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Serie „Stadt Land Rhein“Boom in der Flusskreuzfahrt-Branche

Lesezeit 5 Minuten
Flusskreuzfahrt außen

Eines von vielen Hotelschiffen auf dem Rhein: Die "Anesha" des Kreuzfahrt-Veranstalters Phoenix-Reisen.

Mirco hat die Ruhe weg - vielleicht, weil er jeden Tag etwas anderes zu sehen bekommt, vielleicht, weil es seinem Typ entspricht. Mirco ist seit fast 20 Jahren Reiseleiter. Er fährt über die Flüsse Europas, minütlicher Tapetenwechsel inbegriffen. Dafür hat er seinen Beruf als Lehrer aufgegeben, hat auf seine Verbeamtung gepfiffen, selbst noch mal die Schulbank gedrückt und Reisetourismus studiert. Nun setzt sich Mirco nicht mehr den Fragen seiner Schüler aus, sondern denen seiner Gäste. Und dabei kann ihn mittlerweile kaum mehr etwas aus der Bahn werfen. Fachliche Fragen sowieso nicht, und auch die meisten privaten kennt er mittlerweile. Zum Beispiel, wenn sich der Reiseleiter seinen Gästen vorstellt: Und was machen Sie beruflich? Warum machen Sie nichts Anständiges? Bekommen Sie denn auch Geld dafür? Als ob es kein richtiger Beruf wäre, sich um Reisende zu kümmern.

Diesmal ist Mirco mit seinen Gästen auf der "MS Anesha", benannt nach einem Mitglied der Reedereifamilie, unterwegs von Köln nach Amsterdam. Drei Tage Kurzreise. Eine Tour, die "immer beliebter" wird, wie Benjamin Krumpen, stellvertretender Vorsitzenden des Schiffsausschusses beim Deutschen Reiseverband (DRV) und Geschäftsführer bei Phoenix Reisen Bonn, weiß (siehe das Interview unten).

Die Branche boomt

Die Kreuzfahrt-Branche auf Europas Flüssen boomt. 2015 unternahmen nach einer Studie des DRV rund 1,33 Millionen Passagiere eine Flusskreuzfahrt in Europa, womit das Rekordjahr 2014 noch einmal um 20,4 Prozent übertroffen wurde. Auf dem deutschen Markt wurden 423 635 Flusskreuzfahrten verkauft. Das sind 1,9 Prozent mehr als im Jahr 2014 (415 858 Passagiere). 2006 waren es "nur" 311 000 deutsche Kreuzfahrer. Der Ticketerlös stieg allein in Deutschland um 39,3 Millionen Euro auf 435,1 Millionen Euro.

Zu den beliebtesten Zielen der Deutschen zählten 2015 die Donau und der Rhein mit seinen Nebenflüssen, wobei sich Letzterer sogar mit 38,2 Prozent aktuell an die Spitze des Rankings setzte (Donau: 38,0 Prozent). Ohnehin gebe es inzwischen einen klaren Trend zum Urlaub vor der Haustür - auch wegen der aktuellen Krisen in der Welt, beobachtet Benjamin Krumpen.

Unterdessen hat Mirco mit ganz anderen Problemen zu kämpfen - das Wetter spielt nicht mit. Mirco versucht, das Beste daraus zu machen: "Das Schönste ist, der meiste Regen geht daneben." Die Gäste lassen sich nicht beeindrucken. Weder von Mirco noch vom Regen. Mit Schirmen bewaffnet erkunden sie Amsterdam, unternehmen eine Grachtenfahrt, besuchen den Bloemenmarkt, wagen sich ins Rotlichtviertel bei Nacht. Auf der Rückfahrt lockt ein Einkaufsbummel durch Nijmegen, bevor Duisburgs Hafen und Düsseldorfs Altstadt vorbeiziehen.

