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Angeklagte bestreiten TatNiklas’ Mutter will die Wahrheit wissen

Lesezeit 4 Minuten
Verteidiger Martin Kretschmer, Walid S., Verteidiger Dr. Peter Krieger und Roman W. (v.l.n.r.)

Verteidiger Martin Kretschmer, Walid S., Verteidiger Dr. Peter Krieger und Roman W. (v.l.n.r.)

Bonn – Es ist noch keine 7 Uhr, als die ersten Kamerateams vorfahren. In der morgendlichen Eiseskälte positionieren sich einige vor dem Portal des Bonner Landgerichts, um erste Bilder einzufangen. Ihr Atem dampft. Drinnen ist zunächst Pressesprecher Bastian Sczech der gefragte O-Ton-Geber, der von Mikrofon zu Mikrofon rennt.

Der mediale Ansturm war groß gestern: Über den Schwurgerichtsprozess um den Tod des 17-jährigen Schülers Niklas P. wurde schon seit Tagen berichtet. Nicht nur in Bonn und in der Region, sondern bundesweit: Der Fall ist zu einem Synonym geworden für die Verrohung der Jugend, die einfach zuschlägt, wenn ihr was nicht passt. Und alle Verhältnismäßigkeit verloren hat.

Niklas' Mutter wirkt gefasst

Als Denise P., die Mutter von Niklas, erscheint, gehen alle Scheinwerferlichter an: Die 48-jährige Nebenklägerin wird vom Bad Godesberger Pfarrer Wolfgang Picken begleitet und von ihrem Anwalt Dr. Dirk Simon aus Bad Breisig.

Die ganz in schwarz gekleidete Frau wirkt gefasst, als sie den Gerichtssaal betritt, wo sie an einer schweigenden Phalanx aus Kameraleuten und Fotografen vorbei gehen muss. Sie tut es mit Würde. In wenigen Minuten wird die Mutter erstmalig die jungen Männer sehen, die mutmaßlich für den Tod ihres Sohnes verantwortlich sind.

Davon jedenfalls geht Staatsanwalt Florian Geßler aus, der den heute 21-jährigen Haupttäter Walid S. wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt hat. Mit einem Faustschlag gegen Kopf soll er den Schüler zu Boden gebracht und anschließend noch mit dem Fuß nachgetreten haben. Sechs Tage später starb der 17-Jährige in einem Bonner Krankenhaus an den Folgen des Faustschlags.

Vermutlich tödliche Folgen durch Vorschädigung im Gehirn

Wegen einer Vorschädigung im Gehirn, so ein Gutachter, hatte der Schlag tödliche Folgen. Dass Walid S. Niklas P. töten wollte, davon geht der Staatsanwalt nicht mehr aus. Der zweite Angeklagte, der 21-jährige Roman W., soll auch am Tatort gewesen sein und ebenfalls versucht haben, nach Niklas zu treten. Eine Freundin des Schülers jedoch soll ihn davon abgehalten haben. Dafür soll sie von ihm einen Faustschlag ins Gesicht bekommen und eine Gehirnerschütterung erlitten haben.

Als die beiden Angeklagten in Handschellen gebracht werden, ist die Unruhe im Saal groß. Die Mutter muss sich kurz abwenden. Es scheint so, als müsse sie um Fassung ringen. Walid S. und Roman W. – sie wirken fast schüchtern – werden an diesem ersten Prozesstag nicht selber sprechen. Ihre Verteidiger haben Erklärungen vorbereitet.

Walid S. sei weder an der Prügelei mit Niklas P. beteiligt, noch am Tatort gewesen, so sein Verteidiger Martin Kretschmer. Sein Mandant habe sich an dem Abend mit seiner Freundin ausschließlich im Godesberger Kurpark aufgehalten, wo die Clique sich regelmäßig getroffen habe, um Party zu machen; viel Alkohol und Marihuana seien dabei immer im Spiel gewesen. An diesem Abend habe Walid S. nur einmal den Kurpark verlassen, um in einer Tankstelle kleine Einkäufe zu machen. Kretschmer wörtlich: „Es soll ja einen Zeugen geben, der ihn am Tatort erkannt haben will. Der muss sich schlichtweg irren.“

Roman W. werden mehrere Gewaltdelikte vorgeworfen

Dr. Peter Krieger hingegen, der Verteidiger von Roman W., sagt zu dem tödlichen Vorfall am Rondell hinter dem Bad Godesberger Bahnhof kein Wort. Der 21-Jährige räume lediglich ein, dass er später einen Belastungszeugen krankenhausreif geschlagen habe. In der vorbereiteten Erklärung heißt es: „Wir sind uns im Bus begegnet, da hat er so getan, als wären wir beste Freunde. Da bin ich ausgerastet, habe ihm einen Faustschlag versetzt und ihn als ,Zinker und Verräter’ beschimpft. Immerhin hat er mich durch seine Aussagen ins Gefängnis gebracht. Heute tut mir mein Verhalten leid, es ist meine Schuld, dass ich in Haft bin.“ Krieger kündigt an, dass sein Mandant fortan schweigen werde.

Roman W. jedoch wird – was gestern erst bekannt wurde – vom Ankläger noch viel mehr vorgeworfen: Demnach soll er einen Jugendlichen zusammengeprügelt und um 50 Euro beraubt haben; diesen soll er später zudem mit dem Tod bedroht haben, „falls Du etwas Schlechtes über mich im Gericht sprichst.“ Auch soll er sich brutal mit Polizeibeamten angelegt haben, als er nach einer Schlägerei vor dem Kölner Hauptbahnhof festgenommen werden sollte.

Nach 30 Minuten war der erste Prozesstag gestern vorbei; Zeugen hatte die Kammer unter dem Vorsitz von Dr. Volker Kunkel noch nicht geladen. Beim Verlassen des Saales weicht die Mutter allen Mikrofonen aus. Für sie spricht ihr Anwalt Simon: „Ich bewundere ihren Mut, den Angeklagten gegenüberzutreten“, diktiert er in die Blöcke. „Dafür verdient sie hohen Respekt.“

Das Wichtigste für die 48-Jährige sei es, „die Wahrheit zu finden, zu hören, was an diesem Abend mit ihrem Sohn passiert ist.“ Rachegefühle, sagt Simon, habe sie keine. Und Pfarrer Picken, der die Mutter seit dem Vorfall begleitet und auch ihren Sohn beerdigt hat, fügt hinzu: „Sie hangelt sich von Tag zu Tag und hofft, dass die Konfrontation mit der Wahrheit hilft.“

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