„Ein Ziel zu haben, ist wichtig“Selbsthilfegruppe für Schlaganfallpatienten

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Mit dem E-Scooter kann Heinz Wolter problemlos auch längere Strecken überwinden.

Mit dem E-Scooter kann Heinz Wolter problemlos auch längere Strecken überwinden.

Königswinter – Heinz Wolter war gerade einmal 19 Jahre jung, als er eines Tages in einem Sechs-Bett-Zimmer im Krankenhaus erwachte. Alles war auf einmal wie ein undurchsichtiger Nebel: Er konnte nicht richtig sehen, nicht richtig sprechen und sich kaum bewegen. Das geschah im Jahr 1971, Wolter war damals begnadeter Handballer und Leichtathlet – bis zu eben jenem Tag, als er sich plötzlich nach einem Atemstillstand im Krankenhaus wiederfand.

Die Diagnose: eine irreversible Hirnschädigung, ausgelöst durch eine plötzliche Blutung in die Hirnhäute. „Das war Horror“, sagt er heute, rund 48 Jahre später. „Man hat mir keine Chance gegeben. Ich hatte Sprach-, Gedächtnis- und Sehstörungen, der Rollstuhl war mir sicher.“ Hinzu kam eine halbseitige spastische Lähmung und der Verlust des Tastsinns linksseitig.

Schicksal in die eigene Hand genommen

Damit wollte sich Heinz Wolter allerdings nicht abfinden. Er hat den Rollstuhl stehen gelassen und sein Schicksal in die eigene Hand genommen. „Mein Vater ist immer mit mir gegangen, damit ich wieder auf die Beine komme.“ Geholfen bei den ersten Schritten habe ihm aber auch seine Erfahrung als Sportler.

Teilhabeberatung

Ab sofort wird in der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Bonn eine ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) der Hannelore Kohl Stiftung angeboten. Betroffene von Hirnschädigungen wie Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma – die zu den häufigsten Ursachen von dauerhafter Behinderung gehören – suchen oft bereits während des Klinikaufenthalts Unterstützungsmöglichkeiten im Alltag. Hier soll die EUTB ansetzen und Fragen der neurologischen Rehabilitation und Teilhabe klären. Auch Angehörige und Patienten der Neurochirurgischen Klinik mit Wirbelsäulentrauma oder Querschnittslähmung können sich dort beraten lassen.

Die Beratung findet jeden Freitag in der Zeit von 13 bis 15 Uhr in der Klinik für Neurochirurgie der Bonner Uniklinik statt. Weitere Infos bei der Hannelore Kohl Stiftung unter der Tel. (0228) 97 84 50 oder via E-Mail an info@eutb-meh.de. (mdh)

hannelore-kohl-stiftung.de

„Ich habe beim Handball gelernt zu fallen und das dann auch in meinem Zimmer geübt. Das hat mir viel Angst genommen.“ Auch Schwimmen habe ihm beim Weg zurück ins Leben gut getan. „Ich dachte: Meine linke Körperhälfte fällt weg, also nehme ich eben die rechte Seite.“ Das hat nicht nur beim Schwimmen funktioniert, sondern später auch im Beruf.

„Es ist wichtig, ein Ziel zu haben“

„Ich wollte auf jeden Fall eine Zukunft haben und selbstständig werden. Es ist wichtig, ein Ziel zu haben“, so Wolter. Deshalb bewarb er sich in Troisdorf als Maschinenbautechniker. „Ich dachte damals: Entweder schaffe ich es oder eben nicht. Aber ich muss es zumindest versuchen.“ Und er hat es geschafft: Nach einer erfolgreich absolvierten Ausbildung fand er einen Job als Konstrukteur am Zeichenbrett.

Diese Erfahrung versucht der Eudenbacher nach zahlreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten – etwa als Vertrauensperson von Schwerbehinderten oder beim Landessozialgericht in Essen – jetzt auch in der 2017 von ihm gegründeten Selbsthilfegruppe Gehirn, die vor allem für Schlaganfallpatienten gedacht ist, weiterzugeben. „Ich versuche den Teilnehmern vor allem auch die Angst vor der Selbstständigkeit zu nehmen“, erklärt er einen wichtigen Grundsatz der Gruppe.

Es gibt nicht „den einen Weg“

Anderen Betroffenen empfiehlt Wolter, dass sie Verantwortung für den eigenen Körper übernehmen müssen. „Ich habe mir zum Beispiel Techniken angeeignet, die ich zur Selbsthilfe brauche, wenn etwa mal ein Nerv eingeklemmt ist.“ Er will aber vor allem auch deutlich machen, dass es nicht „den einen Weg“ gibt. „Die Schulmedizin ist wichtig zur Beratung, muss aber nicht immer die einzige Option sein.“ Ihm hätte beispielsweise die Feldenkrais-Methode, ein körperorientiertes, pädagogisches Verfahren, mehr geholfen als herkömmliche Krankengymnastik. „Das darf man aber nicht verallgemeinern, jeder Mensch ist individuell zu betrachten.“

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Geholfen habe ihm persönlich später auch das Zeichnen. „Ich sollte im Rahmen einer Ergotherapie ein Aquarell malen – das wollte ich aber nicht. Stattdessen bin ich dann wegen meines Berufes als Konstrukteur aufs Zeichnen gekommen.“ Vor allem optische Täuschungen bringt er gerne zu Papier, seine Werke hat er auch schon ausgestellt. Zurzeit stehe aber nur die Gesundheit im Fokus, sagt Wolter.

Anlaufstelle für Menschen mit fehlender Unterstützung

„Ende des Jahres kommt dann auch das dritte Enkelchen, dafür muss ich dann auch fit sein und Zeit haben.“ Dass sein Sohn und seine Partnerin ihn immer unterstützt haben, sei nicht üblich. „Deshalb habe ich dann auch die Gruppe gegründet, um anderen, die diese Unterstützung vielleicht nicht haben, eine Anlaufstelle zu geben.“

Teil der Selbsthilfegruppe sind insgesamt 16 Menschen aus Unkel, Bad Honnef und Königswinter. „Das ist eine gute Gruppengröße, um vernünftig miteinander zu arbeiten.“ Dennoch seien weitere Teilnehmer immer willkommen.

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