Interview zur TürkeiDarum sollten wir Erdogan-Anhänger nicht verteufeln

Lesezeit 3 Minuten
Erdogan-Anhänger in Ankara

Erdogan-Anhänger feiern mit Flaggen und Plakaten mit dem Konterfei des Staatspräsidenten.

Das Referendum zur Einführung des Präsidialsystems und der umstrittene Sieg Präsident Recep Tayyip Erdogans spalten die Türkei. Dessen Anhänger zu kritisieren, sei jedoch der falsche Weg, sagt Haci-Halil Uslucan. Mit ihm sprach Joshua Bung.

Herr Uslucan, wie schätzen Sie den Sieg des Ja-Lagers ein?

Ich war überrascht. Es war von Anfang an nicht zu erwarten, dass das Nein-Lager gewinnen würde. Dass der Sieg der AKP so knapp war, kann als hoffnungsvolles Signal gewertet werden. Ein großer Teil der Türken will sich Erdogan nicht so einfach beugen.

Wie bewerten Sie die Manipulationsvorwürfe?

Es gab schon immer kleinere Abweichungen bei Wahlen in der Türkei. Bislang waren sie kaum von Bedeutung, weil die Ergebnisse eindeutig waren. Diesmal ist der Vorsprung hauchdünn und es ist von bis zu zweieinhalb Millionen nicht offiziellen Abstimmungsumschlägen die Rede. Das ist eine Differenz, die über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. Erdogan hat immer betont, dass ihm die Zustimmung des Volkes wichtig sei. Nun muss er sich an seine Versprechen halten und für Aufklärung sorgen.

Warum haben so viele Türken in Deutschland für das Präsidialsystem gestimmt?

Es war schon immer so, dass in Deutschland etwa 50 bis 70 Prozent der Türken Erdogan positiv gesehen haben. Viele von ihnen sind sehr konservativ. Sie stammen in der Regel aus ländlichen Gegenden in der Türkei oder sind Nachfahren von Arbeiterfamilien. Hinzu kommt, dass Migrationsdebatten in Deutschland oft auf Türken und muslimische Einwanderer fokussiert sind. Häufig stehen sie in der Kritik. Daher suchen sie woanders nach Fürsprechern. In Erdogan haben sie einen gefunden.

Inwiefern trägt Erdogans Politik zu seiner Beliebtheit bei?

Bei aller Kritik muss man festhalten, dass er zu Beginn seiner Regierungszeit demokratische Erfolge gefeiert hat. Dazu gehört zum Beispiel die Öffnung gegenüber den Kurden und Alawiten sowie die Eindämmung der Macht des türkischen Militärs. Nun hat er diese Macht durch die Einführung eines Präsidialsystems allerdings auf sich allein übertragen. Er ist dem Parlament keine Rechenschaft mehr schuldig. Er muss als Präsident nicht länger überparteilich sein. Das war er vorher auch nicht, doch jetzt hat er dies rechtlich legitimiert.

Wie geht man nun mit seinen Unterstützern um?

Es wäre falsch, Erdogan-Anhänger zu dämonisieren. Es gilt zu verstehen, weshalb sie für das Präsidialsystem gestimmt haben. Es war zum Beispiel nicht besonders ratsam, türkischen Ministern im Vorfeld des Referendums ihr Auftrittsrecht in Deutschland zu entziehen. Es ist schwer zu sagen, ob Erdogan dadurch neue Anhänger dazugewonnen hat, aber es sind auf jeden Fall nicht weniger geworden.

Zur Person

Haci-Halil Uslucan wurde 1965 in Kayseri geboren. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Uslucan war außerdem Mitglied der Deutschen Islamkonferenz . Er begleitete den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen sowie verschiedene Projekte zur Gewaltprävention in NRW. (buj)

Rundschau abonnieren