Abo

Einbürgerung nach Brexit„Es war eine Vorsichtsmaßnahme“

Lesezeit 5 Minuten
Ihre Einbürgerungsurkunde hat Victoria Appelbe während einer kleinen Feier im Alten Rathaus bekommen. Diese Willkommensgeste findet sie „sehr sympathisch“.

Ihre Einbürgerungsurkunde hat Victoria Appelbe während einer kleinen Feier im Alten Rathaus bekommen. Diese Willkommensgeste findet sie „sehr sympathisch“.

Rhein-Sieg-Kreis/Bonn – Es sei eine Vorsichtsmaßnahme gewesen, sagt Victoria Appelbe. Die Bonner Wirtschaftsförderin, die in London geboren und in der Grafschaft Kent aufgewachsen ist, wollte sich „eine unklare Situation“ nach einem Brexit ersparen und hatte noch vor dem Referendum in ihrem Heimatland ihre deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Gut sechs Monate hat sie auf die Urkunde gewartet, die ihr und anderen Neubürgern in feierlichem Rahmen im Alten Rathaus von Bonn übergeben worden ist. Wie Appelbe überlegen zurzeit offenbar viele in der Region lebende Briten, sich nach dem angekündigten Ausstieg ihres Heimatlandes aus der Europäischen Union einen deutschen Pass zuzulegen – die Zahl der Anfragen bei den Ausländerbehörden in Bonn und in der Siegburger Kreisverwaltung steigt. Dabei ist das Verfahren nicht zu unterschätzen, die Wartezeit beträgt in der Regel zwischen drei und zwölf Monaten.

„Ich wollte es für mich nicht unnötig verkomplizieren. Man weiß nicht, welche Bedingungen die EU in puncto Freizügigkeit an Großbritannien stellt“, so Appelbe. Neben dem Brexit gab es für sie noch einen anderen Grund für eine doppelte Staatsbürgerschaft: „Wenn man 13 Jahre am Stück nicht in Großbritannien gewohnt hat, erlischt das Wahlrecht“, sagt die Wirtschaftsförderin. Sie, die seit 1994 fest in Deutschland lebt, konnte also in keinem von beiden Ländern zur Wahlurne gehen – bis auf die EU-Wahlen. 2015 habe ihre Recherche begonnen, wie ein Einbürgerungsverfahren eigentlich läuft. Hat man wie sie im Ausland studiert, muss eine Menge Unterlagen beigebracht werden. Und sie musste die 300 Fragen des Einbürgerungstests beantworten – den Sprachtest hatte man der Britin, die exzellent Deutsch spricht, erlassen. Sechs Monate musste sie warten, bis Bürgermeister Reinhard Limbach ihr die Urkunde überreichte. „Sympathisch“ findet sie diesen kleinen Festakt mit der Botschaft, in Bonn willkommen zu sein.

Die deutsche Sprache habe sie schon in der Schule gemocht, sagt Appelbe, den ersten Anstoß, umzusiedeln, hatte ein Jahr Aufenthalt in Aachen und Kassel zwischen Abitur und Studium gegeben. „Im Rheinland habe ich mich immer wohlgefühlt“, schwärmt Appelbe. Vor acht Jahren sei sie dann mit ihrer Familie nach Bonn gekommen. Kann sie Unterschiede ausmachen zwischen dem Leben in Großbritannien und hierzulande? Appelbe überlegt. „Nun, es gibt viele Ähnlichkeiten.“ Was sie in Bonn besonders schätzt sind die Internationalität und „die große Offenheit“. Unterschiede gebe es dann doch, und zwar im Geschäftsgebaren: In Großbritannien reden sich alle mit dem Vornamen an; so habe sie auch an der Uni ihre Professoren angesprochen. Hier habe sie gelernt, dass man Titel tunlichst nennen sollte...

STATISTIK

620 Einbürgerungen gab es laut Kreis-Statistik im vergangenen Jahr an Rhein und Sieg. Mit 153 Personen liegen die Türken dabei einsam an der Spitze. Nächst größere Gruppe sind die Griechen mit 35 Einbürgerungen im Kreis. Es folgen Polen (29), Iran (24), Afghanistan und Syrien (je 20). 2015 bekamen nur vier Briten einen deutschen Pass. Damit lag das benachbarte Noch-EU-Land auf Augenhöhe mit dem weit entfernten China. Vier Chinesen im Kreis wurden im vergangenen Jahr Deutsche.

170 Nationen sind im Rhein-Sieg-Kreis zu Hause, vertreten durch Bürger mit fremden Pässen. Insgesamt sind es 57 258 Ausländer und Ausländerinnen (Stand: 31. Dezember 2015). Mit großem Abstand führen die Türken mit 11 684 Personen die Liste an. Es folgen Polen (5377), Griechenland (3718), Italien (3089) und Rumänien (2528). Aus Spanien kommen 1329 Neubürger, aus den Niederlanden 1244, aus Frankreich 760 und aus Großbritannien 755. Spitzenreiter sind klar die europäischen Ausländer (45 756); es folgen Asien (6934; 78 Vietnamesen, 84 Japaner, 483 Inder und 503 Chinesen) und Afrika (2885) mit Spitzenreiter Marokko (1050). Nord- und Südamerika (1355) sind mit 541 US-Bürgern und 155 Brasilianern vertreten. (ca)

Sie sei beunruhigt über die Beziehungen Großbritanniens zur EU, obwohl es schon lange eine „sehr kritische Haltung“ im Lande gegen die EU gegeben habe. „Britische Regierungen haben die EU gerne zum Sündenbock gemacht“, hat Appelbe beobachtet, dabei seien schlicht Herausforderungen der Globalisierung zu meistern.

Die Frage, wie sich der Brexit auf Investitionsentscheidungen auswirkt, sei noch nicht zu beantworten. Auf jeden Fall habe Deutschland seinen Hut in den Ring geworfen, um EU-Institutionen wie die Europäische Arzneimittel-Agentur mit Sitz in London, die aus England wegziehen wollen, neu anzusiedeln. Das Rheinland und damit auch Bonn sei da eine interessante Option.

Anfang August will Appelbe ihr Familie in London besuchen – zum ersten Mal nach dem Brexit. Appelbe: „Ich weiß, dass dort viel diskutiert wird, und dass zum Beispiel französische Freunde die Entwicklung mit sehr großer Traurigkeit sehen. Sie haben das Gefühl, nicht mehr so willkommen zu sein.“

VERFAHREN

Ein Einbürgerungsverfahren, das ist nicht so „wie mal eben ein Pfund Butter kaufen“, macht Werner Erdmann, Leiter der Abteilung Personalstands- und Staatsangehörigkeitswesen in der Siegburger Kreisverwaltung, deutlich. Auch bei ihm mehren sich Anrufe von Briten, die mehr über das Verfahren wissen wollen. Sie haben den Vorteil, dass sie ihren britischen Pass behalten können. Im Regelfall sollte der Antragsteller seit acht Jahren in Deutschland leben und seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten; es folgen Einbürgerungs- und Sprachtest. Man muss eine Menge Unterlagen beibringen; die durchschnittliche Wartezeit liegt zwischen drei Monaten und einem Jahr. (jr)

Rundschau abonnieren