Instant-Messaging-DienstSnapchat wächst und wächst - Warum eigentlich?

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Snapchat

Wer Snapchat nutzt, bleibt besser bei der Original-App des Unternehmens. Sicherheitsforscher haben herausgefunden, dass einige Drittanbieter-Apps Zugangsdaten ungesichert auf fremde Server übertragen.

Der Aufstieg der sozialen Netzwerke war für viele Menschen ein kleiner Kulturschock. Nun ist es an der Facebook-Generation, angesichts neuer Online-Trends ratlos den Kopf zu schütteln. So erfreut sich der 2011 in Kalifornien gegründete Instant-Messaging-Dienst Snapchat wachsender Beliebtheit, insbesondere bei Teenagern. Gut die Hälfte der rund 100 Millionen Nutzer sind zwischen 13 und 17 Jahren alt. Tauscht man sich bei Facebook multimedial und bei anderen Messengern wie "What's App" über Textbotschaften aus, werden bei Snapchat fast ausschließlich Schnappschüsse und kurze Videos versendet. Und während die meisten anderen Dienste die Beiträge ihrer Nutzer auf Servern horten, werden die versendeten Nachrichten bei Snapchat automatisch gelöscht - nur wenige Sekunden, nachdem der Empfänger sie angeschaut hat.

700 Millionen Botschaften täglich

Nach Angaben des Unternehmens werden jeden Tag etwa 700 Millionen solcher Botschaften verschickt. Ein nicht geringer Teil davon dürfte aus Selbstporträts, neudeutsch "Selfies" genannt, bestehen, die zur gängigen Währung im täglichen Kampf um Aufmerksamkeit geworden sind. Vollkommen nonverbal ist die Kommunikation aber auch bei Snapchat nicht. Fotos und Kurzvideos können mit einfachen Verzierungen und Kommentaren versehen werden. Ähnlich der Foto-Community Instagram lassen sich zudem diverse Farbfilter über die Aufnahmen legen. Erst kürzlich wurde die Funktion "Geschichten" hinzugefügt. Mehrere Bilder können dabei zu einer kleinen Diashow zusammengefasst werden. Sie bleibt für die Adressaten 24 Stunden abrufbar. Snapchat existiert ausschließlich als App für Android, iPhone und iPad. Die Webseite www.Snapchat.org verweist lediglich auf die Downloads in Apples App Store und Googles Play Store. Die Bedienung ist denkbar einfach: Man tippt auf den Auslöser, danach auf den Pfeil unten rechts und kann dann einen oder mehrere Kontakte als Empfänger hinzufügen. Das Design entspricht der Zielgruppe und wirkt, als sei es von einer siebten Klasse im Kunstunterricht gestaltet worden. Offizielles Snapchat-Symbol ist ein putziges Gespenst, das wohl auf das Verschwinden der Bildbotschaften anspielen soll. Die vermeintliche Vergänglichkeit könnte einer der wichtigsten Gründe für die Popularität sein. Im Grunde kommt kein anderer Messenger der Flüchtigkeit von realen Begegnungen so nah wie Snapchat.

Schon mehrere Sicherheitslücken

Doch verschwinden die Beiträge tatsächlich wie von Geisterhand auf Nimmerwiedersehen? Die offiziellen Nutzungsbedingungen geben hierüber kaum Aufschluss. "Was letztendlich mit den Daten, die ein User über den Dienst Snapchat absetzt passiert, wie diese gespeichert oder ausgewertet werden, bleibt auch nach Lektüre der Snapchat-Datenschutzerklärung völlig im Dunklen", fasst die Anwaltskanzlei Weiß & Partner ihre Analyse der AGB zusammen. Der Nutzer könne "nur hoffen, dass ihn seine versendeten Nachrichten in der Zukunft nicht wieder einholen oder schlimmstenfalls auf irgendwelchen Hackerseiten der Öffentlichkeit präsentiert werden."

Genau das geschieht mit erschreckender Regelmäßigkeit. Ende 2013 veröffentlichten Hacker die Daten von rund 4,6 Millionen Nutzern auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite. Das Sicherheitsleck wurde schnell gestopft. Doch schon im Oktober des folgenden Jahres geriet abermals eine Sammlung von rund 200 000 Bildern in den Umlauf, die über Snapchat verschickt worden waren. Diesmal war eine Anwendung von Drittanbietern verantwortlich, deren Nutzung von den Snapchat-Verantwortlichen untersagt wurde. Die Betroffenen dürfte das kaum trösten, besonders dann, wenn es sich bei den unfreiwilligen Veröffentlichungen um erotische Aufnahmen handelt.

Fotos werden nicht immer gelöscht

Denn viele Jugendliche nutzen Snapchat für das so genannte Sexting. In der Annahme, dass die Fotos schnell gelöscht werden, tauschen sie anzügliche Fotos aus, die sie wohl niemals auf Facebook posten würden - zumal nackte Tatsachen dort verpönt sind und zum Ausschluss des Nutzers führen können. Per Snapshat verschickte Aufnahmen sind aber keineswegs geschützt, sondern können beispielsweise ganz einfach per Screenshot gespeichert werden. Hier bewahrheitet sich ein weiteres Mal die Erkenntnis, dass etwas, das einmal ins Internet gelangt ist, nie wieder gelöscht werden kann.

Die meisten Jugendlichen kümmert das offenbar wenig. Wie bei anderen Messengern wie "What's App" wiegt die Tatsache schwerer, dass man aus der Kommunikation mit Gleichaltrigen ausgeschlossen bleibt, wenn man sich verweigert. Auch dass die Nutzung der App kostenlos ist, trägt sicher nicht unwesentlich zur Beliebtheit bei. Nach Angaben des Unternehmens wächst Snapchat insbesondere in Deutschland rasant.

Das wirft die Frage auf, womit die Firma eigentlich Geld verdient. 2013 lehnte der heute 25-jährige Snapchat-Chef Evan Spiegel eine Offerte von drei Milliarden Dollar durch Facebook ab. Analysten gehen davon aus, dass der als arrogant geltende Gründer vor einer Veräußerung die Nutzerzahlen steigern wollte, um einen besseren Preis zu erzielen. Das war wohl auch die richtige Strategie. Anfang 2015 wurde der Wert von Snapchat in einer Finanzierungsrunde mit 16 bis 19 Milliarden US-Dollar angegeben. Wie viele Internet-Startups ist auch Snapchat also in erster Linie eine Wette auf die Zukunft. Investoren wie Yahoo, Benchmark oder Lightspeed Venture Partners pumpten bereits dreistellige Millionenbeträge in das Unternehmen.

Wohin sich Snapchat entwickeln wird, ist allerdings weitgehend unklar. Seit neuestem verbreiten Medienunternehmen wie National Geographic, Daily Mail oder Vice ihre Inhalte über die App. Auch hier ist die Aufmachung zielgruppengerecht: reißerische Schlagzeilen, viele Bilder, wenig Text. Inzwischen kann man, zunächst exklusiv in den USA, anderen Nutzern Geld schicken. Das ist so simpel wie ein Foto zu teilen: Man gibt einen Betrag ein, versieht ihn mit einem Dollarzeichen und tippt auf den grünen Button - schon landet das Geld auf dem Konto des Empfängers. Es fällt schwer, sich die unsichere Selfieschleuder als seriöses Nachrichtenportal oder Finanzdienstleister vorzustellen. Aber vielleicht hängt auch das am Ende nur davon ab, welcher Nutzergeneration man angehört.

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