„Opas Krieg“Wie Opa den Ersten Weltkrieg erlebte

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Bonn – „Ruhe, Kinder, Opa erzählt vom Krieg!“ Die Enkel rollen erst die Augen und blicken dann gelangweilt auf den Teller, während der Großvater am Sonntagstisch „von damals“ plaudert und am großen Rad dreht: „Wie ich mit meinem Kumpel im Schützengraben . . .“ Irgendwann sind die Kinder weggenickt oder haben sich leise davon gemacht.

Opas Geschichte kann auch anders erzählt werden. Christian Mack aus Bonn zeigt, wie das heute möglich ist. Der 32-Jährige hat Feldpostkarten seines Großvaters Franz Mack aus dem Ersten Weltkrieg im Internet veröffentlicht und ist für seinen Beitrag „Opas Krieg“ als eines von 28 Online-Projekten für den Grimme-Preis nominiert worden. Einer seiner Konkurrenten: Jan Böhmermann.

Unter der

biografie

Franz Mack wurde am 4. 12. 1894 als zweites von neun Kindern in Nürnberg geboren und erlernte den Schuhmacherberuf. Vom 1. Oktober 1914 bis zum 31. Juli 1918 leistete er den Militärdienst ab und kehrte schwer verwundet heim. Er wurde Beamter bei der Stadt Nürnberg. 1947, also relativ spät, heiratete er. 1948 kam der einzige Sohn zur Welt. Franz Mack ging 1960 in Pension und starb 1981.

Das Projekt „Opas Krieg“ ist online, über Facebook und auf Twitter erreichbar. Wer bei dem Voting für den Grimme-Preis mitmachen will, kann sich unter www.opaskrieg.de mit der Seite des Grimme-Instituts verlinken. Ob Mack einen Preis bekommt, entscheidet sich Ende Juni. (dbr)

Furcht der Zensur

Christian Mack, gelernter Historiker, Blogger, selbstständiger Videograph mit abgeschlossenem Volontariat bei Radio Bonn/Rhein-Sieg, sagt „Opas Krieg“ sei der Versuch, auf die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ zurückzuschauen aus der Perspektive des Infanteristen Franz Mack aus Nürnberg, seines Großvaters, den er nie kennengelernt hatte. Der pensionierte Beamte (siehe Kasten) starb 1981, drei Jahre vor der Geburt des Enkels, dessen Eltern es ins Rheinland verschlagen hatte.

Großvater Franz Mack und Großmutter Käthe Mack hatten die Feldpost in Alben und Schubladen verwahrt: „Karte bitte aufheben!“ hatte der Soldat oft als Zusatz neben den kurzen Mitteilungen von der Front notiert. So kam es, dass der Enkel auf eine große Sammlung von Kriegserinnerungen zurückgreifen konnte.

Als Kind kannte er das Kriegsalbum von Opa, studierte neugierig die Bilder, konnte aber die Rückseite nicht lesen, Franz Mack schrieb Sütterlin. Bei den Übersetzungen helfen ihm heute die Witwe Mack ((82) und die Großeltern seiner Mutter. Vor zehn Jahren machte Enkel Christian mit seinem Bruder und dem 1948 geborenen Vater eine Frankreichtour auf Opas Spuren: „Wir haben damals einige Schlachtfelder besucht und auch Dörfer, in denen mein Opa gewesen war. Manche sahen noch so aus wie auf den Postkarten.“

Die Geschichte des Vorfahren ließ den Nachkommen dann nicht mehr los, und er begann sie systematisch zu erforschen. Herausgekommen ist eine „Echtzeit-Aufarbeitung der Vergangenheit“. Wer die Internetseite aufschlägt, findet tagesgenau alle Postkarten, die Franz Mack von der Westfront an die Eltern nach Nürnberg geschickt hat, die erste vom 3. Februar 1915.

Franz Mack war am 1. Oktober 1914, drei Monate nach Beginn des Krieges, zum Militärdienst eingezogen worden. Er diente beim 21. Infanterie-Regiment, dessen Historie Familienforscher Christian Mack ebenso für sein Projekt nutzte wie die täglichen Heeresberichte des Oberkommandos.

Sensationelle Erkenntnisse über den Verlauf des Ersten Weltkrieges enthalten die Feldpostkarten nicht. Sie unterlagen der Zensur. Christian Mack: „Vermutlich ist das Interessanteste an den Karten das Nicht-Gesagte.“ Anfangs schrieben die Soldaten euphorisch vom Krieg („5000 Franzosen gefangen genommen“), dann waren die Botschaften oft das einzige Lebenszeichen für die Familie: „Mir geht es gut, schickt mehr Wurst!“ Oder diese: „Liebe Mutter! Habe an euch 10 M. abgeschickt. Schickt mir wenn möglich Kaffeebrot (Kuchen). Wiederschauen Franz“.

Auch Feldpostkarten von Verwandten seines Opas hat der Enkel ins Netz gestellt, so diese vom 14. Februar 1916 von Schwiegersohn Karl Engelhardt an Margarethe Mack, Franz Macks Mutter, mit etwas kritischem Unterton: „Liebe Mutter! Da ich gerade beim Schreiben bin, sende ich Dir dieses Kärtchen, habe auch das Deine vom 10.II. erhalten, nun, ich habe ja mehr Zeit zum Schreiben, deshalb keine Entschuldigung, wenn Du nicht gleich antwortest. Was soll man auch schreiben. Schluss soll sein, das ist ja nur der einzige Wunsch. Bin neugierig, was das Frühjahr bringt, hoffentlich für uns Gutes. Wünsche Dir wie Vater alles Gute, vor allem ein gesundes Wiedersehen.“

Die letzte Karte aus dem Feld sandte Franz Mack am 28. April 1917 nach Hause. Am 8. Mai traf ihn ein Granatsplitter ins Kreuzbein und verletzte eine Nervenwurzel. Der Krieg war für ihn beendet, er trug eine lebenslange Behinderung davon. Der letzte im Internet erfasste Kartengruß stammt vom 22. August 1917 aus einem Lazarett.

Wer durch Beiträge blättert, lernt nicht nur einen Menschen aus ferner Zeit kennen, sondern weiß auch zu schätzen, was von Zeitzeugen erzählte Geschichte bedeutet: Der Leser ist unmittelbar dabei. Christian Mack will noch etwas anderes zeigen, nämlich „dass wir in echt glücklichen Friedenszeiten leben. Wir können über Frankreichs Grenzen fahren, ohne dass wie zu Zeiten unserer Großväter auf uns geschossen wird.“ Ein vereintes Europa, sagt der Bonner, sei „ein guter Wert an sich“.

www.opaskrieg.de

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