UmweltEinkaufen ohne Plastiktüte – ein Selbstversuch

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Die kleinen Abreiß-Tütchen aus Kunststoff sind bei der Drogeriekette dm Anfang April abgeschafft worden.

Eine Situation, die vermutlich fast jeder so oder so ähnlich schon erlebt hat: Die Kassiererin im Supermarkt zieht die Artikel über den Scanner. Und plötzlich fällt es einem ein: Der Jutebeutel, den man vor dem Einkauf in guter Absicht eingepackt hat, liegt im Auto.

Was also tun? Milch, Eier und Käse in die Handtasche stopfen oder auf dem Arm aus dem Geschäft rausbalancieren? Ich gebe zu: Wenn mir die Kassiererin in so einer Situation eine Plastiktüte angeboten hat, habe ich sie bisher meist dankend angenommen. Oder selber danach gefragt.

Jeder Bürger mit 71 Plastiktüten

So, wie es vermutlich viele Deutsche tun. Immerhin kommen auf jeden Einwohner hierzulande im Schnitt jährlich 71 Plastiktüten. Teilweise erhalten Kunden die Kunststoffbeutel in Geschäften heute nur noch gegen eine geringe Gebühr. Häufig sind einfache Plastiktragetaschen aber nach wie vor gratis. So oder so: man bekommt sie. Und den geringen Centbetrag, der unter Umständen fällig wird, zahlen viele Deutsche offenbar bereitwillig.

Bei Rewe etwa kosten herkömmliche Plastiktüten seit Anfang der 90er Jahre extra. Trotzdem gingen in den deutschlandweit rund 3000 Filialen bislang jährlich etwa 140 Millionen Stück über die Kasse. Diesen Müllberg muss man sich mal vorstellen. Zumal: Häufig werden die umweltschädlichen Tüten schon nach einmaligem Gebrauch weggeschmissen. Die Europäische Union hat ihnen deshalb den Kampf angesagt: Bis Ende 2025 muss der Pro-Kopf-Verbrauch in den Mitgliedstaaten auf 40 Stück pro Jahr sinken. Das gilt allerdings nur für die gängigen dünnen Plastiktüten - dickere Tiefkühltragetaschen etwa und sehr dünne Beutel für Obst oder Wurstwaren sind ausgenommen.

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Die Ausbeute: Viele Geschäfte bieten heute Papiertüten an. Fast überall gibt es aber auch noch Plastik.

Auch bei den Unternehmen tut sich etwas. Mittlerweile haben 300 Firmen eine freiwillige Vereinbarung des Handelsverbands Deutschland (HDE) mit dem Bundesumweltministerium unterzeichnet und verpflichten sich, die herkömmlichen Kunststofftragetaschen spätestens ab dem 1. Juli nicht mehr kostenlos abzugeben. Der Lebensmittelkonzern Rewe ging zuletzt noch weiter.

Anfang Juni gab das Unternehmen bekannt, diese Plastiktüten aus Nachhaltigkeitsgründen flächendeckend abzuschaffen - eigenen Angaben zufolge als erster großer Lebensmittelhändler in Deutschland. Aber wie sieht es eigentlich in anderen Geschäften des täglichen Bedarfs aus? Bekommt man in Apotheken, an Tankstellen oder in Modefilialen Plastiktüten angeboten und wenn ja: Muss man dafür zahlen? Ein Selbsttest in Köln.

Drogeriekette dm, Minoritenstraße

Auf das Band wandern Shampoo und ein Duschgel. Wer eine Tüte braucht, kann zwischen Plastikbeutel aus 90 Prozent Recycling-Kunststoff, Papier, Permanenttragetasche und Bio-Baumwollbeutel wählen. Die einfache Plastiktüte gibt's ab zehn Cent. Aber wo sind die kleinen Abreiß-Tütchen aus Kunststoff hin, die es bei dm früher kostenlos an jeder Kasse gab? "Die sind zum 1. April in allen Märkten abgeschafft worden", sagt Daniel Leufen, stellvertretender Filialleiter in der Minoritenstraße. Dort wurde die kostenlose Ausgabe testweise schon vergangenes Jahr eingestellt. Und die Kunden? Hätten größtenteils verständnisvoll reagiert, so Leufen.

