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Trinken aus PlastikflaschenLeitungswasser ist immer erste Wahl

Lesezeit 6 Minuten
Wasser aus Kunststoffflaschen war in Tests deutlich häufiger und höher hormonell belastet als das aus Glasflaschen.

Wasser aus Kunststoffflaschen war in Tests deutlich häufiger und höher hormonell belastet als das aus Glasflaschen.

Frankfurt – Hundertprozentig nachgewiesen sind Hormone in Plastikflaschen nicht. Der Toxikologe Dr. Martin Wagner hat aber belastbare Indizien. Frederik Jötten sprach mit ihm.

Die Stiftung Warentest hat Mineralwasser untersucht und unter anderem Pestizidrückstände entdeckt - ist das gefährlich?

Die Konzentrationen der gefundenen Pestizid-Abbauprodukte sind extrem niedrig und nach unseren derzeitigen Erkenntnissen gesundheitlich unbedenklich. Die Untersuchung der Stiftung Warentest zeigt uns allerdings eins sehr deutlich: Wir haben den globalen Wasserkreislauf mit einer Vielzahl an synthetischen Chemikalien kontaminiert - und irgendwann kommen die Umweltchemikalien zu uns zurück.

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Es hält sich das Gerücht, dass Kunststoffflaschen hormonähnliche Substanzen ins Mineralwasser abgegeben - sind diese in höheren Konzentrationen im Mineralwasser enthalten als die von der Stiftung Warentest gefundenen Rückstände?

Wir haben in unseren Studien hormonähnlich wirkende Substanzen, sogenannte Umwelthormone, im Mineralwasser gefunden und gute Hinweise darauf, dass zumindest ein Teil davon aus der Kunststoffverpackung stammt. In unserer ersten Studie haben wir 18 verschiedene Mineralwässer getestet, sowohl aus Glas- als auch aus Plastikflaschen. Wasser aus Kunststoffflaschen war deutlich häufiger und höher hormonell belastet als das aus Glasflaschen.

Wie haben Sie das getestet?

Wir haben nicht nach einzelnen Chemikalien gesucht, sondern wir haben eine Hefe verwendet, die den humanen Östrogenrezeptor eingebaut hat. Wir können damit messen, ob dieser aktiviert wird oder nicht. Außerdem haben wir Schnecken, die sehr empfindlich auf östrogenartige Substanzen reagieren, in wassergefüllte PET-Flaschen und Glasflaschen gesetzt. Schnecken in Plastikflaschen hatten eine etwa doppelt so hohe Reproduktion wie die in Glasflaschen.

Umwelthormone in Flaschen

Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) schrieb dazu: „Die in der Publikation angegebenen Daten belegen nicht, die von den Autoren diskutierte Hypothese, die östrogenartige Aktivität, stamme aus PET-Flaschen. Auch die Versuche mit einem Schneckenmodell sind nicht geeignet, diese Befunde zu erhärten.“

Da bin ich anderer Meinung: Wenn sich die Reproduktion von Schecken allein dadurch verdoppelt, dass sie in PET-Flaschen gehalten werden, ist das schon ein starker Hinweis darauf, dass Umwelthormone auslaugen. Wir haben übrigens nie behauptet, dass unser Schneckenmodell direkt übertragbar auf die menschliche Gesundheit ist. Vielmehr geht bei unseren Experimenten die rote Flagge hoch, die anzeigt, dass Umwelthormone enthalten sind. Das ist nur der erste Schritt und man muss dem nachgehen.

Haben Sie das nicht gemacht?

Das haben wir versucht, und natürlich auch andere. Das Problem ist allerdings: wenn man nach den üblichen Verdächtigen sucht - Weichmachern, Phthalaten, Bisphenol A - findet man diese im Mineralwasser, allerdings nur in geringsten Mengen. Diese Chemikalien erklären also nicht die hormonelle Aktivität, die wir und andere gefunden haben. Wir haben es also mit unbekannten Substanzen zu tun. Und damit hat das BfR als Behörde natürlich Schwierigkeiten: Es kann nur das bewerten, was es kennt.

Und diese unbekannten Substanzen kann man nicht identifizieren?

Wir haben im letzten Jahr eine Studie veröffentlicht, in der es uns gelungen ist, im Mineralwasser eine hormonähnliche Substanz nachzuweisen - das war sehr aufwendig und teuer. DEHF, ein Di(ethyhexyl)fumarat, erinnert strukturell an DEHP, dem Weichmacher und Umwelthormon schlechthin. Zu unserer Substanz gibt es im Gegensatz zu DEHP jedoch keine toxikologischen Daten. Trotzdem trinken wir sie jeden Tag...

Negative Reaktion auf Studien

Haben Sie diese hormonähnliche Substanz verstärkt in Mineralwasser aus Kunststoffflaschen nachgewiesen?

Nein, diese Chemikalie haben wir in allen Mineralwässern gefunden, egal aus welcher Verpackung. Es gibt prinzipiell drei mögliche Quellen für die Kontamination. Der Mineralbrunnen selbst, der Abfüllprozess und erst die dritte Quelle ist die Plastikflasche. Unsere Substanz könnte eventuell aus Reinigungsmitteln stammen. Aber da es keine Studien zu dem Thema gibt, ist das nur eine Spekulation.

Das BfR hält „systematische Stufenkontrollen für erforderlich“, also direkt den Quellen entnommenes Wasser zu testen und zu vergleichen mit Wasser, das die Behandlungsprozesse durchlaufen hat...

