RenteWarum viele Mütter später arm sein werden

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Sind Kinder da, geht es für viele Frauen freiberuflich oder in Teilzeit weiter. Oder in einer Kombination aus beidem  – die Rentenpolitik hierzulande belohnt aber weiterhin ein Erwerbsleben mit möglichst wenig Brüchen.

Berlin – Kristina Vaillant sitzt in ihrem Büro mitten in Berlin-Kreuzberg, groß, selbstbewusst, die Haare kurz. Sie ist Mutter zweier erwachsener Kinder, Dozentin, Journalistin. Ihr neues Buch heißt „Die verratenen Mütter“, und auch, wenn sie es nicht so direkt schreibt, geht es in diesem Buch auch um sie selbst.

Frau Vaillant, Sie sind Anfang 50 und haben noch ein paar Jahre Zeit bis zur Rente, befassen sich aber jetzt in einem ganzen Buch mit diesem Thema. Warum?

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Kristina Vaillant: Ich bin 1964 geboren, das ist der geburtenstärkste Jahrgang, und vor ein paar Jahren hörte ich von einer Studie der Freien Universität Berlin, die sich damit beschäftigt, wie viel Rente Frauen dieser Jahrgänge einmal bekommen werden. Alle waren davon ausgegangen, dass es auskömmliche Renten sein würden, weil die Frauen in der Regel gut ausgebildet sind und viel häufiger berufstätig als die Generation davor, nämlich zu 80 Prozent. Die Studie ergab jedoch, dass 40 Prozent aus den alten Bundesländern und 20 Prozent aus den neuen Bundesländern maximal 600 Euro Rente bekommen werden.

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600 Euro? Warum so wenig?

Vaillant: Weil jede zweite dieser Frauen Teilzeit arbeitet, und zwar nicht 30 Stunden pro Woche, sondern 20 oder weniger. Unser Rentensystem ist aber extrem auf das Erwerbsleben ausgerichtet, das heißt, je weniger man im Laufe seines Lebens verdient, desto weniger Rentenpunkte bekommt man. Frauen arbeiten oft in Berufen, die unterdurchschnittlich bezahlt sind, manche sind ausgestiegen wegen der Kinder und haben danach keine Vollzeitstelle mehr gefunden. Auch das drückt die Rente.

Zwanzig Prozent in den neuen Bundesländern klingt besser, aber auch ganz schön viel, wenn man bedenkt, dass die meisten Frauen in der DDR voll berufstätig waren. Wie erklären Sie sich diese Zahl?

Vaillant: Das hat einerseits mit der hohen Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung zu tun, aber auch damit, dass sich mittlerweile auch hier das sogenannte Hinzuverdiener-Modell ausgebreitet hat: der Mann als Haupternährer, und die Frau verdient noch ein bisschen dazu. Die Gründe sind oft andere als im Westen, wo es Kinderbetreuung bis vor Kurzem höchstens bis mittags gab, ganz abgesehen von dem Frauenbild, das auch heute noch verbreitet wird: Ein kleines Kind gehört zur Mutter und nicht in sogenannte Fremdbetreuung. Frauen in den neuen Ländern arbeiten Teilzeit, weil sie gar keine Vollzeitstelle bekommen. Die Gründe unterscheiden sich, die Konsequenzen bleiben die gleichen.

Sie kommen aus dem Westen und haben zwei Kinder großgezogen. Was steht denn auf Ihrem Rentenbescheid?

Vaillant: Knapp 900 Euro – vorausgesetzt, ich verdiene die nächsten 15 Jahre so wie jetzt.

Waren Sie lange mit Ihren Kindern zu Hause?

Vaillant: Nein, im Gegenteil. Meine Kinder sind ’93 und ’96 geboren. Nach dem ersten Kind habe ich nach vier Monaten wieder angefangen zu arbeiten, habe mein Kind in die Mollstraße in Mitte in die Kita gebracht, das war der einzige Kindergartenplatz, der damals für so kleine Kinder zu bekommen war. Beim zweiten Kind war es ähnlich.

