Betroffene erzählenWie Mütter unter ihrem Kaiserschnitt leiden

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Halle (Saale) – Die „Ereignisse“ beschäftigen Katja* (39) bis heute. Sie meint damit die Geburt von Jonas, der durch einen Kaiserschnitt zur Welt kam und mittlerweile zwei Jahre alt ist.

Darüber zu reden, was sie empfand und empfindet, ihre Erfahrungen mit anderen Müttern zu teilen, die Ähnliches erlebten, das, sagt sie, helfe ihr. Deshalb gehe sie seit zwei Jahren zur Kaiserschnitt-Gesprächsgruppe ins Iris-Regenbogenzentrum in Halle. Einmal im Monat tauschen sich dort Frauen zu diesem Thema aus.

Die meisten Schwangeren, die durch Kaiserschnitt zu Müttern werden, kommen mit den Folgen des Eingriffs gut zurecht – aber nicht alle. Und es werden mehr, vor allem weil die Zahl der Eingriffe steigt. „Bei acht Prozent der Geburten gab es zu DDR-Zeiten Kaiserschnitte“, sagt Gerlinde Gailer, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin im Regenbogenzentrum und an diesem Abend bei der Gesprächsgruppe dabei. „Heute liegt die Zahl in Deutschland bei 33 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation hält 15 Prozent Kaiserschnitte, die aus medizinischen Gründen erfolgen, für erforderlich.“

Anna, 32 Jahre:

Es sind vor allem die Notkaiserschnitte, die bei den Müttern zu Problemen führen können. Die Frauen haben keine Zeit, sich auf die veränderte Situation einzustellen, Gespräche sind bei Gefahr im Verzug kaum möglich. Das ist der große Unterschied zu Frauen mit geplanten Kaiserschnitten, die bei dem Eingriff auch keine Vollnarkose erhalten müssen und ihn so zumindest teilweise miterleben können. Bei Notkaiserschnitten ist fast immer eine Vollnarkose angezeigt.

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Eine schwangere Mutter schaut sich das Ultraschallbild ihres Kindes an.

Warum aber gibt es so viele Schnittentbindungen? Stimmt es, dass immer mehr Frauen den Wunsch danach äußern? Dass Krankenhäuser dafür mehr Geld erhalten und deshalb zum Skalpell gegriffen wird? Dass es bequemer für das medizinische Personal ist, wenn ein Kind unter der Woche und am Tag geboren wird?

Kaiserschnitt-Gesprächsgruppe Halle

Iris-Regenbogenzentrum, Schleiermacherstraße 39, Tel.: 0345/52 11 232, Termin: 28. September, 20 Uhr, immer letzter Mittwoch im Monat

Diese Spekulationen verweist Volker Thäle, Leitender Oberarzt an der Universitätsklinik und Poliklinik für Geburtshilfe Halle-Kröllwitz, ins Reich der Fabel. „Dass es heute immer mehr Kaiserschnitte gibt, hat etwas mit der Weiterentwicklung der medizinischen Wissenschaft zu tun und der Möglichkeit, therapeutisch einzugreifen.“ Viel mehr Frauen als früher nähmen die Reproduktionsmedizin in Anspruch, um schwanger zu werden. Damit steige auch die Zahl der Mehrlingsschwangerschaften, die eine Sectio – wie der Kaiserschnitt medizinisch heißt – erforderlich machen können. „Die Kaiserschnitte wegen der unwesentlich besseren Vergütung aus finanziellen Gründen vorzunehmen, verbietet das ärztliche Ethos“, macht Volker Thäle unmissverständlich deutlich und betont: „Wunschsectios mag es an Privatkliniken in Deutschland geben – bei uns nicht. Ein solches Ansinnen von Seiten der Frauen ist zudem sehr selten.“

Welche medizinischen Gründe sprechen für den Kaiserschnitt?

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Nichts kann Eltern auf die Geburt eines Kindes vorbereiten. Die Hebammen übrigens auch nicht.

Zu den medizinischen Gründen zählt der Oberarzt auch das steigende Durchschnittsalter der Mütter. Es zieht das Risiko von Begleiterkrankungen in der Schwangerschaft wie Diabetes oder Bluthochdruck nach sich, die dann wiederum zu einer zwingenden Indikation für den Kaiserschnitt werden können.

Nicht von der Hand zu weisen ist außerdem ein erhöhtes Sicherheitsdenken, das zu mehr Sectios führt. Ludwig Kiesel, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Münster, sagte in einem Interview: „Nicht nur die Frauen, auch die Ärzte denken immer häufiger nur noch in Sicherheiten.“ Immerhin ist die Zahl der Gerichtsprozesse auf keinem Gebiet der Medizin höher als in der Geburtshilfe. Wegen eines unterlassenen Kaiserschnitts wird häufig prozessiert. Weil er einen solchen Eingriff vorgenommen hat, wurde bisher noch kein Arzt in Deutschland verklagt.

Pia, 30 Jahre:

Oftmals fühlen sich die soeben zu Müttern gewordenen Frauen im Krankenhaus nach der Entbindung allein gelassen. Bei einem Notkaiserschnitt bleiben dem Arzt gerade einmal 20 Minuten von der Entscheidung bis zum Ende des Eingriffs, so die Empfehlung entsprechender medizinischer Richtlinien.

