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Bohren, SpritzeAngst vor dem Zahnarzt – das hilft dagegen

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Zahnarzt_Kontrolle

Dentalphobiker haben extreme Panik vor Bohrer und Spritzen und gehen jahrelang nicht zum Zahnarzt. 

Dreiviertel aller Menschen fürchten sich vorm Zahnarzt. Fünf bis zehn Prozent haben regelrecht panische Angst vor einer Behandlung. Die fundierte Beratung eines Psychologen vor Ort kann in diesen Fällen Betroffenen und Zahnärzten gleichermaßen helfen. Wie eine solche „Angst-Sprechstunde“ für Dental-Phobiker in der Praxis funktioniert, erläutert Dr. Malte Albrecht, beratender Psychologe des Kölner Zahnzentrums Carree Dental.

Was macht ein Psychologe in einer Zahnarzt-Praxis?

Dr. Malte Albrecht: Er hilft Patienten, die sich vor schmerzhaften Zahnbehandlungen fürchten. Mit seiner Beratung kann der Psychologe Ängste ab- und Vertrauen in die Behandlung aufbauen. Sind die Zähne einmal saniert, erfährt der Patient Tag für Tag wieder mehr Sicherheit und Selbstvertrauen.

Woher kommt diese weit verbreitete Furcht? Sind Deutschlands Zahnärzte zu unsensibel?

Albrecht: Viele Patienten erleben beim Zahnarzt das Gefühl von Kontrollverlust und Schmerzen. Gesicht und Mund gehören zudem zu den sensibelsten Stellen unseres Körpers. Das Gesicht ist unser „Aushängeschild“, unser Lächeln überzeugt im Gespräch und macht uns sympathisch. Werden nun genau hier Spritzen gesetzt, Nerven betäubt und in den Zähnen gebohrt, so löst das bei vielen Patienten Unbehagen und Ängste aus.

Also liegt es weniger an unsensiblen Zahnärzten?

Albrecht: Heutzutage sicherlich. In früheren Jahrzehnten war das Verhältnis zwischen Zahnarzt und Patient eher einseitig und autoritär: Der „Dentist“ entschied darüber, ob betäubt wurde oder nicht, und wie lange der Patient Schmerzen auszuhalten hatte.

Heutzutage pflegen die Zahnärzte mehrheitlich ein partnerschaftliches Verhältnis zu ihren Patienten. Allerdings gehört die Erforschung der Ursachen des Patienten-Unbehagens in der Regel nicht in den Kompetenzbereich des Zahnarztes. Hier sind Wissen und Erfahrung des Psychologen gefragt, der eine Brücke zwischen Patient und Arzt schlägt. So baut er allmählich das Vertrauen des Patienten in die Behandlung auf und der Zahnarzt kann dadurch entspannter die erforderlichen Schritte einleiten.

Laut verschiedener Studien wünschen sich Angstpatienten eine verständnisvolle Behandlung und fundierte Aufklärung. Entsprechen diese Wünsche der Realität in Deutschlands Zahnarztpraxen?

Albrecht: Aus meiner Sicht leisten die meisten Zahnärzte eine fundierte Aufklärung und beugen so Sorgen und Ängsten vor. Allerdings bleibt im normalen „Behandlungsrhythmus“ oftmals wenig Zeit, um die Sorgen und Ängste der Patienten vollständig zu entkräften. Hier kann der Psychologe als Kooperationspartner wertvolle, unterstützende Dienste leisten.

Was unterscheidet normale Angst von einer Dentalphobie?

Albrecht: Von einer Dentalphobie spricht man, wenn Patienten extreme Panik vor Bohrer und Spritzen haben und jahrelang nicht zum Zahnarzt gehen. Meist empfinden sie nicht nur Scham wegen ihrer extremen Ängste, sondern auch wegen des schlechten Zustands ihrer Zähne – ein teuflischer Kreislauf, aus dem sie ohne professionelle Hilfe meist nicht wieder herausfinden.

Wie eine Dentalphobie entsteht und was in einer „Angst-Sprechstunde“ passiert 

Wodurch entsteht eine solche Dentalphobie? 

