegelenkarthrose aufgenommen wird. „Blutegel sind bei dieser Indikation die wirksamste Schmerztherapie.“

Besondere Blutegelzucht

Die kleinen Viecher sind lebende Apotheken mit rund 100 unterschiedliche Substanzen in ihrem Speichel. Darunter Morphine, entzündungshemmende und immunologisch wirkende Substanzen. Alles geben sie an den Menschen ab, an den sie sich mit herzhaftem Biss angedockt haben.

Blutegel werden für medizinische Zwecke speziell gezüchtet, um die Qualität zu garantieren. Vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte werden die Egel als Arzneimittel definiert, was den einwandfreien Status dieser lebenden Arznei sichert.

Warum sich niedergelassene Orthopäden oder Internisten dieser Tierchen nicht im Praxisalltag bedienen, liegt auf der Hand: Es rechnet sich nicht. Bis zu drei Stunden kann so eine Blutegel-Therapie dauern. In dieser Zeit blockiert der Patient das Behandlungszimmer und beschäftigt auch danach noch die Helfer. Denn Blutegel spritzen auch blutverdünnende Substanzen in den Körper. Die blutverdünnenden Mittel sorgen dafür, dass reichlich Blut aus den kleinen Bisswunden strömt, sobald die Blutegel ihr Werk vollendet haben. Was zur Folge hat, dass ziemlich viel Verbandsmaterial verbraucht wird.

Für ganz normale Praxen rechnet sich dieser Personal- und Zeitaufwand nicht, für die Pharma-Industrie erst recht nicht. Gleiches gilt für Therapien wie den Aderlass, wodurch der Blutdruck gesenkt wird. Weil sich dadurch die Einnahme von Medikamenten verringert, dient auch das nicht den Arzneimittelfirmen. Drei Monate halte nach einem Aderlass die Senkung des Blutdrucks an, wenn 300 bis 400 Milliliter abgezapft werden.

Einen vergleichbaren Effekt erzielt, so Dobos, „wer regelmäßig Blut spendet“. Eingesetzt wird Aderlass auch bei der Hämochromatose, einer Eisenspeicherkrankheit, oder bei einer Polyglobulie, einer deutlichen Erhöhung der Zahl roter Blutkörperchen. In Verruf geraten ist diese Uralt-Therapie einst, weil vor allem im Mittelalter die „Ärzte“ mangels besseren Wissens des guten Zuviel getan haben.

Das Ende vom Lied: Der Patient verblutete. Die Anwendung längst vergessener, wissenschaftlich fundierter und medizinisch belegter Methoden schützt Dobos und sein Team gelegentlich nicht vor grotesken Patienten-Wünschen. Auch Heilung und Linderung chronischer Schmerzen von jetzt auf gleich gehören ins Reich der Wunder. Naturheilkunde braucht Zeit.

Wer die Hoffnung hegt, dass zumindest Faszien-Therapien, die in Essen je nach Diagnose mit Finger- und Knöcheldruck oder aber dem Ellenbogen gemacht werden, ein wundervolles Aha-Erlebnis sein werden, wird die sehr schmerzhafte Anwendung so schnell nicht vergessen. „Diese Massagen und auch das Schröpfen lässt man sich nicht antun, um sich zu verwöhnen. Aber die Wirkung ist top.

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