H&M, Ehrenstraße

"Brauchst du eine Tüte?", fragt der junge Mann hinter der H&M-Kasse, als ich ein Paar Jeansshorts auf den Ladentisch lege. "Kostet 15 Cent." Ich nehme eine. Seit 2010 bestehen die herkömmlichen Plastikbeutel Firmenangaben zufolge ausschließlich aus recyceltem Material. Papiertüten gibt es bei H&M nicht. Dass sie umweltfreundlicher seien als Plastik "ist ein weit verbreitetes Missverständnis", begründet das der Modekonzern. Denn: Für die Produktion von Papiertüten seien besonders lange und reißfeste Fasern, für die Verarbeitung "eine Vielzahl von Chemikalien notwendig". Und: Oft sei die Lebensdauer einer Papiertüte noch geringer als die einer Plastiktragetasche. Alternativ bietet H&M mittlerweile für 99 Cent "Conscious Bags" aus 100 Prozent Bio-Baumwolle an.

Aral-Tankstelle, Amsterdamer Straße

Eine Zeitschrift und ein Eistee - dafür braucht man keine Tüte. Ich frage trotzdem. Plastik gibt es für zehn Cent, Papiertüten gar nicht.

Denn's Biomarkt, Venloer Straße

An der Kasse in Denn's Biomarkt liegen zwar nur Papiertragetaschen ab 20 Cent und Schultertaschen aus 100 Prozent Bio-Baumwolle aus - die kosten immerhin knapp drei Euro. Für Äpfel, Birnen und Paprika hingegen gibt es an der Obst- und Gemüsetheke neben Papier- kostenlos sehr dünne Plastiktüten. Wie passt das zum Bio-Image? Für die sogenannten "Hemdchen" habe man schlicht noch keine passende ökologische Alternative gefunden, heißt es dazu von Denn's. Bis das der Fall sei, könnten die Kunden selbst entscheiden, ob sie Plastiktüten nutzen. Bei vielen Verbrauchern seien die Hemdchen nach wie vor sehr beliebt. Diese Beutel künftig weiter anzubieten oder nicht - das werde derzeit "intensiv überlegt".

Kaufland, Thebäerstraße

Genau wie etwa Aldi Süd und Rewe bietet die Lebensmittelkette Kaufland Tüten und Tragetaschen nur gegen Gebühr an - acht Cent kostet ein kleiner Kunststoffbeutel an der Kasse, die Alternative aus Papier gibt es für 19 Cent. Für immerhin 49 Cent können sich Kunden in der Tiefkühlabteilung gleich eine Thermo-Tasche aus Kunststoff mitnehmen.

Schwanen-Apotheke, Breite Straße

Einen Extra-Beutel nur für ein Nasenspray? Unnötig. "Wenn die Leute wirklich eine Tüte brauchen, dann bieten wir ihnen eine an", sagt Viktoria Saltykova. Und was für Tragentaschen bekommen die Kunden dann? Saltykova zieht eine kleine Papiertüte und einen Stoffbeutel aus einer Schublade - beide sind umsonst. "Plastik haben wir eigentlich gar nicht", sagt die pharmazeutisch-technische Assistentin. "Nur bei Auslaufgefahr bieten wir ausnahmsweise auch Plastiktüten an", ergänzt Chefin Stefanie Hanisch.

Obst- und Gemüsestand auf der Breite Straße

Lisa Küster (62) fragt gar nicht erst. An ihrem Obst- und Gemüsestand packt sie mir Äpfel und Bananen direkt in eine feine Plastiktüte ein.

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Am Obststand landen Äpfel unter Umständen ungefragt in dünnen "Hemdchen".

