Feminismus-ZeitschriftVor 40 Jahren erschien die erste Ausgabe der „Emma“

Lesezeit 8 Minuten
EMMA

Das Cover der aktuellen Jubiläums-Ausgabe der «Emma», Ausgabe  Januar/Februar 2017.

Ja, es hat sich was verändert in den letzten 40 Jahren. Aber es hat sich nicht genug verändert. "Arbeiterinnen", so prangert es die Zeitschrift Emma in ihrer ersten Ausgabe an, "verdienen 72,3 Prozent des Bruttostundenverdienstes ihrer männlichen Kollegen." Heutzutage beträgt die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen, die sich nun Gender Pay Gap nennt, rund sieben Prozent. Bei gleicher Arbeit und gleicher Ausbildung - Lohngerechtigkeit sieht immer noch anders aus. Und Alice Schwarzer, seit der ersten Stunde Chefredakteurin und Verlegerin der Emma, darf sich bestätigt sehen in dem, was seit 40 Jahren die publizistische Leitlinie des Blattes ist: "Mitzukämpfen gegen die Erniedrigung und Benachteiligung von Frauen".

Premiere am 26. Januar 1977

Als "Zeitschrift für Frauen von Frauen" kommt Emma am 26. Januar 1977 auf den Markt. Der Titel, so erinnert sich Alice Schwarzer, "war irgendwann mal aufgetaucht und gefiel uns. Nicht nur wegen der Anspielung auf die Em(ma)anzipation, sondern auch, weil er das selbstironische Gegenteil von platt Erwartetem war: Wie würde sie wohl heißen, diese Zeitschrift der jetzt vollends größenwahnsinnigen Schwarzer? Nora? Die Rächerin? Die Amazone? Nein. Emma. Ganz einfach Emma."

Diese Emma schlägt ein: Die Erstauflage von 200 000 Exemplaren ist im Handumdrehen verkauft, 100 000 Hefte müssen nachgedruckt werden.

Die erste Emma - Kostenpunkt drei Mark - kommt, wenn man es nett sagen will, sehr spröde daher: Sie verzichtet komplett auf den Glamour der üblichen Frauenzeitschriften, versprüht den Charme einer handgestrickten Schülerzeitung (SchülerInnenzeitung?) und hat es auf 64 Seiten gleichwohl ganz schön in sich.

Es geht unter anderem um die Benachteiligung der Frauen bei einer Scheidung, um die Milde für Frauenmörder vor Gericht und um die Rolle der Vietnamesinnen beim Befreiungskampf. Alice Schwarzer spricht mit Schauspielerin Romy Schneider und stellt Gemeinsamkeiten fest: "Wir sind die beiden meistbeschimpften Frauen Deutschlands." Im modischen Bereich gibt"s in der ersten Ausgabe Warnungen vor dem, was hochhackige Schuhe alles anrichten können, nämlich Krallenzehen, Hühneraugen, Durchblutungsstörungen und Krampfadern.

Angst vor Verlust der Zeugungskraft

Der erste Selbst-ist-die-Frau-Tipp handelt von der Abflussverstopfung. Und unter der Überschrift "Des Mannes Wunderhorn" wird die Sterilisation des Mannes als eine Möglichkeit zur Schwangerschaftsverhütung propagiert. Frau fragt sich, warum Männer solche Angst haben vor dem Verlust der Zeugungskraft, und findet die Antwort: Männer fürchten um ihre Macht - "die Macht, Frauen zu schwängern, sie einer ungewollten Mutterschaft auszuliefern".

"Die existierende Presse", schreibt Alice Schwarzer zur Begrüßung ihrer Erstleserinnen, "ist eine Männerpresse." In Emma, versichert sie, "wird kein Mann schreiben. Denn Männer stecken nun mal nicht in Frauenhaut ... In Frauenfragen sind Frauen die Kompetentesten." Die Männerpresse nimmt sich gleichwohl flächendeckend des weiblichen Neuankömmlings auf dem Zeitschriftenmarkt an. "Emma ist kein Strahleweib mit sexy Wackelpo", findet der in solchen Sachen fachkundige Kölner Express heraus, "Emma ist sehr sachlich, sehr nüchtern, ihr Charme ehrlich." Die Welt ist weniger angetan: "Es fragt sich, wie viele Frauen sich so primitiv einfangen lassen. Frau Schwarzer scheint nicht nur eine Verächterin der Männer, sondern auch eine der Frauen zu sein." Und die FAZ orakelt über die Frauenbewegung: "Auf Dauer wird hier für die moderne Gesellschaft mehr Sprengstoff liegen als in den Traumtänzereien verworrener Systemveränderer."