Die Städte und Regionen entlang der Routen der Kreuzfahrtschiffe profitieren vom Boom. Landausflüge, Gastronomiebesuche und die Anlandegebühren lassen die Kassen klingeln. "Sämtliche nationalen wie internationalen Reedereien fahren Köln an, zumeist als Tagesaufenthalt, oft auch als Übernachtungsstopp", freut sich Claudia Neumann, Pressesprecherin von Kölntourismus. Ein Großteil der Gäste komme aus den USA, aus Kanada, Großbritannien, Australien und Deutschland, zunehmend auch aus Asien, hier vor allem aus China. Genaue Zahlen seien nur schwer zu erheben, da den Vermietern der Anlegebrücken nur Aufenthaltsdaten vorliegen, unabhängig von der Schiffsgröße. Bei maximaler Belegung sei jedoch von durchschnittlich 155 Passagieren pro Schiff auszugehen. Auf dieser Berechnungsbasis "kommen wir für 2014 und 2015 auf jeweils rund 2500 Anlandungen an Steigern in Köln mit rund 394 000 Gästen", so Neumann. Davon legten etwas weniger als 700 Schiffe über Nacht an, mit etwa 108 000 Übernachtungsgästen auf den Schiffen.

"Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass viele Kreuzfahrtpassagiere ihre Reise in Köln beginnen oder beenden. Dadurch werden nach unserer Schätzung einige Tausend Übernachtungen pro Jahr in der Kölner Hotellerie generiert.

In Bonn geht man davon aus, das jährlich circa 430 Kreuzfahrtschiffe mit rund 60 000 Personen einen Zwischenstopp in der Bundesstadt einlegen, wie Milena Seidel von der Tourismus & Congress GmbH (T&C) erklärt. Für den Tourismus in Bonn spielten die Flusskreuzfahrer eine große Rolle. So habe die T&C im vergangenen Jahr an 51 Tagen die Organisation des Landprogramms für die Passagiere des Kreuzfahrt-Veranstalters Thurgau Travel übernommen. Die Gäste hatten die Wahl zwischen einer zweistündigen Stadtrundfahrt und einem einstündigen Rundgang. "Etwa 100 Personen pro Schiff buchten die angebotenen Programme", so Seidel. "Sie geben dabei durchschnittlich 30,30 Euro pro Person in Bonn aus."

Die Flusskreuzfahrer spülen also 1,82 Millionen Euro pro Jahr in die Bonner Kassen. In der Region profitieren darüber hinaus Königswinter und Remagen vom Geldregen durch den Flusskreuzfahrt-Tourismus. Gerade das 1884 erbaute Schloss Drachenburg sei eine optimale Adresse, um die viel beschriebene Rheinromantik zu erleben, versucht die Betriebsleiterin des dortigen Museums, Walburga Schulte Wien, ihre Einrichtung in Szene zu setzen. "Wir sind so etwas wie das Tor zur Rheinromantik." Und das wirkt: 2015 stoppten 189 Schiffe am Anleger der Tourismus Siebengebirge GmbH, in Remagen waren es im vergangenen Jahr knapp 60 Flusskreuzfahrtschiffe.

Kurz bevor das Reiseziel erreicht ist, präsentiert Reiseleiter Mirco zum Abschluss die unglaublichsten Fragen, die ihn diesmal erreicht haben: Wohnt die Crew ebenfalls an Bord? Und den Klassiker: Haben Sie zufällig meinen Mann gesehen? Aber zum Glück ist auch diesmal keiner über Bord gegangen.

Buchtipp zur Serie

Die schönstenFolgen unserer Rheinserie "Stadt, Land,Rhein" und weitereGeschichtenrund um denRhein erscheinen unter dem Titel"RheinLiebe" im Droste Verlag auch als Buch. Das Buch erscheint am 7. September und ist für den Preis von 24,99 Euro erhältlich im Rundschau-Shop oder im Buchhandel. Vorbestellungen sind bei versandkostenfreier Lieferung ab sofort möglich unter 0221 567 99 307 und im Internet

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