Da hat das BfR recht - allerdings war die Reaktion der Mineralwasserabfüller und der Kunststoffindustrie auf unsere Studien zumeist sehr negativ. Deshalb war es für uns nicht möglich, solche Studien durchzuführen. Die Kunststoffflasche alleine ist es nicht - aber unsere Daten zeigen, dass aus diesen auch Substanzen auslaugen.

Wie kann man sich schützen vor Substanzen, die aus dem Kunststoff austreten?

Generell ist das Auslaugen von Chemikalien zeitabhängig - je länger eine Flüssigkeit in der Kunststoffverpackung ist, desto mehr geht ins Lebensmittel über. Außerdem steigt diese Menge auch mit der Temperatur. Wer einmal bei Hitze eine Plastikwasserflasche im Auto hat liegen lassen und danach daraus getrunken hat, weiß: Dieses Wasser schmeckt chemisch. Hervorgerufen wird dieser Geschmack durch Acetaldehyde, die aus dem Kunststoff freigesetzt werden.

Sind die gefährlich?

Acetaldehyd gilt in den vorliegenden Konzentrationen als ungefährlich. Es ist aber ein Beispiel dafür, dass Kunststoffe in nennenswerten Mengen Chemikalien freisetzen - die Menge ist so groß, dass man sie sogar schmecken kann.

Sichere Glasflaschen?

Ist man sicher, wenn man nur Mineralwasser aus Glasflaschen trinkt?

Generell zeigen unsere Daten, dass Mineralwasser aus Glasflaschen seltener und weniger stark belastet ist. Aber es ist auch nicht unbelastet, das deutet wieder daraufhin, dass es noch eine andere Kontaminationsquelle gibt.

Gehen aus billigen dünnen Einwegflaschen vom Discounter mehr Substanzen ins Mineralwasser über als aus dem dickeren Material der Mehrwegflaschen?

Wir hatten in unseren Tests Discounter-Wasser und auch teureres Wasser in Plastikflaschen - und wir haben keinen Unterschied beobachtet. Wasserflaschen, egal ob von Aldi oder aus dem Getränkemarkt, sind immer aus PET gemacht. Weiche Flaschen haben einfach nur eine dünnere Wandung als die Mehrwegflaschen, da sind nicht etwa Weichmacher drin.

Löst sich mehr aus Flaschen mit Kohlensäure-haltigen Getränken oder mit Cola, die ja Säure enthält? Eventuell in Fett? Ölflaschen?

Wir konnten keine Unterschiede zwischen stillem und kohlensäurehaltigem Wasser feststellen. In fetthaltige Lebensmittel, etwa Speiseöle, werden verstärkt fettlösliche Chemikalien auslaugen. Auch die Säure in Erfrischungsgetränken wie Cola kann ein Auslaugen begünstigen. Es gibt bisher nur wenige Untersuchungen.

Es werden Kunststoffflaschen angeboten mit der Werbung „Bisphenol A“ frei - sind die besser als herkömmliche PET-Flaschen?

Der neuartige Kunststoff Tritan ist ein Ersatzmaterial für die alten, BPA-haltigen Trinkflaschen. In den USA gibt es ein Forscherteam, das dieses Material mit einem ähnlichen Testsystem wie dem unserem untersucht und darin auch östrogenartige Substanzen gefunden hat. Das Problem ist doch: Wir kennen die Chemikalien und Wirkungen der Ersatzkunststoffe noch weniger als die der BPA-haltigen Flaschen. Insofern beginnt die Forschung von vorn und wer weiß, vielleicht gibt es ja in 15 Jahren Tritan-freie Plastikflaschen. Insgesamt ist ein derartiges Vorgehen alles andere als optimal. Besser wäre es doch, gleich Kunststoffe zu entwickeln, die keine schädlichen Chemikalien enthalten.

Vorsicht bei älterem Edelstahl

Wie sind Edelstahlflaschen aus toxikologischer Sicht zu bewerten?

Vorsicht mit älteren Flaschen - früher wurden sie innen mit Epoxidharzen beschichtet. Diese werden aus BPA hergestellt. Die neuen Edelstahl-Flaschen, zumindest die von Qualitätsherstellern, sind nicht mehr beschichtet. Sie sind eine gute Alternative zu PET-Flaschen.

Welches Mineralwasser empfehlen Sie?

Das Leitungswasser, das wir untersucht haben, war nicht mit Umwelthormonen belastet. Warum nicht das am strengsten kontrollierte Wasser in Deutschland trinken, nämlich das, was aus dem Hahn kommt? Das ist 1000- bis 5000-mal günstiger, muss nicht verpackt, mit hohem Energieaufwand abgefüllt und transportiert werden und verursacht keinen Müll. Für mich ist die Wahl da offensichtlich.

Findet man Pestizidrückstände in ähnlicher Konzentration, wie sie Stiftung Warentest im Mineralwasser gefunden hat, auch im Leitungswasser?

Grundsätzlich gelten für Leitungswasser strengere Richtlinien. Was viele nicht wissen: Mineralwasser darf nicht aufbereitet werden, Leitungswasser hingegen wird sehr aufwendig kontrolliert und gereinigt. Dadurch ist die Belastung mit Pestiziden in der Regel deutlich niedriger und seltener. Auch eine hohe Keimbelastung, wie in einem der Wasser in der Untersuchung von Stiftung Warentest, ist beim Leitungswasser deshalb äußerst unwahrscheinlich.

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