Nicht unerwähnt bleiben soll Emma-Leserin Gerda Scholz aus Limburg. Sie schreibt an die Redaktion: "Für Emma könnte ich euch die Füße küssen. Sofort nachdem ich einige Artikel gelesen hatte, wagte ich, bei einem Streit mit meinem Mann meine Schnauze mal aufzureißen."

Sprachrohr von Alice Schwarzer

Emma hätte natürlich auch Alice heißen können, denn seit Anbeginn ist die Zeitschrift auch (und zumeist vor allem) das Sprachrohr ihrer Herausgeberin. Das wird schon optisch ziemlich deutlich: Im ersten Heft ist Alice Schwarzer gleich sieben Mal im Bild; 40 Jahre später, in der Jubiläums-Ausgabe, taucht die Chefin, die sagt, dass es bei Emma keine Chefin gibt, die über die Köpfe der anderen hinweg entscheidet, mindestens 14 Mal bildmäßig auf.

Schwarzer ist 34 Jahre alt, als sie sich auf das Wagnis Emma einlässt. Ihre Stimme hat gleichwohl schon längst Gewicht in der Frauenbewegung, sie selbst bezeichnet sich als Radikal-Feministin und klärte in einem Zeit-Interview auf: "Dieses bei uns so in Verruf gekommene Wort radikal, das heißt ja an die Wurzel gehen. Radikal-Feminismus heißt, die Sache gründlich zu Ende denken. Gründlich zu Ende denken bedeutet, eine Radikal-Feministin muss jede Zuweisung, jede Rollenzuweisung im Namen der Natur zurückweisen." In Deutschland ist die Journalistin und Publizistin spätestens zwei Jahre vor dem Emma-Start das Gesicht der Frauenbewegung. Ihr Buch "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" schafft es 1975 in die Bestseller-Listen, im selben Jahr tut ein Fernseh-Streitgespräch mit der Autorin Esther Vilar ein Übriges, um Alice Schwarzer bundesweit bekannt zu machen. Ihre Medien-Präsenz hält bis heute an, öffentliche Auftritte "sind für Alice Highnoon", heißt es auf ihrer Internetseite.

Wo es um die Sache der Frauen geht, mischt sich Schwarzer ein, wortgewaltig, streitlustig, angriffsfreudig, Kritiker gebrauchen gern auch schon mal die Vokabeln moralisierend, herablassend, selbstgerecht. Widerspruch, so kann man aus manchen TV-Diskussionen lernen, kommt bei Alice Schwarzer nicht besonders gut an. Der Versuch, die Chefredaktion der Emma im Jahr 2008 in andere Hände zu geben, in die Hände der WDR-Moderatorin Lisa Ortgies (Frau TV), scheitert nach nur zwei Monaten. Wenig elegant und wenig kollegial lässt danach die Kölner Emma-Redaktion verlauten: "Zu unserem Bedauern eignet sich die Kollegin nicht für die umfassende Verantwortung einer Chef-redakteurin." Schwarzer nimmt das Ganze wieder selbst in die Hand.

Viele wichtige Themen angestoßen

Wie auch immer man(n) zu ihrem auch in der Frauenbewegung nicht unumstrittenen Frauen/Männer-Bild stehen mag: Alice Schwarzer hat in ihrer Emma mit größter Unerschrockenheit Themen angestoßen, Kampagnen initiiert, die erhebliche gesellschaftliche Bedeutung hatten und haben. Schon in der zweiten Ausgabe erscheint der erste Protest-Artikel gegen Klitoris-Verstümmelung: "Die Klitoris-Beschneidung ist der wohl extremste und brutalste Ausdruck einer Männergesellschaft, die Frauen das Recht auf ihren Körper und ihre Sexualität abspricht." Emma startet Aktionen der unterschiedlichsten Art: gegen Pornografie und für den (freiwilligen) Einsatz von Frauen bei der Bundeswehr, gegen den Magerwahn und für die Elternzeit von Vätern, gegen die Darstellung der Frau als bloßes Sexualobjekt und für den Frauenfußball. Die Zeitschrift hat vieles frühzeitig ins öffentliche Bewusstsein gebracht, nicht zuletzt dies: Schon 1979 wird in der Zeitschrift über fundamentalistischen Islamismus und Kopftuch geschrieben.