Albrecht: Es gibt unterschiedliche Gründe für eine Dentalphobie: Traumatische Erfahrungen der Kindheit sind gewiss der Hauptgrund. Hinzukommen bewusst einseitig zugespitzte Erzählungen, die nur das Schmerzhafte und Unangenehme eines Zahnarztbesuches dramatisieren. Dadurch wird beim Erwachsenen – wie auch schon beim Kind – eine negative Erwartungshaltung gefördert: Die potentiellen Schmerzen treten in den Vordergrund und nicht der Nutzen der Behandlung.

Tatsächliche schmerzhafte Erfahrungen bei der Behandlung „graben“ sich zusätzlich ins Unterbewusstsein ein. Außerdem spielen wohl auch negative familiäre Vorbilder eine Rolle: Sind Mutter oder Vater Dentalphobiker, so übernimmt der Nachwuchs nicht selten diese Ängste.

Wie sieht eine fachgerechte psychologische Unterstützung aus?

Albrecht: Der Patient wird mit seinen Beschwerden ernst genommen: Zunächst beschreibt er in Ruhe seine Angst und deren körperliche Auswirkungen.

Im nächsten Schritt können „Angstauslöser“ aufgedeckt und thematisiert werden, wie beispielsweise das Geräusch des Bohrers, die Spritze. Oft ist es aber auch bereits die Anspannung im Wartezimmer. Die erwarteten Auswirkungen werden einem normalen Behandlungsablauf gegenübergestellt: Man „entzaubert“ die „Tortur auf dem Stuhl“. Zusätzlich helfen Entspannungsmethoden konkret Ängsten und Anspannungen auf dem Behandlungsstuhl entgegenzuwirken.

Bei wie vielen Angstpatienten hilft die therapeutische Betreuung?

Albrecht: Genaue Statistiken sind gerade in Arbeit. Aber eines lässt sich schon sagen: Liegen keine starken Traumata oder psychischen Krankheiten vor, so kann ein Angstpatient meist bereits nach ein oder zwei Sitzungen souveräner mit seiner Angst umgehen. Er hat „psychische Werkzeuge“, also Entspannungsmethoden, an die Hand bekommen, die ihm helfen, seine Ängste abzuschwächen und zu überwinden. Sind allerdings weiterreichende Ängste mit im Spiel, sind psychotherapeutische Maßnahmen erforderlich.

Wie nehmen die Angst-Patienten diesen Service an?

Albrecht: Das Angebot wird sehr gut von den Patienten angenommen. Ein Psychologe als Erstkontakt in der Praxis wird als beruhigend und aufbauend wahrgenommen – er nimmt sich Zeit und wird garantiert nicht den Bohrer ansetzen. Der Patient muss keinen Kontrollverlust befürchten. Er kann sich vielmehr langsam an die Praxisatmosphäre gewöhnen und sich durch Fragen absichern und beruhigen. Dabei werden die Entspannungsverfahren von den Patienten meist sehr begrüßt und über den Praxisbesuch hinaus in der Freizeit weiter geübt, weil sie im Alltag beruhigen und erden.

Was halten Sie von „Begleitmaßnahmen" wie Hypnose, Dämmerschlaf oder Lachgassedierung?

Albrecht: Grundsätzlich finde ich diese Begleitmaßnahmen sinnvoll, wenn andere Vorgehen nicht greifen. Ein Ziel der psychologischen Beratung ist es allerdings, die Angst einzugrenzen, fassbar zu machen und Lösungsstrategien zu entwickeln. Eine Lachgassedierung löst zum Beispiel nicht die Angst vor Kontrollverlust.

Empfehlen Sie besonders ängstlichen Menschen eine Vollnarkose?

Albrecht: Ich würde nur dann zu einer Vollnarkose raten, wenn der Eingriff umfänglich und schwerwiegend ist. Schließlich wollen wir das Vermeidungsverhalten des Patienten nicht fördern. In allen anderen Fällen würde ich ihm deshalb empfehlen, zunächst an seiner Angst zu arbeiten und die vermeintlich unumstößlichen Gründe und Bedenken anzugehen. (red)

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