Keine Zeit, noch ausführlich zu besprechen, was auf die künftige Mutter bei der Operation zukommt. „Deshalb bemühen wir uns, mit einem gewissen Abstand im Nachhinein den Frauen noch einmal genau zu erklären, was passiert ist“, sagt Oberarzt Thäle, „idealerweise sollte das immer der Operateur sein.“

Eine Aussage, aus der deutlich wird, dass der Krankenhausbetrieb das nicht immer erlaubt - und damit zumindest zu einem Teil provoziert, dass es bei der Verarbeitung des Eingriffs zu Schwierigkeiten kommen kann. Und das nicht nur in den ersten Lebenswochen des Kindes, sondern lang anhaltend. Die Kaiserschnitte, die die Frauen erlebten, die an diesem Abend miteinander sprechen, liegen ausnahmslos Jahre zurück.

Nicht selten dauert es lange Zeit, sich überhaupt einzugestehen, dass man allein mit dem Erlebten nicht fertig wird. Das persönliche Umfeld, wird deutlich, reagiert nur allzu oft verständnislos, meint gar, die Frauen sollten doch froh sein, um die Geburtsschmerzen herumgekommen zu sein. Damit keine Missverständnisse entstehen: Alle Mütter, die sich hier treffen, sind unendlich froh, dass sie ihre Kinder gesund in die Arme und mit nach Hause nehmen konnten, dass es die Möglichkeit der medizinischen Hilfe gibt. Trotzdem bleibt das Erlebnis Kaiserschnitt für sie belastend.

Pia, 30 Jahre:

Volker Thäle kennt diese Ängste, die vermuteten Bindungsstörungen zwischen Mutter und Kind durch den Kaiserschnitt. „Wir geben heute wehenfördernde Mittel auch bei einem geplanten Kaiserschnitt“, sagt der Geburtshelfer, „als Signal für das Kind, dass jetzt etwas passiert.“ Auch er spricht davon, dass die Babys aus einer wehenlosen Gebärmutter sozusagen „herausgerissen“ werden.

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Baby schläft mit Schnuller im Mund.

Um Bindungsstörungen zu vermeiden, wird im Universitätsklinikum das sogenannte Bonding unterstützt, der Aufbau des Kontakts zwischen Mutter und Kind unmittelbar nach der Geburt. Und auch, wenn das durch die Vollnarkose beim Notkaiserschnitt nicht möglich ist, bedeutet das nicht, dass diese Bindung nicht zustande kommt. Es ist viel mehr wichtig, sich selbst nicht unter Druck zu setzen und Geduld zu haben.

Mitunter wird der sofortige Kontakt zwischen Mutter und Kind auch dadurch verhindert, dass die Kaiserschnittkinder häufiger unter Anpassungsstörungen und Atemproblemen leiden. „Es scheint, dass der Stress, den das Kind unter einer natürlichen Geburt erfährt, die regelrechte Atmung anregt“, erklärt Volker Thäle. Die Probleme entstehen jedoch meist nicht durch den Kaiserschnitt, sondern weil durch diesen Eingriff oft noch unreife oder schwache Kinder auf die Welt geholt werden müssen.

Der erfahrene Mediziner Thäle macht zudem auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. „Mitunter haben die Frauen eine vollkommen falsche Vorstellung von einem Kaiserschnitt“, so der 47-Jährige. „Das ist  bis heute ein großer bauch-chirurgischer Eingriff mit Risiken, bei dem Komplikationen möglich sind. Diese lassen sich reduzieren, aber sie sind nicht gleich Null.“

Sigrun, 35 Jahre:

Die Gesprächsgruppe ist deshalb für Sigrun, wie für alle Frauen, die sich entschließen, hierher zu kommen, ein Weg der Verarbeitung. Hier kann alles ausgesprochen werden, es geht darum, einfach nur miteinander zu reden, Erfahrungen zu teilen, unter Betroffenen zu sein. Dabei spielen alle möglichen Themen eine Rolle, nicht nur der Kaiserschnitt. Und natürlich dürfen – so wie an diesem Abend – auch Tränen fließen, wenn man die sonst meist verdrängten Gefühle hier dicht an sich heranlässt. Den meisten geht es danach besser, auch deshalb, weil sie sich verstanden fühlen von der Gruppe. Der wertungsfreie Raum, in dem das Gespräch stattfindet, sei besonders wichtig, betonen die Mütter. Manche von ihnen glaubte schon, nun sei es genug und sie komme nicht mehr. Und sitzt dann doch wieder jeden Monat in der Runde.

Konstanze, 36 Jahre:

*Die Namen der betroffenen Frauen wurden geändert.

Für Krisen rund um die Geburt empfiehlt sich der Verein Schatten und Licht.

Info: Auch in Köln gibt es eine Selbsthilfegruppe für Frauen nach Kaiserschnitt und traumatisch erlebter Geburt.

In Berlin kann die Beratungsstelle Familienzelt weiterhelfen.

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