Pippi LangstrumpfAnarchie unterm Limonadenbaum

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Immer in Bewegung, auch nach 60 Jahren: Pippi Langstrumpf sieht in den Illustrationen der aktuellen Ausgabe der Film-Pippi deutlich ähnlicher. (Illustration: Oetinger-Verlag/Katrin Engelking)

Immer in Bewegung, auch nach 60 Jahren: Pippi Langstrumpf sieht in den Illustrationen der aktuellen Ausgabe der Film-Pippi deutlich ähnlicher. (Illustration: Oetinger-Verlag/Katrin Engelking)

Es war ein echter Sprengsatz, den der Hamburger Verleger Friedrich Oetinger in den Buchläden der Nachkriegszeit platzierte. Dort warteten bis dato nämlich vornehmlich Geschichtchen um brave Mädchen mit blonden Zöpfen („Nesthäkchen“) auf ebenso brave Kinder. Und dann so was: Eine Rotzgöre im Lumpenlook mit ritzeroten Zöpfen, die in einer maroden Villa haust und sämtliche Autoritäten ignoriert! Pippi ist eine Autonome und Anarchistin, lange bevor die Jahreszahl 1968 eine Bedeutung bekam; auch als Erfinderin des Punk - 40 Jahre vor den Sex Pistols - wird sie gerne bezeichnet. Pippi ist eine Vorreiterin, von der man viel lernen kann. Was genau ? Drei ganz persönliche Erinnerungen:

Der Limonadenbaum

Eine Kindheit auf dem Lande bietet vor allem eins: Viel Gegend, viele Bäume. Klar, zum Klettern. Aber dass es auch hohle Exemplar gibt, in denen man ganz verschwinden kann, das lernten wir von Pippi Langstrumpf. Den Limonadenbaum, in dem Donnerstags auch noch Schokolade wächst, haben wir leider nie gefunden - der einzige hohle Baum in der Gegend war innen voller Wanzen und roch modrig.

Also bauten wir an unseren Kletterbaum einen Flaschenzug mit Korb, in dem wir Sprudelflaschen mit Ahoi-Brause nach oben zogen. Dort oben waren wir Pippi, Thomas und Annika und wenn es regnete, spielten wir in der Küche „Nicht den Boden berühren“. Pippi haben wir viele tolle Spielideen zu verdanken. Nur den Polizistenweitwurf haben wir uns nicht getraut. (cwo)

Kraft durch Köpfchen

Auf den ersten Blick kommt das vielleicht etwas komisch 'rüber, dass Pippi verkehrt herum schläft, also mit den Füßen auf dem Kopfkissen und dem Kopf am Fußende. Aber die Argumente kamen uns Kindern absolut überzeugend vor: Wenn sich nämlich ein Räuber nachts ins Schlafzimmer schleicht (was in unserer Fantasie ziemlich oft geschehen würde) und uns eins auf den Kopf gibt, um uns auszuschalten, trifft er in Wirklichkeit nur die Füße, wir werden sofort wach und können ihm unsererseits ganz überraschend von hinten eins auf den Kopf geben.

Kraft durch Köpfchen, das ist sozusagen die Urbotschaft der Emanzipation - und der Kreativität, denn einfach mal „verkehrt herum“ zu denken, hat schon manche gute Idee hervorgebracht. (eck)

Rote Genossin

Nur etwa ein Prozent aller Deutschen werden mit naturrotem Haar geboren. Kein Wunder, dass ich mit meinem roten Schopf unter den knapp 2500 Einwohnern meines beschaulichen Heimatdörfchens lange Zeit ein Unikat war. In diesem beschaulichen Heimatdörfchen im Rheinland hörte ich als „Fussisch“ gerne den Spott-Reim „Rote Haare, Sommersprossen sind des Teufels Volksgenossen“.

Wenn man keinen Teufelsgenossen im näheren Umfeld hat, muss man sich woanders einen suchen. Ich fand meine Genossin im Kinderfernsehen: Pippi Langstrumpf war clever, lustig, beliebt und rothaarig! Und sie gab mir die Sicherheit, dass es noch andere Menschen mit meiner Haarfarbe gibt. Und dass man mit ihr den Freibrief hat, alles zu tun und zu lassen, was man will. (cma)

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