Seit fast 27 Jahren baut sie hier auf der Breite Straße ihre Ware auf. "Viele bringen mittlerweile ihre eigenen Beutel mit", sagt die Kölnerin. Wenn nicht, gibt's eben eine Tüte. "Wie sollen die Kunden sonst einen Kilo Spargel transportieren?", fragt Küster. Und: Die Plastiktüten für Obst und Gemüse fielen schließlich unter keine Richtlinie. Privat, betont sie, kaufe sie aber immer mit Stofftasche ein.Bunt

Modernes Antiquariat, Breite Straße

Ich bin gespannt, als ich die beiden Postkarten auf den Tresen lege. Bekomme ich dafür eine Tüte? Bekomme ich. "Papiertüte?", will der Verkäufer wissen. "Ja". Ich erkundige mich zusätzlich nach einer Alternative aus Plastik. Die gibt es hier für 20 Cent. Allerdings ist diese Tragetasche sehr groß. Viel zu groß jedenfalls für zwei Postkarten. Der Verkäufer sieht's ähnlich: "Das wäre übertrieben", sagt er.

Das rät das Umweltbundesamt

Es gibt auch Tüten aus Biokunststoff. Was heißt das?

Die Vorsilbe "bio" hat zwei Bedeutungen: Die Tüte ist aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wie Mais oder Kartoffeln. Oder es heißt, dass der Kunststoff biologisch abgebaut werden kann.

Ganz wichtig, so Gerhard Kotschik, Verpackungsexperte des Umweltbundesamts: Nicht jeder Kunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen ist biologisch abbaubar. Genauso sind nicht alle biologisch abbaubaren Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt.

Wie erkennt man Biokunststoffe?

Der Verbraucher muss sich auf die Angaben auf der Plastiktüte verlassen. Steht auf der Tüte "biologisch abbaubar", so bezieht sich dies nur auf die Abbaubarkeit und nicht auf die Herkunft der Rohstoffe. Steht dort "Biokunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen", so heißt dies nicht, dass die Tüte biologisch abbaubar ist. Es ist auch keine Garantie dafür, dass die Tüte aus 100 Prozent nachwachsenden Rohstoffen besteht. Teilweise werden sie mit erdölbasierten Kunststoffen kombiniert.

Schonen Biokunststoffe die Umwelt?

Biobasierte Kunststoffe bringen neue Probleme mit sich, sagt Kotschik. Der Anbau der Plastikrohstoffe wie Mais, Kartoffeln oder Zuckerrohr wirke sich, so der Experte weiter, negativ auf die Umwelt aus.

Denn auch hierfür werde Erdöl benötigt, zum Beispiel für die Herstellung von Diesel und Düngemitteln. Zudem führe die Überdüngung dazu, dass Nährstoffe in Flüsse und Seen gelangen. Dies beschleunige das Wachstum von Algen, was die Gewässer belastet und Fische sterben lässt.

In der Regel werden beim Anbau Pestizide eingesetzt. Aus den geernteten Pflanzen muss Plastik erzeugt werden, was wiederum zu Belastungen führt. "Unterm Strich muss man deshalb derzeit sagen: Biobasierte Kunststoffe sind noch längst nicht umweltfreundlicher als herkömmliche Kunststoffe", sagt Kotschik.

Und wie sieht das bei den biologisch abbaubaren Kunststoffen aus?

Schaut man auf die Ökobilanz, bringt die biologische Abbaubarkeit bei Kunststoffen keine Vorteile und ein Abbau auf dem eigenen Komposthaufen ist nicht sichergestellt. Und da sie sich beim Abbau wie bei der Verbrennung in CO2 und Wasser auflösen und keine wertvollen Bodenbestandteile bilden, schneidet das Verbrennen in der Müllverbrennung sogar besser ab.

Wie steht es um Papier?

Auch Einwegtüten aus Papier schneiden in Ökobilanzen nicht besser ab als konventionelle Plastiktüten.

Was empfiehlt also das Umweltbundesamt?

Je häufiger eine Tragetasche - unabhängig davon, ob Mehrweg oder Einweg - verwendet wird, desto kleiner wird der ökologischer Rucksack. Unter den Einwegtragetaschen sind Varianten aus recycelten Kunststoffen ratsam: Zum Beispiel die Tragetaschen mit dem Blauen Engel. Diese bestehen zu mindestens 80 Prozent aus recycelten Kunststoffen. Entsorgt werden diese am besten in der Gelben Tonne oder dem Gelben Sack. (ihe)

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