Interview mit Klaus Kinkel zum Jahr 2016„Die Welt ist aus den Fugen“

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KLaus Kinkel

Ein leidenschaftlicher Leser: Tausende Bände umfasst Klaus Kinkels Bibliothek in seinem Haus in Sankt Augustin.

Er war als politischer Quereinsteiger Bundesaußenminister, BND-Chef und FDP-Vorsitzender: Klaus Kinkel, der am Samstag 80 Jahre alt wird, über Krisen von gestern und heute, die Aussichten für die FDP und seine innige Beziehung zum Sport. Mit ihm sprachen Helge Matthiesen und Kai Pfundt.

Wenn Ex-Außenminister Klaus Kinkel, der selbst in einigen heiklen Missionen unterwegs war, auf die vielen heutigen Krisen blickt: Können wir zur Bewältigung aus der Vergangenheit lernen?

Ja und nein. Wir haben im Augenblick eine Welt, die aus den Fugen ist. Eine Welt in totaler Unordnung. Im Vergleich zu der Zeit, in der ich als Außenminister Verantwortung getragen habe, hat sich die Situation erheblich verändert. Ich bin heilfroh, in dieser Zeit keine politische Verantwortung tragen zu müssen.

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Wo sehen Sie die gefährlichsten Brandherde?

Wir haben einen russischen Präsidenten Putin, der den Westen in der Ukraine, auf der Krim, in Syrien vorführt. Wir haben ein schwächelndes Europa. Wir haben in Pakistan einen lodernden Brandherd, Riesenprobleme im Afrika, die gescheiterte Arabellion, 65 Millionen Flüchtlinge weltweit, mordende IS-Banden...

Und nun auch noch die Ungewissheit in den USA...

Es wäre wichtig gewesen, wenn dort jemand gewählt worden wäre, der als mächtigster Mann der Welt ordnend in dieser durcheinander geratenen Welt hätte wirken können. Der Tag und Nacht twitternde, hektisch und unkontrolliert auftretende und daherschwätzende Donald Trump wird leider eher zu weiterer Unruhe beitragen.

In Europa sind die Nationalisten auf dem Vormarsch: Eine vorübergehende Erscheinung oder Lebensgefahr für die EU?

Ich mache mir große Sorgen. Die nationalen Egoismen haben bedrohlich zugenommen. Nehmen Sie Polen: Das Land hat finanziell am meisten von der EU profitiert. Ausgerechnet dieses erzkatholische Land verhält sich in der Flüchtlingsfrage zutiefst unsolidarisch. Ähnlich ist die Lage in vielen der Staaten, die nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes nichts dringender wollten, als der Nato und der EU beizutreten.

Hat das Nationalismus-Revival das Potenzial, zum Aus für die EU zu führen?

Das glaube ich im Endeffekt nicht, und zwar wegen des Eigeninteresses der Staaten. Wer von den europäischen Staaten glaubt denn ernsthaft, in dieser globalisierten Welt alleine eine Rolle spielen zu können? Dazu ist keiner in der Lage, auch wir nicht. Keine Chance.

Auch Deutschland hat seine nationalistische Partei...

...die nach der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich zweistellig im Parlament vertreten sein wird. Im Umgang mit der AfD sind große Fehler gemacht worden. Mit denen muss man sich doch ernsthaft auseinandersetzen, und nicht nur Ablehnung zeigen und Sprüche klopfen.

Stimmt die innereuropäische Balance noch? Ist Deutschland zu dominant?

