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NRW-StudieJeder zweite Polizist ist Opfer von Gewalt

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Polizeieinsatz Gewalt

Gewalt gegen Polizisten: Der Einsatzleiter stürzte in dieser Szene aus dem Jahr 2014 in Weimar zu Boden, nachdem er während einer Demonstration von Rechtsextremen attackiert worden war.

Bonn – Am Anfang war Schweigen und Schulterzucken, erzählt Stephan Hegger. Er ist Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen, die seit sieben Jahren das Phänomen Gewalt gegen Polizisten untersucht. Das Problem: Es gab kein Datenmaterial. "Früher hat das Landesinnenministerium immer gesagt, sie hätten keine Zahlen zu dem Thema."

Das ist heute anders. Wie aus der NRW-Studie des Innenministeriums von 2014 hervorgeht, an der mehr als 18 000 Polizisten teilnahmen, hatte mehr als jeder zweite Beamte mit Bürgerkontakt im Jahr 2011 einen tätlichen Angriff erlebt. Da schlugen Autofahrer zu, die bei Verkehrskontrollen angehalten wurden, oder ein Ehemann vergriff sich an einem Polizisten, nachdem seine Frau wegen häuslicher Gewalt die Beamten gerufen hatte.

Dieselbe Studie zeigt aber auch, dass von den tätlich Angegriffenen nur 57 Prozent einen Strafantrag stellten. Viele Betroffene glauben nämlich, dass eine Anzeige aussichtslos ist, oder sie befürchten dienstliche Nachteile. "Unsere Erfahrung ist, dass die Gerichte das niederschlagen, weil sie bei Polizisten meinen, die Gewalterfahrung gehöre zur Jobbeschreibung", erklärt Hegger. "Das ist ein Skandal."

Dass die Bundesregierung nun eine Strafverschärfung vorsieht, begrüßt die Gewerkschaft. Geplant ist ein neuer Strafrechtsparagraf 114, in dem es heißt: "Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

Für ausreichend hält die Polizeigewerkschaft die Gesetzesinitiative allerdings nicht. Denn dass auch die Beschäftigten in Jobcentern, in der Verwaltung und der Lehrerschaft verbalen und körperlichen Angriffen zunehmend ausgesetzt sind, beobachtet man dort mit Sorge. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) im Deutschen Beamtenbund (dbb) hatte im November eine Studie über Gewalt gegen Lehrer veröffentlicht. Demnach waren schon sechs Prozent der befragten Lehrkräfte körperlich misshandelt worden.

Enthemmung in der Gesellschaft

"Es ist nicht so, dass die Gewalt in der Gesellschaft generell zugenommen hat", sagt GdP-Sprecher Hegger. "Wir beobachten aber eine Enthemmung. Heute wird nachgetreten, wenn jemand schon am Boden liegt, auch auf den Kopf." Rettungskräfte hätten erlebt, dass sie zusammengeschlagen wurden, weil sie zu spät am Unfallort erschienen. In anderen Fällen seien Reifen von Feuerwehrwagen zerstochen worden, weil sie die Straße versperrten.

In NRW hat die Landesregierung inzwischen eine Bundesratsinitiative ergriffen, die höhere Strafen bei aggressiven Handlungen gegen öffentlich Bedienstete vorsieht. "Wir wollen, dass jedes Verhalten, das eine gemeinwohlgefährdende Haltung erkennen lässt, zu einer höheren Bestrafung des Täters führt", erklärte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft im Dezember im Bundesrat. Diese Verschärfung würde etwa auch Übergriffe in Jobcentern erfassen, wo man sich inzwischen mit Notknöpfen, Doppelbüros mit Schiebetüren und Hausverboten für gewalttätig gewordene Kunden behilft, um die Beschäftigten zu schützen.

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