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Konzert geplantZehn Jahre nach dem Tod – Hannah ist nicht vergessen

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Nach dem Verbrechen an der damals 14-jährigen Hannah herrschten Trauer und Entsetzen an der CJD-Schule; Mitschüler zeichneten mit Kerzen Hannahs Namen nach.

Nach dem Verbrechen an der damals 14-jährigen Hannah herrschten Trauer und Entsetzen an der CJD-Schule; Mitschüler zeichneten mit Kerzen Hannahs Namen nach.

Königswinter – Wenn sich im nächsten Jahr der Todestag von Hannah zum zehnten Mal jährt, dann veranstalten Freunde des jungen Mädchens ein Konzert in Vilich-Müldorf. „Das zeigt, wie präsent Hannah noch ist“, sagt ihr Vater Volker Wiedeck (57). „Hannah ist nicht vergessen. Ich freue mich sehr darüber.“

Für Hannahs Familie ist die am 29. August 2007 brutal missbrauchte und ermordete Tochter natürlich ohnehin unvergessen. „Wir sind mit den Ereignissen jeden Tag konfrontiert“, sagt Wiedeck, „das hat sich nicht verändert.“ Viele Dinge im Alltag erinnerten an Hannah und das Geschehen vor bald zehn Jahren. Da gebe es schöne und unschöne Erinnerungen.

Das Verbrechen an der damals 14-jährigen CJD-Schülerin hat die Menschen in der Region seinerzeit aufs Tiefste erschüttert. 6000 nahmen an einem Trauermarsch teil, alle schwiegen, viele weinten. Die Angst vor allem unter Mädchen und jungen Frauen legte sich erst ein wenig, als der Täter nach einigen Tagen gefasst wurde. Er bekam lebenslänglich wegen Mordes.

Hannah-Stiftung nach wie vor aktiv

Ein Teil der Trauer- und Bewältigungsarbeit ist für den 57-jährigen Heilpädagogen Volker Wiedeck wohl nach wie vor sein Engagement für die Hannah-Stiftung gegen sexuelle Gewalt, die er nach dem Tod seiner Tochter gegründet hat. Grundstock waren damals 12 000 Euro, die von den Menschen in der Region für die Familie gesammelt worden waren. Geld, das Wiedeck jedoch nicht annehmen konnte und wollte.

Stattdessen gründete er die Stiftung – und die ist nach wie vor höchst aktiv, tritt der 57-Jährige im Gespräch mit der Rundschau dem Eindruck entgegen, das Engagement könnte nachgelassen haben. Vieles wiederhole sich, sei Alltag geworden und werde nicht mehr an die große Glocke gehängt.

Aber die Zahlen sind eindrucksvoll. Auf 420 000 Euro beläuft sich laut Wiedeck inzwischen das Stiftungskapital. Rund 400 000 Euro sind im Laufe der Jahre in Projektarbeit investiert worden, zumeist Spendengelder, die über den Förderverein der Hannah-Stiftung verteilt wurden. Zwar hat auch Wiedecks Stiftung derzeit unter den Niedrigzinsen zu leiden, weil die Erträge aus dem Kapital gegen Null tendieren. „Aber das ändert sich wieder“, hofft Hannahs Vater weiter nicht nur auf Spenden, sondern auch auf Zustiftungen.

Stiftung hat riesigen Spielraum

„Das Präventionsprojekt ,Mein Körper gehört mir' an Grundschulen läuft nach wie vor“, berichtet Volker Wiedeck über die Stiftungsarbeit. Mit fünf Euro pro Kind, bei sozialen Härtefällen auch mehr, unterstützt die Stiftung das Programm der Theaterpädagogischen Werkstatt, zu dem auch Elternabende und Lehrerfortbildungen gehören. „Das ist ein ganzheitliches Projekt, nur so ist es sinnvoll“, sagt Volker Wiedeck und betont zugleich, dass die Stiftung das Programm nicht erfunden habe, sondern „nur auf den fahrenden Zug aufgesprungen“ sei. Wiedeck: „Das sind Profis, die das schon sehr lange machen und eine gute Arbeit abliefern. Das hat Hand und Fuß.“

Er hat auch andere Erfahrungen gemacht. Bei Assistenzhunden zum Beispiel, die nicht nur Blinden oder Diabetikern zur Seite stehen, sondern auch Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen nach Gewalterfahrungen. Die Hannah-Stiftung unterstützt die Anschaffung der Hunde. Wiedeck musste aber feststellen, dass sich unter den Trainern „viele Scharlatane tummeln“, die Tiere mit Bestrafung „erziehen“. Inzwischen verlässt er sich auf den Hamburger Verein Lichtblicke und dessen Einschätzung von Trainern und Hundeschulen.

„Es ist ein riesiger Spielraum“, sagt Wiedeck über seine Stiftung. Sie schafft ein neues Bett an, weil ein Kind nach einem Missbrauch im alten nicht mehr schlafen kann. Sie trägt Fahrtkosten, weil der nächste Traumatherapeut weit weg arbeitet. Sie übernimmt die Kosten, wenn Therapielücken überbrückt werden müssen. Sie beteiligt sich an den Kosten für Zahnersatz, wenn den Opfern von Gewalt das Geld dafür fehlt.

Gewalttat stürzte Familie in Turbulenzen

Nicht nur seine Lebenserfahrung, auch seine 30-jährige Berufserfahrung in der Behindertenarbeit kommt dem Stiftungsgründer bei der Auswahl von Projekten zugute. „Ich kann unterscheiden, was Sinn macht und was nicht. Kindern Angst zu machen, kann nicht gut sein“, sagt Volker Wiedeck über manche Präventionsprojekte. „Wir stehen gut in der Öffentlichkeit da. Es gab noch nie Kritik. Das freut mich.“

Die Familie Wiedeck wohnt nicht mehr in Oberdollendorf, wo sie 2007 ein Haus unweit des Tatortes bewohnte. Sie ist nach Thomasberg gezogen. Der Umzug war in der Familie umstritten. Die 27-jährige Tochter macht inzwischen ein Referendariat, die 25-Jährige studiert. Die ältere Tochter hat sich 2010 im Magazin „Stern“ geäußert, das einfühlsam das Leiden und das Weiterleben nach dem Verbrechen an Hannah speziell aus der Sicht einer Schwester beschrieben hat. Dort äußerte Wiedecks Tochter auch Kritik an ihrem Vater, der sich in die Stiftungsarbeit vertiefte. „Ich wollte einfach, dass er mal wieder für mich Zeit hat.“

Die Gewalttat habe die Familie in heftige Turbulenzen gestürzt, sagt Volker Wiedeck im Gespräch. Es sei gut, dass seine Tochter sich damals geäußert habe. Die meisten Familien, weiß der 57-Jährige, zerbrechen an solchen Schicksalsschlägen. „Ich bin froh, dass wir es gepackt haben.“

www.hannah-stiftung.de

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