Diesen Vorwurf gab und gibt es immer wieder. Ja, wir sind das größte und wirtschaftsstärkste Land und damit fast zwangsläufig zu einer gewissen Führungsrolle gezwungen. Führung verlangt gerade in Europa Feingefühl, das Mitnehmen aller Länder, gerade auch der kleinen. Haben wir da in letzter Zeit alles richtig gemacht? Wohl nicht immer. Tatsache ist aber auch, dass die anderen durchaus auch vor allem die Führung durch das deutsch-französische Tandem wollen. Das ist aber etwas ins Ungleichgewicht geraten. Die Franzosen schauen vor allem wegen der wirtschaftlichen Stärke eifersüchtig auf unser Land. Die Mitgliedschaft Frankreichs im Weltsicherheitsrat und die Atommacht sind alleine keine entscheidenden Vorteilsmerkmale mehr. Frankreich und Deutschland müssen aber wissen, dass die Dinge in Europa nur dann gut laufen werden, wenn beiden Ländern rational und emotional klar ist, dass die deutsch-französische Achse von zentraler Bedeutung ist.

Wie wichtig ist es in der internationalen Politik, dass die Handelnden persönlich gut miteinander können?

Es ist zentral. Das Desaster in Syrien ist unter anderem eine Folge davon, dass US-Präsident Barack Obama und Kremlchef Wladimir Putin sich nicht riechen können - ihre Außenminister übrigens auch nicht. Ich habe in meiner Zeit alle Außenminister erlebt und erfahren, was es bedeutet, wenn die Chemie mit den Kollegen stimmt.

Wie sind die Krisen der Gegenwart zu bewältigen?

Das ist die Zehntausend-Dollar-Frage und ein weites Feld. Um ehrlich zu sein: Ich weiß es auch nicht, habe aber zu einigen Problemfeldern meine eigenen Vorstellungen. Schreckliches Schlachtfeld Syrien, Aleppo: Nach Ruanda mit 800 000 Toten und nach Srebrenica mit 800 Toten hat die Welt gesagt: Nie wieder darf die Völkergemeinschaft so versagen. Syrien heute: bisher 200 000 Tote, über 4,5 Millionen Flüchtlinge. Der Westen hat versagt und es Putin ermöglicht, in das Vakuum hineinzustoßen. 65 Millionen weltweit auf der Flucht. Vor allem die Flucht aus Armut, vorwiegend aus Afrika, wird anhalten. Dies ist keine morgen zu lösende Frage, sondern eine Aufgabe für Generationen. Die internationalen Organisationen wie Uno und OSZE scheinen machtlos zu sein. Solange die Russen so kompromisslos unterwegs sind und auch der amerikanische Wahlsieger Trump auf seinem "America first" beharrt, bin ich nicht sehr zuversichtlich.

Interview Teil 2: Merkel, die FDP und Sport

Müssen wir uns wieder stärker mit klassischer Sicherheitspolitik beschäftigen, einschließlich militärischer Aufrüstung?

Ja. Ich war immer der Meinung, dass Deutschland als großes und wirtschaftsstarkes Land bei Krisen nicht nur am Spielfeldrand stehen kann. Schon Präsident Obama hat immer wieder angemahnt, dass sich unser Land stärker noch international beteiligen und Verantwortung übernehmen sollte. Das heißt nicht in erster Linie, aber eben auch militärisch, was die Deutschen verständlicherweise nach zwei verlorenen Weltkriegen nicht gerne sehen. Klar ist, dass wir finanziell mehr als bisher für unsere Sicherheit ausgeben müssen. Da mindestens hat Trump recht.

Kanzlerin Angela Merkel hat vor Kurzem erklärt, dass sie ein weiteres Mal antreten wird. Die richtige Entscheidung?

Sie konnte wohl gar nicht anders. Neben ihr drängt sich in der CDU/CSU niemand als kanzlerabel auf. Frau Merkel, die ich aus gemeinsamer Ministerzeit kenne, bewundere ich: Das Pensum, das sie erledigt, ist absolut beeindruckend. Sie wird aber selbst wissen, was auf sie und die Partei zukommt. Nicht mehr unbestritten zu sein, schlaucht gerade dann besonders, wenn eine lange Amtszeit zwangsläufig ihre Opfer fordert.

Wer kommt nach Merkel?

Weiß ich wirklich nicht.

Und Ihre eigene Partei?

