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Bundeswehr-SkandalSerie von Missbrauchsfällen reißt nicht ab

Lesezeit 3 Minuten
BuWehr Übergriffe

Belästigungen von Frauen und Männern gibt es überall in der Gesellschaft – bei der Bundeswehr häufen sich die Vorfälle.

Berlin – Deutliche Worte findet Heeresinspekteur Jörg Vollmer in seinem jüngsten internen Befehl an die Truppe: „Verschweigen, Weghören, Wegschauen ist falsch verstandene Kameradschaft, Eingreifen und Verhindern eine Frage der Ehre.“

Auch Generalinspekteur Volker Wieker hat Anlass, eilig eine „Analyse zur inneren Lage der Bundeswehr“ vorzulegen.

Und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen richtete in ihrem Haus eine „Ansprechstelle Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr“ ein.

Nur die Spitze des Eisberges?

Die Medienberichte über Misshandlungen und Herabwürdigungen von Soldatinnen und Soldaten durch Kameradinnen und Kameraden in Pfullendorf, Bad Reichenhall und weiteren Standorten scheinen nur die Spitze eines Eisberges zu erfassen. Was läuft schief in deutschen Kasernen?

Die Zahlenbasis ist nicht eindeutig, wird möglicherweise auch in Teilen verschleiert. Jedenfalls beschweren sich Parlamentarier über unvollständige Angaben. Wieker führt „rund 40 Hinweise“ auf, die bei Zivilbeschäftigten in Richtung Mobbing gingen und bei Soldaten schwerpunktmäßig im Bereich „sexuelle Übergriffe“ lägen.

Ergänzend verlautete aus Bundeswehr-Kreisen, es habe 2015 bis 2017 insgesamt 3100 Meldungen über Vorfälle gegeben, die eine „Relevanz“ zur „Inneren Führung“ aufwiesen. Davon hätten „mehr als 200“ von sexueller Belästigung, Benachteiligung und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gehandelt.

Aber was heißt „mehr als 200“? Auch von mehr als 500 war mal die Rede. Der Kriminologe Prof. Christian Pfeiffer soll das alles nun systematisch auswerten.

Stringentere Führung und Erziehung vonnöten

Trends hat aber auch die Bundeswehrführung schon selbst ermittelt: „Im Fokus stehen überwiegend Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere, vorrangig im Altersband zwischen 20 bis 30 Jahren,“ heißt es unter „wesentliche Erkenntnisse“ in der Untersuchung des Generalinspekteurs. Und er folgert daraus: „Dieses lässt ein besonderes Erfordernis an stringenter Führung, Ausbildung und Erziehung für diesen Personenkreis erkennen.“

Das ließe sich auch auf das Argument beziehen, wonach einige Ausbilder über die Grenzen gingen, um Situationen zu simulieren, in die Spezialkräfte, vor allem Frauen, nach einer Gefangennahme durch islamistische Terroristen kommen könnten.

Doch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, hält diese Erklärung für „vorgeschoben“. Er vermutet bei spezialisierten Kräften eher das „Problem, dass manche dort das Gefühl haben, sich mit übertriebener Härte von anderen unterscheiden zu sollen“.

„Armee von Müttern und Vätern“

Die Bundeswehr wird nach der Beobachtung von Bartels insgesamt älter, also quasi „eine Armee der Mütter und Väter“. Es gebe mehr Zeitsoldaten, mehr Berufssoldaten, mehr ältere Quereinsteiger. Deshalb könne man davon ausgehen, dass die Probleme, die vor allem jüngere Soldaten beträfen, „in der Fläche abnehmen“.

Tatsächlich seien vor allem die mannschaftsstarken Kampfverbände mit vielen jungen Leuten betroffen. Und hier kommt der Umstieg von der Wehrpflicht- zur Berufsarmee ins Spiel.

Mit der Wehrpflicht ging die Aufsicht

„In Zeiten der Wehrpflicht gab es mehr Aufsicht“, sagte Bartels unserer Redaktion. Da waren Gefreite vom Dienst, der Unteroffizier vom Dienst, die militärische Bereitschaft – diese Präsenz habe es erleichtert, informell Dinge mitzukriegen, etwa entwürdigende Aufnahmerituale. „Es ist nun schlicht niemand mehr da, der hinguckt“, erläutert Bartels.

SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold teilt diesen Befund. „Zur Zeit der Wehrpflicht waren die Vorgesetzten Tag und Nacht mit in der Kaserne, nun sind die jungen Leute abends alleine.“ Es sei somit „ein Problem, dass die Aufsicht fehlt“.

Jahrelang seien die Warnungen vor Lücken im Personal ignoriert worden. „Erst jetzt hat die Ministerin festgestellt, dass man doch wieder mehr Personal braucht“, erläutert Arnold.

Die Grünen kritisieren fehlende verlässliche Grundlagen. So sei nicht klar, ob die gestiegene Zahl sexueller Übergriffe an einer realen Zunahme der Vorfälle liege oder Betroffene sich nun eher trauten, dagegen vorzugehen. „Die Hintergrunde müssen nun ehrlich, transparent und systematisch analysiert werden“, fordert Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger.

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