Emma ist, wie Alice Schwarzer sagt, so etwas wie "ein nationales Frauenbüro". Bei aller Themenschwere und bei aller Ernsthaftigkeit: Emma kann auch witzig sein, und das nicht nur in den kult-würdigen Cartoons von Franziska Becker.

Der Pascha des Monats

Seit Anbeginn wird satirisch ein "Pascha des Monats" gekürt; die Liste derer, die auf frauenfeindlichen Wegen ertappt wurden, reicht vom Dalai Lama bis zum Papst, von Martin Luther bis zu Helmut Schmidt, von Georg Baselitz bis zu David Bowie. Als der "Stern", mit dem Emma einige heftige Fehden austrägt, seine Titelseite "Frauen sprechen über ihre Brüste" mit besonders vielen nackten Brüsten dekoriert, kontert die Frauenzeitschrift unter dem Motto "Männer sprechen über ihr Glied" mit 20 mehr oder minder ansehnlichen Penis-Exemplaren. Und gegen die grassierenden Blondinenwitze setzt Emma eine Zeit lang den Männerwitz des Monats: "Was ist der Unterschied zwischen einer Kneipe und einer Klitoris? - Die Kneipe finden die Männer auf Anhieb."

Wenig zu lachen freilich gibt"s heute beim Blick auf die Auflage. Die 300 000 gedruckten Exemplare des ersten Heftes erscheinen wie ein schöner Traum aus längst vergangenen Tagen. Emma befindet sich in permanentem Sinkflug, die Mediadaten von 2017 verzeichnen gerade einmal 29 754 verkaufte Hefte. Das ist nicht sonderlich viel für eine Zeitschrift, die sich vor allem über die Verkaufserlöse aus Abonnements und Einzelverkauf finanzieren muss. Die Anzeigenbelegung hält sich in einem sehr überschaubaren Rahmen, auch wenn die Emma-Werbung ein Elite-Umfeld verspricht: "Emma hat die jüngsten Leserinnen aller vergleichbaren (Frauen)-Magazine, die Bildungsavantgarde und die Top-Entscheiderinnen. Das Durchschnittsalter ist 42 Jahre; 46 Prozent sind unter 40 Jahren; 61 Prozent haben einen Hochschulabschluss."

Ans Aufhören denkt Alice Schwarzer auch nach 330 Ausgaben und 29 068 gefüllten Emma-Seiten nicht. Zum Jubiläum ist sie kämpferisch wie eh und je gestimmt: "Spätestens nach dem Gegen-Putsch von Erdogan in der Türkei und der Trump-Wahl in Amerika", sagt sie ihrem Lese-Publikum, "dürfte nun wieder klar sein: Feministischer Widerstand ist (über)lebenswichtig. Nicht nur für die Länder, in denen Frauen gänzlich rechtlos sind bis zur Unsichtbarkeit, sondern auch in unseren relativ privilegierten Breiten. Denn der Fortschritt ist keineswegs gesichert."

"Was freut Sie, was ärgert Sie an Emma?" fragt die Redaktion im Jubiläumsheft 2017. Angela Merkel antwortet in der ihr eigenen Art. Sie freut sich, "dass Emma sich weiterhin hartnäckig für die Belange von Frauen einsetzt und sich auch durch Gegenwind nicht vom Kurs abbringen lässt". Und ärgert sich, dass "Emma manchmal auch da streitbar und unversöhnlich ist, wo Konsensbereitschaft und Lösungsangebote ihren Zielen förderlicher wären". Entertainer Harald Schmidt kommt mit erheblich weniger Wörtern aus. Ihn freut an Emma: "Alice Schwarzer". Ihn ärgert an Emma: "Alice Schwarzer".

Rundschau abonnieren