Schafft bei der NRW-Wahl hoffentlich die Rückkehr in den Landtag und bei der Bundestagswahl den Wiedereinzug ins Parlament. Wir haben eine gute Chance, auch weil viele Wähler den Linksruck nicht wollen und die Wirtschaft die Liberalen wieder im Parlament haben will. Im Übrigen: Christian Lindner macht seine Sache prima und wird schon bei der NRW-Landtagswahl Erfolg haben. Da bin ich sicher.

Und falls die FDP bei der Bundestagswahl scheitert?

Dann wird es ganz schwierig. Aber ich glaube es nicht. Vor allem die Basis hat der FDP die Treue gehalten, ich habe gerade bei meinen letzten Parteiterminen hier im Rhein-Sieg-Kreis eine neue Zuversicht gespürt.

Was haben für Sie Politik und Sport miteinander zu tun?

Na ja, Sport ist für die Menschen nun wahrlich keine Nebensache. Und wir wollen ja auch eine große Sportnation bleiben, und das nicht nur im Fußball. Auch für mich war Sport immer ein wichtiges Lebenselixier. Auch heute gehe ich noch jeden zweiten Tag joggen, spiele noch Tennis und gehe zum Skifahren.

Wie blickt der Amateursportler Kinkel auf die Entwicklungen im Profisport?

Es läuft manches in die falsche Richtung. Wir haben beim Fußball eine massive Schieflage bei dem, was Profis und Spielervermittler verdienen; vor allem natürlich auch auf diesem und auf anderen Gebieten das Spannungsfeld hin zu den Amateuren, die nun mal die wichtige Fußballbasis bleiben.

Wenn Sie nun von den Korruptionsvorwürfen in diesem Zusammenhang hören, was denken Sie?

Was da zum Teil gelaufen zu sein scheint, ist alles andere als schön. Die jetzt im DFB Verantwortlichen um Präsident Grindel bemühen sich ja mit aller Kraft, das aufzuarbeiten. Daneben laufen ja einige Ermittlungsverfahren. Vor allem bei den internationalen Verbänden muss man auch realistisch sein und sehen, dass in der großen weiten Welt des Fußballs mit seinen mehr als 200 Verbänden - übrigens mehr als die Zahl der Uno-Länder - ethische und Compliance-Vorstellungen herrschen, die nicht unbedingt den unseren entsprechen. Das heißt natürlich nicht, dass alles zu billigen ist.

Und Sie werden sich als Chef der DFB-Ethikkommission selbst mit dem Thema befassen.

Ich habe mich nach dieser Position wahrlich nicht gedrängt, sondern bin gebeten worden, den Versuch zu unternehmen, ein wenig zu helfen. Vielleicht gelingt das ja auch mit Hilfe mancher Vorerfahrungen, die ich habe. Die Mitglieder der Kommission wissen um die letztendlich begrenzten Möglichkeiten einer solchen Kommission. Aber das eine oder andere wird und muss uns gelingen.

Nämlich?

Die konstituierende Sitzung der Ethikkommission hat stattgefunden. Der DFB tut alles, um uns zu helfen. Zuerst werden wir im Januar unser Büro einrichten - völlig unabhängig vom DFB hier in Hennef mit Mitarbeitern, denen ich persönlich vertraue. Darauf habe ich bestanden.

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten stark für den Behindertensport. Warum?

Weil ich weiß, dass man geistig und auch körperlich Behinderten, die es nun mal schwerer im Leben haben, in ganz besonderer Weise durch Sport helfen kann. Sie können sich nicht vorstellen, mit welcher Begeisterung behinderte Menschen zum Beispiel Fußball spielen. Da können Sie Gewaltiges bewegen.

Sie werden am Samstag 80 Jahre alt. Wann werden wir Ihre Memoiren lesen können?

Ich schreibe keine Memoiren, weil ich mich, obwohl ich bisher ein erlebnisreiches Leben führen durfte, nicht so wichtig nehme. Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe auch noch so viele andere Interessen, dass ich in der Abwägung dann letztlich auch zu faul bin.

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