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Kinder nach der Trennung„Wie das Wechselmodell unsere Familie wahnsinnig machte“

Lesezeit 5 Minuten
Wenn Eltern sich trennen, entbrennt danach häufig ein Streit ums Kind. Wo soll es ab sofort leben?

Wenn Eltern sich trennen, entbrennt danach häufig ein Streit ums Kind. Wo soll es ab sofort leben?

Charlottes Kinder waren drei und fünf Jahre alt, als sich die Eltern trennten. Weil sich Mutter und Vater nicht einigen konnten, ordnete das Gericht damals ein Wechselmodell an: die Kinder sollten jeweils eine Woche beim Vater und eine Woche bei der Mutter leben. Charlotte konnte das damals nicht verhindern, obwohl sie sich dagegen stellte. Nach einem neuen Urteil des BGH (Bundesgerichtshof) darf solch ein Wechselmodell in Zukunft immer auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden. In Charlottes Fall waren die Folgen schlimm. Hier erzählt sie ihre persönliche Geschichte.

„Bis zu unserer Trennung hatte ich noch nie etwas gehört von einem Wechselmodell. Meine Kinder waren noch klein, die Hintergründe der Trennung sehr unschön. Und eines Tages fanden wir uns vor dem Familiengericht wieder, um über die Zukunft der Kinder zu entscheiden.

Ich hatte die beiden mehrere Jahre zu Hause betreut und insgesamt fünf Jahre Elternzeit genommen. Ich war mir sehr sicher, dass dem Vater regelmäßige Besuchswochenenden eingeräumt werden würden. Dagegen sprach aus meiner Sicht auch nicht viel.

Die Kinder waren noch nie von mir getrennt gewesen

Die Realität holte mich ein, als der Richter ein Wechselmodell anordnete. Der Vater hatte das in den Raum geworfen, weil er bei dem Modell keinen Unterhalt würde zahlen müssen. Ich hatte es für eine absurde Idee von ihm gehalten. Weit gefehlt. Die Kinder sollten nun pendeln – eine Woche bei mir und eine Woche beim Vater leben. Ich brach in Tränen aus. Das konnte doch nicht sein. Der Vater und ich sprachen kein Wort miteinander und wir konnten uns zu keinem Thema einigen. Sonst wären wir sicher auch nicht vor dem Familiengericht gelandet.

Wie sollte das werden? Die Kinder waren bis zu diesem Zeitpunkt noch nie von mir getrennt gewesen. Sie waren drei und fünf Jahre alt. Der Große ein sehr anhängliches Kind. Der Vater brachte sich bis zur Trennung wenig bis gar nicht ein. Ich war gegen ein solches Modell, aber ich wurde ignoriert. Man drohte mir sogar, mir die Kinder ganz wegzunehmen, wenn ich nicht zustimme. Ich stimmte zwar nicht zu, aber es wurde gegen meinen Willen trotzdem beschlossen.

Elias versteckte sich unterm Bett

Der erste Abschied war hart. Morgens wachten die Kinder bei mir auf und nach der Kita würde der Vater sie abholen. Elias versteckte sich unter dem Bett und wollte nicht zum Kindergarten gehen. Lina verabschiedete sich von ihren Kuscheltieren – von jedem einzelnen. Es dauerte sehr lange. Mir brach es fast das Herz, aber ich sollte die Kinder ja motivieren. Als sie weg waren, weinte ich erstmal. Der Vater wünschte keinen Kontakt in seiner Woche. Keinen Anruf, kein Lebenszeichen – nichts.

Er arbeitete zu dieser Zeit noch Vollzeit. Nachmittags wurden Elias und Lina nun in Kita und Hort betreut. Ich saß in dieser Zeit aufgabenlos zu Haus, da ich für die beiden nach meiner Elternzeit meine Arbeitszeit auf 20 Stunden wöchentlich reduziert hatte. Bis 18 Uhr waren nun Erzieherinnen für meine Kinder zuständig – nicht mehr ich. Lina wünschte sich oft, dass ich heimlich zum Kindergarten kommen sollte. Ich wechselte dann immer ein paar Worte mit ihr durch den Zaun. Einen Spaziergang machen oder ein Eis essen gehen, das ging ja leider nicht.

Mein Sohn bekam starke Ängste

Briefe, die ich schrieb, kamen nie bei den beiden an. Ich versuchte Elias über die Schule ein paar Zeilen zu senden. Aber die Lehrerin fand das komisch und stellte ihm den Brief erst gar nicht zu. Er wurde immer depressiver. An Wechseltagen klagte er über Bauschmerzen und Kopfschmerzen. Er war immer ein sensibles Kind. Nun fing er an, andere Kinder zu verletzen und auch die Schule vermeldete starke Auffälligkeiten.

Vor der Trennung fingen die Kinder an, eigene Wege zu erkunden. Der Weg zum Gemüseladen gegenüber – mal bei den Nachbarn klingeln. Elias bekam starke Ängste. Er konnte auch nicht mehr alleine schlafen, weil er dachte, ich könnte verschwinden. Die Probleme insbesondere von Elias wurden immer schlimmer. Ein konsultierter Kinderpsychologe riet durch die anhaltenden Ängste zu einer stationären Einweisung in eine Kinderpsychiatrie.

Die Kinderfreunde aus der Nachbarschaft klingelten zuerst immer noch. Aber als sie merkten, dass Elias und Lina oft nicht mehr da waren, wurde das Klingeln weniger. Irgendwann hörten sie ganz auf, nach ihnen zu fragen. Und auch wir igelten uns immer mehr ein. Dem Wiedersehen folgte schnell wieder ein Abschied. Die restliche Zeit wollten wir zusammen sein, ohne dabei gestört zu werden. Die Erziehung lag dann auch brach. Wer wollte schon über Fernsehkonsum und Süßigkeiten diskutieren in der wertvollen, begrenzten Zeit?

Das Modell wurde gekippt, die Ängste blieben

Rechtlich war die Anordnung zum Wechselmodell damals bei uns nicht korrekt. Das hatte der Richter nach einem Jahr festgestellt. Er hätte es gegen den Willen eines Elternteiles gar nicht anordnen dürfen. Vor ein paar Tagen gab es aber nun ein neues Urteil zu Wechselmodell. Der BGH (Bundesgerichtshof) hat entschieden, dass dieses nun auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden darf, wie es damals bei uns geschehen ist.

Nach einem Jahr wurde das Modell bei uns dann endlich final gekippt. Die Kinder hatten immer wieder betont, dass sie das alles nicht mehr wollen. Sie haben nun wieder ein Zuhause, bei mir und sehen ihren Vater trotzdem regelmäßig. Die Ängste zogen sich noch jahrelang durch ihren Alltag und wurden erst durch ein spezielles Angsttraining besser. Die beiden sind jetzt neun und elf Jahre alt. Ganz verschwunden sind die Ängste immer noch nicht.“

Gegen das neue Urteil des BGH gibt es inzwischen eine Petition: Gegen das Wechselmodell unter Zwang.

Der Text erschien ursprünglich auf dem Blog Stadt-Land-Mama.

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