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PraxisBlinde Masseure mit besonderem Tastsinn

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So wird aus Minus Plus: Wer nicht sehen kann, muss fühlen, trainiert seinen Tastsinn, und ist, wenn es weniger auf die Augen als vielmehr auf die Hände ankommt, sogar im Vorteil. Zum Beispiel als Masseur. Wie in der Praxis, die vor einigen Tagen in Siegburg eröffnet wurde. Dort „kneten“ nämlich ausnahmslos blinde Personen die Patienten.

Niederschmetternde Diagnose

Die Perspektive hätte besser nicht sein können. Maik Heidinger, heute 27, hatte eine Ausbildung als Maler und Lackierer absolviert und auch einen Job. Dann kam die niederschmetternde Diagnose: Netzhautablösung. Seit sechs Jahren ist er blind. „Aber sollte ich mich deshalb ins stille Kämmerlein zurück ziehen?“, fragt er eher rhetorisch. Stattdessen nahm er sein Schicksal selbst in die Hand und ließ sich an einer Schule für Sehbehinderte in Mainz zum Physiotherapeuten und Masseur ausbilden - zu dem, was Blinde am besten können.

Das sollte eigentlich auch Arbeitgebern einleuchten. Und doch war die Suche nach einem Arbeitsplatz mühselig und erst bei Ljubinka Stevic erfolgreich. Was nicht wundert: Die Chefin, die seit einigen Jahren eine Massagepraxis in Eitorf betreibt und jüngst eine Filiale in der Wilhelmstraße 60 eröffnete, ist selbst blind. Auch ihr machte eine Netzhautablösung einen Strich durch die Lebensplanung, und den Wunschtraum, Ärztin zu werden, zunichte. Auch sie ließ sich in Mainz zur Masseurin ausbilden. Ljubinka Stevic schickte ebenfalls ungezählte Bewerbungen los und wagte schließlich mit Unterstützung ihres Mannes Manfred den Sprung in die Selbstständigkeit. Für die Massagen sind zwar ausnahmslos Blinde zuständig, den Papierkram müssen jedoch andere erledigen. Wie auch in Siegburg, wo neben Maik Heidinger, Marco Langen (22) und Manuela Steinbrunner (33) arbeiten. Die junge Frau ist gleich doppelt behindert: nahezu blind und fast gehörlos. Eigentlich sollte sie nach ihrer Reha allenfalls in einer Behindertenwerkstatt unterkommen, erzählt Ljubinka Stevic, doch bei ihr hat sie einen regulären Job bekommen. Und der hat Zukunft. Die Praxis in Eitorf brummt jedenfalls und sei mit 70 Patienten pro Tag schon fast überlastet, sagt Manfred Stevic.

Für Andrje Schröder (46), der von Geburt an blind ist und als Masseur in Eitorf arbeitet, ist das kein Wunder. Während Arbeitgeber schon abwinken, wenn sie einen Blindenstock sehen, habe sich, meint er, wenigstens bei Patienten herumgesprochen, dass Blinde einen ausgezeichneten Tastsinn haben. „Ich kann ertasten, wenn ein Wirbel verschoben oder verrenkt ist“, versichert die Chefin. Die bietet mit ihrem Team das ganze Spektrum von der klassischen Massage bis zur Lymphdrainage an.

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