Was ist dann der Grund für die geringe Rente?

Vaillant: Nach dem Abitur habe ich vier Jahre in den USA gelebt und gejobbt, dafür gab es natürlich keine Rentenpunkte. Der Hauptgrund aber ist, dass ich nie eine unbefristete Vollzeit-Stelle hatte. Einmal, kurz nach dem Studium, wurde mir im Wissenschaftszentrum Berlin ein Angebot als Sekretärin gemacht. Das habe ich drei Monate lang ausgehalten. Es hat so an meinem Selbstbewusstsein genagt, da bin ich lieber in die Selbstständigkeit gegangen. Seitdem bin ich Freiberuflerin, zeitweise hatte ich parallel noch eine Teilzeitstelle. Ich habe mich oft beworben, aber auf eine Festanstellung mit einer vernünftigen Arbeitszeit gab es keine Aussichten. Vom deutschen Eckrentner bin ich meilenweit entfernt.

Was um alles in der Welt ist denn der deutsche Eckrentner?

Vaillant: Der ist das statistische Idealmaß, hat 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt, hatte eine volle Stelle und ein Durchschnittseinkommen von 35.000 Euro brutto. Das ergibt einen Rentenpunkt pro Jahr, macht 45 Rentenpunkte und am Ende eine Rente von gut 1300 Euro. Es gibt im Übrigen eine Generation, die übererfüllt das Soll des deutschen Eckrentners sogar. Die kommt nicht nur auf 45 Punkte, sondern sogar auf 48. Das sind die Babyboomer aus Westdeutschland. Die Männer!

„In der Politik sind viele immer noch erwerbsfixiert“

Das sind dann aber auch oft die, die mit der Rente in ein Loch fallen, weil sie immer nur ihre Arbeit hatten und nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Frauen mit vielen Brüchen im Leben kommen damit in der Regel besser klar. Ist das deutsche Rentensystem überhaupt noch zeitgemäß?

Vaillant: Ganz und gar nicht. Es stammt aus Bismarck-Zeiten, wurde in den Fünfzigerjahren generalüberholt und galt mal als Vorzeigemodell. Heute sind fast alle europäischen Länder viel weiter als wir. Frankreich, Spanien und andere Länder haben praktisch das gleiche Modell wie in Deutschland, dort gibt es aber eine Mindestrente, die keine Sozialhilfe ist. Das wäre schon mal ein Anfang. Großbritannien, Holland, Schweden haben eine Bürgerrente. Das heißt, jeder Bürger bekommt eine Grundrente, unabhängig davon, wie viel er verdient hat. Zusätzlich gibt es dann noch eine verdienstbezogene Rente für Berufstätige und oft als dritte Säule noch eine verpflichtende Betriebsrente, für die der Arbeitgeber mit einzahlt.

Warum wird das hier nicht eingeführt?

Vaillant: In der Politik sind viele immer noch total erwerbsfixiert, auch bei den Gewerkschaften bin ich auf diese Haltung gestoßen. Da heißt es, entweder man arbeitet 45 Jahre, und wenn nicht, soll man sich bitteschön nicht über die niedrige Rente beschweren. Ein Gewerkschafter hat zu mir gesagt: Diese Frauen mit den niedrigen Renten leiden unter Erwerbsarmut. Das Wort hatte ich noch nie gehört, man merkt, was für eine Einstellung dahintersteckt. Dabei lässt sich das längst alles gar nicht mehr so planen. Man arbeitet doch heute nicht mehr jahrelang 40 Stunden pro Woche im gleichen Job. Man wird mal arbeitslos, wechselt den Job, bekommt Kinder, geht ins Ausland, das gehört heute dazu, nicht nur bei Frauen, auch bei Männern. Und gegen diese „Risiken“ sollte uns die Rentenversicherung versichern.

Kristina Vaillant …

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Kristina Vaillant

arbeitete nach ihrem Studium einige Jahre am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Seit 1999 ist Vaillant, Jahrgang 1964, freie Journalistin. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Bundestag, unterrichtet angehende Journalisten und ist Dozentin für Wissenschaftskommunikation an der Humboldt-Universität zu Berlin.

schreibt heute hauptsächlich über Themen aus Wissenschaft und Forschung. 2010 erschien ihr Reportageband „Ideen täglich. Wissenschaft in Berlin“, 2014 veröffentlichte sie mit Christina Bylow das Buch „Die verratene Generation. Was wir den Frauen in der Lebensmitte zumuten“.

untersucht in ihrem neuen Buch, wie das Rentenrecht Frauen diskriminiert: Die verratenen Mütter, Knaur Klartext, München 2016, 160 Seiten, 12,99 Euro.

Sie beschwören in Ihrem Buch eine Altersarmut unter Frauen herauf. Wie wird diese Armut aussehen? Die Frauen dieser Generation sind ja meist sehr selbstbewusste Frauen. Bilden die dann Hippie-WGs, weil sie sich alleine die Miete nicht mehr leisten können?

Vaillant: Niemand weiß das, es ist ein Thema, für das es keine Bilder gibt, über das nicht gesprochen und auch nicht geschrieben wird. Auch nicht in der Literatur übrigens. Demenz spielt in der Gesellschaft gerade eine große Rolle, Armut im Alter aber gar keine. Bei meinen Recherchen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es schwer war, Gesprächspartnerinnen zu finden, und die, die ich gefunden habe, wollten fast alle nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden.

Weil sie sich schämen?

Vaillant: Ja. Denn diese Frauen sehen sich selbst nicht als Verlierer. Sie haben viel Wert auf ihre Ausbildung gelegt, waren berufstätig, haben Kinder großgezogen. Dann so einen Rentenbescheid in der Hand zu halten, ist extrem frustrierend. Den lässt man am liebsten gleich in der Schublade verschwinden.

Warum schließen sich die Babyboomer-Frauen nicht zusammen?

Vaillant: Weil das „Wir“ fehlt. Frauenleben können so unterschiedlich sein. Eine hat viele Kinder, die andere nur eins, die nächste trägt ihrem Mann alles hinterher oder hat einen, der ihr viel abnimmt. Deshalb sind die Interessenlagen auch so unterschiedlich. Über den anderen Grund hat schon Simone de Beauvoir geschrieben: Es gibt eben Frauen, die sich lieber mit denen verbünden, die die Macht haben, weil sie denken, dass so ein Stück Macht für sie abfällt.

Haben Sie Angst vor dem Alter?

Vaillant: Es ist für mich auf jeden Fall belastend, mit 50 nicht zu wissen, ob ich die nächsten 15 oder 20 Jahre überhaupt noch so weiterarbeiten kann wie bisher. Ich kann mir zum Beispiel super vorstellen, Bücher zu schreiben, bis ich tot umfalle. Aber von den Honoraren kann man nicht leben, es gehen Abgaben ab, ich muss meine Miete bezahlen. Einen verdienten Ruhestand zu haben, das wünsche ich mir. Nicht mehr zu sagen, ich muss jetzt diesen oder jenen Auftrag annehmen, damit das Geld reicht.

Wissen Ihre Kinder, dass sie später womöglich für Sie sorgen müssen?

Vaillant: Ich hoffe, dass sich bis dahin was tut. Es sind ja noch ein paar Jahre. Die Frauen dieser und der nachfolgenden Generationen dürfen sich nicht einfach so abspeisen lassen.

Kristina Vaillant: „Die verratenen Mütter: Wie die Rentenpolitik Frauen in die Armut treibt“, Knaur-Verlag, 2016.

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